Dante light

Dan Browns vierter Thriller übersetzt Dantes „Inferno“ in ein rasantes semiotisches Abenteuerspiel

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erfolgreiche Unterhaltungsromane sind der Kritik meist suspekt. Und das längst nicht mehr, weil das Unterhaltungsbedürfnis größerer Massen eine fragwürdige Lesemotivation wäre. Bedenklich aber scheint immer noch, dass der anspruchsvollere Leser, der spannende Romane zu schnell liest, sich unter seinem Niveau zu amüsieren droht. Doch was geschieht, wenn sogar der klassische Bildungskanon selbst bei der Unterhaltungsliteratur um Asyl ersucht, wie Ijoma Mangold in einer klugen „Zeit“-Rezension festgestellt hat? Das ist der Fall in Dan Browns Roman „Inferno“, dem inzwischen vierten Roman mit dem Symbolforscher Robert Langdon, der inzwischen den Wiederkennungswert einer ebenso berühmten wie erfolgreichen – auch verfilmten – Serie gewonnen hat.

Ähnlich wie bei den Vorgängern „Illuminati“, „Sakrileg – The Da Vinci Code“ und „Symbolon“ entführt uns der neue Roman in eine Metropole, deren epische Präsenz vor allem durch ihr kulturgeschichtliches Gewicht gesichert ist. In diesem Falle ist es, nach Rom, Paris und Washington – Florenz, die Heimatstadt Dantes. In Florenz finden wir eingangs den Helden in einer reichlich desolaten Situation vor. Er liegt in einem Krankenhaus, mit einer Wundnaht am Hinterkopf, unruhigem Puls und einem desolaten Gedächtnis, das leer ist bis auf einen höllenhaften Traum von einer langschnäbligen Pestmaske am Himmel und einer altersschönen Frau, die ihm über einen roten Fluss mit vielen qualvoll sterbenden Leibern zuruft, er solle suchen und finden. Als ein Killer naht und auf einen der behandelnden Ärzte schießt, flieht Langdon im Krankenkittel mit der – natürlich – jungen und attraktiven Ärztin Sienna. Der große Rest des Romans ist der Versuch, seinen Traum mithilfe von Dantes „Inferno“, an das die Traumsymbole unmissverständlich erinnert, zu entschlüsseln. Das geschieht weitgehend nach dem Rätselrate-Muster der früheren Romane. Die Kunstgeschichte, in diesem Falle also der erste Teil von Dantes „Göttlicher Komödie“, liefert den Schlüsseltext für das Detektivpaar.

Schnell wird ebenso klar, dass es um mehr geht als um die Auflösung eines persönlichen Schicksals. Ein sinistrer Neurobiologe, Gen- und Keimbahnforscher namens Bertrand Zobrist scheint der ausgemachte Oberschurke zu sein. Er hat ein pathogenes Virus geschaffen, um den größten Teil der Menschheit unfruchtbar zu machen. Damit will er das Problem der weltweiten Bevölkerungsexplosion lösen, deren Ausmaß in einem pseudowissenschaftlichen Diagramm auf Seite 152 wahrhaft erschreckend dargestellt wird. Beschützt wurde Zobrist von einem mächtigen, „Provost“ genannten Mentor, verfolgt von der Chefin der Weltgesundheitsorganisation persönlich. Naturgemäß hat auch die Politik einen Platz in diesem Duell zwischen Wissenschaft und Moral, in das Langdon und Sienna unaufhaltsam hineingeraten, mehr planlos Verfolgte als Verfolger eines Plans.

Dass ‚lösen‘ in Zobrists ambivalentem Weltrettungsprogramm auch ‚erlösen‘ heißen soll, wird in den ethisch und theologisch unterfütterten Diskussionen zwischen den Hauptfiguren deutlich. Einer der Grundsätze von Zobrists „transhumanistischer Bewegung“ sei, so wird zum Romanende gesagt, „dass wir Menschen die moralische Verpflichtung haben, an unserer eigenen Evolution mitzuarbeiten. Wir sollten unsere Technologie dazu einsetzen, die Spezies voranzubringen und Menschen zu erschaffen, die gesünder, stärker und widerstandsfähiger sind und bessere Gehirne besitzen“. Dagegen setzt es kaum Widerspruch. An der Vision von der gentechnologisch beschleunigten Selbstverbesserung des Menschengeschlechts wird Langdons darwinistisches Weltbild zuschanden.

Der Roman ist zweifellos nach den Gesetzen der Suspense-Technik gut geschrieben, cliffhanger gibt es auch innerhalb der Kapitel (zwischen Provost-/Zobrist- und Langdon-Plot). Am Ende ist so gut wie nichts mehr, wie es schien, als die Identitäten der meisten Figuren gelüftet werden, sind die aufgebauten Erwartungskulissen umgestürzt. Und der Leser wird gemerkt haben, dass auch die Voraussetzung des zuverlässigen Erzählers hat Federn lassen müssen. Kein Zweifel, Dan Brown beherrscht die Kunst des geheimnisvollen Erzählens souverän, wenngleich die vielen Falltüren, Geheimgänge, Dachböden und Kavernen im Roman etwas zu sehr, wie moniert wurde, an Edgar Wallace erinnern und die Plotpoints auf schnelle Lektüre abzielen, also selbstgefällig und konventionell daherkommen, ohne jenes diskursverlangsamende und metaphernfokussierte „Stretching“, das Umberto Eco in seinen Harvard-Vorlesungen „Im Wald der Fiktionen“ (1984) an den Bond-Romanen hervorgehoben hat.

Entscheidend ist die Frage, ob – und wieviel – Dante in den Roman passt. Wer sich mit der „Göttlichen Komödie“ nicht so gut auskennt, mag in den Vorlesungsexkursen Langdons, der das von Brown erfundene akademische Fach der Symbologie in Harvard lehrt, durchwegs auf seine Kosten kommen. Für Dante-Exegeten, die fragen, ob man die „Göttliche Komödie“ als demografische Warnschrift lesen kann, ist der Roman gewiss nicht gedacht.

Vielleicht aber für Leser, die im Sinne von Eco ihre Freude am semiotischen Abenteuer haben. Beständig rufen die herbeizitierten Kunstwerke nach Deutung, führen die Zeichen ein virulentes Eigenleben, schlüpft der Mitlesende in die Rolle eines Detektivs, der sich gegenüber den Helden Langdon und Sienna einen Schritt voraus weiß.

Es ist bezeichnend, dass „Dante“ im Roman selbst kaum im Originaltext auftaucht (längere Zitate stammen aus dem Canto XXV, geschickterweise im Kapitel 52). Das „Inferno“ wirkt vielmehr als kulturelle Metapher, als universales Siegel des westlichen Kanons, der seinen bildungsbürgerlichen Zweck verloren haben mag, nicht aber die Mittel, derer sich Dante und seine zahllosen Nachfolger in der Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte bedient haben. „Selbst in der modernen Welt der Videospiele und iPad-Apps gab es keinen Mangel an Produkten, die auf Dante verwiesen“, heißt es einmal. „Dante“ ist also – systemtheoretisch im Anschluss an Oliver Jahraus gesagt – ein Medium, das ein verschüttetes Bewusstsein (von ,Weltliteratur‘) mit einer Kommunikation (über globale Bedrohung und zweischneidige Weltrettung) strukturell so koppelt, dass aus dieser Kopplung Sinn entsteht. Dieser Sinn kommt seinerseits zum Ausdruck in den vielfachen Medien des Romans (ist also selbst ein Medium). Diese Medien sind nicht nur als Suchhilfen und Mosaiksteine für die Figuren nützlich, sondern taugen auch als „mobile signifiers“ der Metapher ,Dante‘: etwa in Botticellis „Mappa dell’ Inferno“, in Dantes Totenmaske, in Motiven (wie dem der sieben Todsünden) und Symbolen, aber genau so gut in modernen Medien (wie einer Videodatei); ein magnetoptischer Faraday-Pointer, der Botticellis Höllen-Karte an die Wand projiziert, ist versteckt in einem antiken Rollsiegel. Im Schlagschatten dieser modernden Moderne ist der historische Roman in der Gegenwart angekommen. Nicht dantesk, aber spannend und Deutungen herausfordernd, auch jenseits des Frage, ob sich ein guter Krimi dem Diktat der Kunstgeschichte beugen muss.

Titelbild

Dan Brown: Inferno. Thriller.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Axel Merz und Rainer Schumacher.
Bastei Lübbe, Köln 2013.
684 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783785724804

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