Das Mittelalter in der Politik
Daniel Wollenberg zeigt in „Medieval Imagery in Today’s Politics“ den Gebrauch des Mittelaltersbegriffs in der politischen Auseinandersetzung
Von Marc-André Karpienski
Das Schlagwort ‚Mittelalter‘ weckt sofort typische Assoziationen: Bilder von Rittern, Kreuzzügen und stolzen Städten erinnern an das europäische Mittelalter. Diese aufgerufenen Bilder lassen sich dann auch in politischen Diskussionen nutzen, um eigene Vorstellungen zu illustrieren und anschlussfähig zu machen für das kollektive Wissen. Daniel Wollenberg widmet sein Büchlein Medieval Imagery in Today’s Politics daher der Erforschung dieser Nutzung. Er schaut dabei auf den Gebrauch des Mittelalterbegriffs im politischen Kontext hauptsächlich der 2010er-Jahre. Hierbei möchte er zeigen, warum das Mittelalter für bestimmte politische Auseinandersetzungen genutzt wird und welche Bilder vom Mittelalter dabei eine Rolle spielen. Der Autor ist Assistant Professor an der University of Tampa und hat abseits dieses Buches auch noch einige andere Aufsätze zur Mittelalterrezeption im politischen Kontext verfasst, sodass er sachkundig zu Werke geht.
Grundlegend für seine Argumentation ist, dass die Moderne als Konzept die Abgrenzung zu einer vergangenen anderen Welt braucht, um definiert werden zu können. Hierbei kommt das Mittelalter ins Spiel. So geht Wollenberg im ersten Kapitel („Getting Political“) der Nutzung eines dunklen barbarischen Mittelalters nach, wie es in politischen Reden nicht nur im amerikanischen Kontext immer wieder auftaucht. Er zeigt anhand von Donald Trump und anderen Politikern auf, dass diese den Begriff Mittelalter als negative Folie verwenden, um eine barbarische Andersartigkeit aufzuzeigen, die politischen Gruppen im Nahen Osten zugeschrieben wird. Wollenberg bemerkt zurecht, dass das Mittelalter dabei keine vergangene Zeit mit bestimmten Einstellungen und Verhaltensweisen meint, sondern eine Chiffre ist für eine immer allgegenwärtige Form der Barbarei, die auf jedwede Kultur übertragen werden kann. Das dunkle Mittelalter ist so das Gegenteil einer westlichen Moderne. Beide Begriffe, Mittelalter wie Moderne, werden dann von den Benutzern fast beliebig mit Inhalten gefüllt.
Das zweite Kapitel fokussiert sich auf das europäische Mittelalter, das identitätsstiftend für bestimmte rechte politische Gruppen ist. Beginnend mit Anders Breivik, der sich als Tempelritter sah, zeigt der Autor, dass das Mittelalter ein Identifikationsangebot besitzt, das gerne von der extremen Rechten genutzt wird, um eine europäische, weiße, christliche Kultur zu evozieren, die vor Einflüssen von außen, modernen Freiheiten, Globalisierung und Multikulturalismus geschützt werden muss. Hierbei imaginieren rechte Gruppen ein einheitliches Europa in Sprache, Kultur, Religion, Recht, Architektur und ritterlicher Ethik, welches so niemals bestand.
Diesem Gedankengang folgt Wollenberg im dritten Kapitel, um historisch etwas weiter ausholend die lange Tradition der Nutzung des Mittelalters in konservativen Kreisen zu beleuchten. Hierbei betont er, dass seit dem späten 18. Jahrhundert konservative Kreise Begriffe wie Gemeinschaft und Ehre mit dem Mittelalter verbinden und idealisieren. Er konzentriert sich dabei auf konservative Vordenker in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg sowie europäische nationalistische Strömungen mit Protagonisten wie Nigel Farage oder Marine Le Pen, um deren Nutzung eines vermeintlichen mittelalterlichen Ideals zu analysieren.
Im vierten Kapitel beleuchtet Wollenberg schließlich zwei im amerikanischen politischen Diskurs wirkmächtige Begriffe. Er beginnt mit dem Begriff des Neo-Feudalismus, mit dem Kapitalismuskritiker die Ungleichheiten in modernen Gesellschaften insbesondere nach der Weltwirtschaftskrise von 2008 bezeichneten. Angelehnt an das diskussionswürdige Konzept des Feudalismus wird dabei von den Kritikern insbesondere auf gesellschaftliche Hierarchien angespielt. Zudem analysiert Wollenberg den New Medievalism, ein Konzept der Internationalen Beziehungen. Mit diesem Begriff bezeichnet man ein zum Teil staatenloses, aber auf jeden Fall anarchisches Chaos verschiedener Mächtegruppen, welches oft wegen fehlender Institutionen und Regeln als Problem angesehen wird. Hierbei wird das Mittelalter simplifiziert, negativ konnotiert und der Begriff als Chiffre für eigene moderne Vorstellungen genutzt. Beschlossen wird das Buch mit einer Zusammenfassung, die appelliert, dass man wachsam und kritisch sein sollte, sobald jemand mittelalterliche Vergleiche unternimmt.
Inhaltlich und sprachlich vermag Wollenberg seine Argumentation überzeugend zu präsentieren. Hierbei kann das Buch als inhaltliche Einführung in die politische Mittelalterrezeption gerade der USA dienen. Auch wenn die eigene Herkunftssprache nicht das Englische ist, wird man den Text zügig und mit Gewinn lesen können und dabei wertvolle Einblicke gewinnen.
Manchmal wünscht man sich nähere Erläuterungen zu Begriffen oder Gruppierungen. So wird an mehreren Stellen von linken oder rechten Historikerinnen und Historikern gesprochen, ohne dass klar wird, welche Personen genau gemeint sind und woran der Autor diese politische Zuordnung festmacht. Dabei mag die deutsche Perspektive auch anders ausfallen als die US-amerikanische, die diese Dichotomien stärker im Blick hat.
Inhaltlich bemängeln kann man die Kürze des Bandes. Die Argumente und Belege sind hinreichend dargelegt, aber als Leser wünscht man sich ein Mehr an empirischen Beispielen sowie vor allem historischen und theoretischen Einbettungen. An manchen Stellen erfolgt gar ein Hinweis, dass eine beschriebene Aussage nicht dem Forschungsstand entspricht, ohne dass wenigstens der aktuelle Forschungsstand dazu referiert wird.
Der Gebrauch der Endnoten ist sparsam, auch ist die kommentierte Literaturliste eher ein Hinweis auf weitergehende Literatur. So bleibt an manchen Stellen unklar, worauf sich Aussagen gründen oder auf welche genaue Textstelle sich ein Zitat bezieht. Dies verleiht dem Buch einen essayistischen Charakter.
Wollenbergs Werk kann aufgrund seines Umfangs kein Handbuch der Mittelalterrezeption sein, es wirft aber ein Schlaglicht auf den Gebrauch des Mittelalterbegriffs in den politischen Auseinandersetzungen in den USA und Europa in den letzten Jahren. Aufgrund seiner eingängigen Argumentationsführung und inhaltlichen Aufarbeitung dieses Teilbereichs der Mittelalterrezeption verdient das Buch eine breite Leserschaft.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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