Der Mann von funfzig Jahren
„Die Schwimmerin“: Der Exil-Roman Theodor Wolffs
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas soll man mit einem Roman wie diesem? Die Welt steht vor dem Untergang, halbwegs, der Faschismus feiert in Italien Urständ und ist in Deutschland an der Macht, in Spanien greifen Francos Falangisten an, die Verfolgung der Juden in Deutschland wird verstärkt, die Kriegsgefahr wächst in Europa zusehends – und Wolff schreibt einen Roman über die misslingende Liebe eines Mannes in den besten Jahren zu einer Siebzehnjährigen. Ein Verhältnis, das heute misstrauisch beäugt wird, zumal dann, wenn der ältere Mann eine derart offensichtlich erzieherische Haltung einnimmt und zugleich vor ein, zwei Übergriffen nicht zurückscheut. Die junge Frau weiß sich dessen zwar zu erwehren, und worin der Unterschied zwischen dem Protagonisten Wolffs, Ulrich Faber, und jenem Fiesling Plokowski besteht, der der jungen Frau, Gerda Rohr mit Namen, schon seit ihrer Kindheit nachstellt, weiß zwar der Roman. Ein bisschen anrüchig bleibt das Thema aber doch, auch wenn Ulrich Faber seine sexuellen Interessen nicht durchsetzt, während Plokowski schließlich sogar die Vergewaltigung Gerdas plant.
Und was soll ein solcher Roman von einem der renommiertesten und politisch aktivsten Journalisten des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik, dessen letzter Text für die über zwei Jahrzehnte geprägte Tageszeitung, das Berliner Tageblatt, mit der ultimativen Aufforderung endet: „Geht hin und wählt!“ Was führt einen politisch bewussten, im Umgang mit Öffentlichkeit so erfahrenen Mann zu einem solchen Text, in dem die politischen Gefahren vor dem persönlichen Desaster zurückzutreten scheinen? In dem der Nationalsozialismus an der Macht so wenig greifbar ist?
Dass der Roman dazu dienen soll, der Sekretärin Wolffs, Ilse Stöbe, ein Denkmal zu setzen, hat sich wohl als Antwort lange Zeit gehalten. Ilse Stöbe hatte sich vehement gegen die NS-Diktatur eingesetzt und wurde im Dezember 1942 zusammen mit den Mitgliedern der sogenannten „Roten Kapelle“ wegen Spionage hingerichtet. Ute Kröger, die ein höchst lesenswertes Nachwort zur Neuausgabe von Theodor Wolffs Roman beigesteuert hat, hat aber hinreichend genug zeigen können, dass die titelgebende „Schwimmerin“ eben kein Porträt Ilse Stöbes ist – zu groß sind (neben grundsätzlichen Erwägungen) die Abweichungen und zu wenig kreist der Roman um seine weibliche Heldin, Gerda Rohr. Gerda Rohr ist – ein wenig vereinfacht – deutlich weniger politisch als dies Ilse Stöbe war, und arbeitet sich wesentlich mehr daran ab, sich in einer männlich dominierten Gesellschaft durchzusetzen, als dies – soweit dies hier bekannt gegeben wird – für Stöbe problematisch war. Die Entscheidung, nach China zu gehen als Repräsentantin eines international agierenden Waffenhändlers, ist mehr dem Beweis der eigenen Leistungsfähigkeit verpflichtet, als einer politischen Agenda, die wohl Stöbes Anliegen war. Was das angeht, zeigt sich der Roman mithin wesentlich mehr einem heutigen Selbstermächtigungsmotiv verpflichtet als dem historischen politischen Anspruch.
Aber das eben nur nebenbei, denn auch wenn der Roman die Protagonistin im Titel trägt, wird er im wesentlichen vom Durchgang der anderthalb Jahrzehnte zwischen dem Kriegsende und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten geprägt. Da lassen sich wunderbare, erhellende und teils erheiternde Blicke auf die Zeitläufe finden, mit denen Wolff die fatalen Entwicklungen in der Weimarer Republik kommentiert. Dass er dabei in einem der Kriegskameraden seines Ulrich Faber, dem dieser seinerzeit sogar das Leben gerettet hat, einen politischen Wechselbalg porträtiert, der sich jeder dominanten Strömung dieser Jahre mit großem Erfolg anzubiedern versteht, ist wohl der amüsanteste Teil. Dieser Lorenz Münch ist dabei nicht einmal besonders unsympathisch, er ist halt nur ein bisschen so wie das deutsche Volk, das sich seinen Herren jeweils so harmonisch anbiedert, dass sie freie Hand haben für alles, was ihnen in den Sinn kommt. Eine solche Herangehensweise lässt sich kaum politisch sinnvoll oder aufklärend nutzen, aber ein bisschen üble Nachrede den eigenen Landsleuten gegenüber muss schon erlaubt sein.
Was schließlich zu der Frage führt, was eben nicht nur die Neuherausgabe dieses (im übrigen erneut wunderbar ausgestatteten Weidle-)Buches legitimiert, sondern auch die Lektüre lohnenswert macht. Und das ist eben weder die scheiternde Liebesgeschichte, noch das vorgebliche Porträt einer Frau, die sich in den 1930er Jahren durchzusetzen versucht, noch sind es die tieferen Einblicke in die Finanz- und Politwelt der Republik, die Wolff nebenbei zu geben versteht. Der Roman demonstriert von alledem ein bisschen. Er zeigt sogar ein wenig das Scheitern eines großen Journalisten, der sich am Ende seiner Karriere in diesem Roman gründlich vertan hat, vielleicht weil ihm etwas anderes nicht mehr eingefallen ist.
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