Ein Leben für Beteigeuze

Im eigenwilligen, aber auch anstrengenden Roman „Beteigeuze“ lässt Barbara Zeman die Lesenden am Leben einer Wienerin teilhaben, die obsessiv davon träumt, ins All zu entschweben

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Beteigeuzes veränderliches Leuchten, das ist meines. Gleich wie mein Stern strahle ich hell und manchmal strahle ich finster“, so umreißt die Protagonistin Theresa Neges selbst den Inhalt des zweiten Romans der österreichischen Schriftstellerin Barbara Zeman. In Beteigeuze gibt es keine wirkliche Handlung, vielmehr steht allein Theresas innere Welt im Fokus, die sich ganz um die leidenschaftliche Bewunderung des roten Riesensterns dreht.

Nur wenig offenbart sich beim Lesen zu den realen Lebensumständen Theresas, die gemeinsam mit ihrem Freund Josef in einer winzigen, ganz in blau gehaltenen Wohnung in Wien lebt. Man erfährt nur ein paar knappe Eckpunkte: So etwa, dass sie ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht in einem Mutter-Sohn-geführten Kaffeehaus verdient. Dort eckt Theresa immer wieder durch ihr impulsgesteuertes und sprunghaftes Verhalten an, was wohl auch daran liegt, dass sie nach ihrer Flucht aus der Psychiatrie die verordneten Medikamente nicht mehr nimmt.

Dennoch – oder gerade deswegen – hat Theresa die Gabe, die banale Umwelt der Stadt für sich zum Leuchten zu bringen. So kann sie eine Runde auf dem Kettenkarussell im Prater als Schwerkraftübung für die erträumte Reise ins All feiern oder das Hallenbad als rauschhafte Unterwelt interpretieren, in der sie wichtige Tauchübungen durchführt. Nur selten wird ihre Parallelwelt, deren zentraler Fluchtpunkt die blaue Wohnung mit den angeklebten Leuchtsternen über dem Bett darstellt, von Realitätspartikeln und Einsprengseln aus ihrer Lebensgeschichte durchkreuzt.

Nur in kleinen Dosierungen lässt die Autorin die Lesenden von Theresas familiärem Hintergrund erfahren, der bereits seit Generationen von recht absonderlichen Familienmitgliedern geprägt ist. Auch das meiste über ihre Kindheit, charakterisiert von der Sorge um die sieben Geschwister und der Abwesenheit der Mutter, bleibt im Dunkeln.  Licht in ihre persönliche Finsternis brachte bereits seit frühester Jugend allein Beteigeuze, der so zum Fixpunkt und steten Begleiter ihres Lebens wurde.

In ihren von kristalliner Klugheit leuchtenden Gedanken und in aberwitzigen, abgedrehten Dialogen folgt man Theresa in eine ganz besondere, individuelle Welt, bei der sich alles – egal ob Musik, Mohnkuchen, Orangen oder sogar der in ihr wachsende gutartige Tumor – um Himmelskörper im Weltall dreht.


Wunderschön, aber ebenso fiebrig und gehetzt wie die Protagonistin selbst, kommt die Sprache des Romans daher. Zemans Metaphern und Bilder fesseln durch schlichte Raffinesse, so spricht sie etwa von einem Tumor, der „in vollster Kugeligkeit leuchtet“, von der „Unerheblichkeit des Erdenbrösels“ oder von „knochenkopfenden Geraschel“. Die knappen Dialoge wirken zudem wie kleine Lehrstücke, wie man gegen- statt miteinander redet.

Das Ganze verdichtet Barbara Zeman zu einem Sprachkunstwerk von traumhafter Poesie, deren Atmosphäre die manische Unruhe der Protagonistin widerspiegelt, für die alles komisch, dubios aber auch faszinierend zugleich daherkommt. So kumuliert Theresa immer mehr in ihrem hektischen angespannten Tun zwischen gerade noch aushaltbarer Exzentrik und ausgeprägter psychischer Störung und man fragt sich, wie ihr Freund Josef es mit ihr aushält, ohne sich einfach für ihre Nebenbuhlerin Wera zu entscheiden.

Je mehr die Protagonistin ihren sprunghaften Eingebungen und Launen folgt, desto anstrengender wird der Leseprozess, der zunächst mit großem Vergnügen ob der prägnanten Metaphorik und glasklar geschliffenen Wortkreationen begann. So kann es passieren, dass man die Lektüre durchaus mit gemischten Gefühlen beendet: einerseits vom erzählerischen Können Zemans beeindruckt, andererseits erleichtert, dass Theresa Fiktion ist und man ihr im realen Leben nie begegnen muss.

Titelbild

Barbara Zeman: Beteigeuze. Roman.
dtv Verlag, München 2024.
301 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783423284158

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