Werbung als Stolperkunst

Das ADC-Buch 2012 macht den Widerspruch salonfähig

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über das Für und Wider von Kreativwettbewerben wird in der Branche viel gestritten: Da gibt es die glühenden Verfechter, die sich als teilnehmende Agenturen für einen Award buchstäblich „krumm legen“. Da gibt es die Kritiker der Festival-Kreativität, die von „Zombie-Kreationen“ sprechen und anprangern, dass die meisten der eingereichten Arbeiten fernab von realen Kundenaufträgen und des werblichen Tagesgeschäfts entstünden. Da gibt es schließlich die Verweigerer, die sich der Teilnahme an Wettbewerben enthalten, um sich vornehmeren Aufgaben zu widmen – „jedes zweite Jahr“ zumindest. Doch selbst die vordergründige Absage ereignet sich nicht, wie man es vermuten sollte, klammheimlich, sondern präsentiert die scheinbaren Abstinenzler hinterrücks in publikumswirksamen Erklärungen und Interviews. Metadiskursiv betrachtet verdeutlicht der Wirbel um die Kreativpreise mindestens eines: wie wichtig sie der Branche nach wie vor sind.

Die unumstrittene „Bibel“ der preiswürdigen Kreativität ist nach wie vor das „ADC Buch“: Zum mittlerweile 48. Mal prämiert der Art Directors Club für Deutschland (ADC) e.V. die kreativsten Kommunikationsideen aus den Bereichen klassische Medien, digitale Medien, Dialogmarketing, Promotion, Media, Design, Editorial, räumliche Inszenierung, Craft und ganzheitliche Kommunikation. Die Jury, diesmal unter Vorsitz von Harmut Esslinger, zeichnet die besten Arbeiten mit den begehrten ADC Nägeln aus.

In einem Lesemedium wie diesem sei auf zwei textlastige Beispiele aus den augewählten und doppelseitig präsentierten Arbeiten der „Judge’s Choice“ verwiesen. Das erste bewirbt Vorsorgeprodukte für eine Versicherung und zeigt wetterwendische Lebensverläufe. Dabei werden zwei widersprüchliche Aussagen über eine typografische Hervorhebung miteinander verbunden: „Ich werde niemals heiraten wir in der Kirche?“ Oder: „Es läuft hervorragend in der Firma haben wir jetzt Kurzarbeit.“

Das zweite Beispiel stammt aus einer Selbstdarstellung von Muschi Kreuzberg, einer szenigen Textilienmarke aus Berlin: „Muschi ist so etwas wie der Bono von Neukölln. Unsere Shirts und Taschen für notleidende Bänker sollen die Welt da verbessern, wo U 2 nicht hinfährt. Um unsere neue Serie zu promoten, haben wir Käpt’n Kotti gebeten, eine Party zu schmeißen und einen völlig überbewerteten, künstlichen Hype zu kreieren. Als uns am nächsten Morgen aufgeweckte Jungendliche als gemeine Geldgeier entlarvt haben, konnten wir nicht anders, als uns selbst kompromisslos und ohne Abendbrot ins Bett zu schicken.“ Zu den stolpersteinigen Widersprüchen treten Kietz-Insights, rhetorische Selbstdenunziation und eine „punkige“ Lockerung des orthografischen Anpassungsdrucks. Sprunghaft-assoziativ statt logisch-argumentierend – ist das die Werbesprache der Zukunft?

Titelbild

ADC Deutschland Jahrbuch 2012.
avedition GmbH, Ludwigsburg 2012.
536 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783899861747

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