Vom Dorfpolizisten, der mit malträtierter Nase im Nachtclub recherchiert und einen vermeintlichen Hausbrand verhindert

Über Lorenz Langeneggers „Dorffrieden“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2009 debütierte Lorenz Langenegger mit dem Roman „Hier im Regen“, einem Buch, das rund um den Schweizer Nationalfeiertag das aus den Fugen geratene Leben eines Mannes beschreibt, und das mit „Zündels Abgang“, dem Debüt seines in diesem Jahr verstorbenen Kollegen und Landsmannes Markus Werner vergleichbar ist. Es dauerte fünf weitere Jahre bis der 1980 geborene Autor mit „Bei 30 Grad im Schatten“ in gewisser Weise eine Fortsetzung seines Erstlings vorlegte. Und nun „Dorffrieden“ – andere Figuren, anderes Setting. Es geht darin um Max Wattenhofer, um die 50, verheiratet, ein Sohn, von Beruf Polizeiwachtmeister in einem ruhigen und braven Provinzort, in dem Jeder Jeden kennt. Es ist Freitagabend, Wattenhofer versorgt noch schnell seine Augen mit speziellen Tropfen, dann kann das Wochenende kommen. Da erfährt er, dass Frau Direktor Ramsauer angerufen hat, eine alte, unnahbare und geheimnisvolle Dame, die mit unsichtbarer Macht den Ort zu regieren scheint, weitreichende Kontakte und nicht hoch genug einzuschätzenden Einfluss zu haben scheint. Max Wattenhofer ist so etwas wie Frau Direktor Ramsauers persönlich zugewiesener Vertreter beim gemeinen Volk am Ort.

Und so eilt er zur Schule, an der Frau Direktor Unregelmäßigkeiten wahrgenommen haben will, genauer am dortigen Fahrradständer. Mit solcherlei Fällen hat man es in der ruhigen Seegemeinde zu tun, in der kein Schuß mehr fallen wird, da der Schießstand geschlossen wurde. Tatsächlich findet Wattenhofer an besagter Stelle eine Zigarettenschachtel und in dieser wiederum einen Schlüssel. Den hat er schnell als Garderobenschlüssel des Schwimmbades identifiziert, wohin er sogleich fährt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Was Lorenz Langenegger aus dieser so nichtig anmutenden Szene macht, kann auf zwei Arten gelesen werden, da sein Roman einerseits in Richtung einer dörflichen Komödie kippt, andererseits die äußerst kluge und gewitzte Persiflage auf Kriminalromane, speziell die sogenannten Regionalkrimis, darstellt. Der dienstbeflissene Wachtmeister verletzt sich beim Öffnen der Garderobenschränke, allerdings findet er dort in einem Sportsack ein in Einzelteile gerissenes Foto, das seinen Sohn Stefan zeigt, außerdem Tabakkrümel. Die weisen, klar, auf die am Anfang des Falles stehende Zigarettenschachtel hin. Weitere Recherchen ergeben, dass am Nachmittag für längere Zeit ein Mietwagen vor der Schule geparkt hat, eine Spur, welcher der leicht verletzte Amtsträger nachgehen muss. Und so schraubt sich Max Wattenhofer immer tiefer in den Fall hinein, fährt zum Rapport bei Frau Direktor vorbei, wo er einen kräftigen Gin Tonic bekommt.

Zuhause muss er seiner Frau berichten, als plötzlich Stefan auftaucht. Wattenhofer sieht sich in eigenartiger Konkurrenz zu seinem Sohn, der jede Menge Wäsche bringt, weil er in einem besetzten Haus ohne Strom lebt. Seine Frau Helen und den Sohn verbindet etwas, das er mit seiner Frau nicht hat und was ihm einen Stich versetzt. Es gibt viele solcher Introspektionen in „Dorffrieden“, aber auch verschmitzte Tagträumereien, in denen Wattenhofer sich mit den berühmten Kollegen aus der Fiktion vergleicht, etwa mit einem „Commissario“ oder einem „Chef de Police“. Außerdem stellt er sich vor, wie er seine Frau, die gerne amerikanische und schwedische Krimis liest, mit seinem Mut und seiner Tatkraft überrascht. Doch zurück in der Realität sieht vieles anders aus, Stefan steht politisch auf der entgegengesetzten Seite, es gibt schnell Streit zu Hause – keine Spur von coolem hartem Kerl, eher ist Wattenhofer ein Pantoffelheld. Doch der neue Fall setzt ungeahnte Energien in ihm frei, er ermittelt sogar im Rotlichtmilieu, was er seiner Frau verschweigt, was wiederum eine Kette von Komplikationen nach sich zieht. Man weiß nicht so recht, was man von dieser Hauptfigur halten soll; zum Helden taugt er nicht, er ist eher ein liebenswerter Tölpel, der sich selbst überschätzt, einer, der so gern einmal etwas Besonderes erleben, etwas Großes aufdecken möchte, der jedoch nur in immer größere Schwierigkeiten gerät und dann auch noch gewärtigen muss, dass der Schlüssel gar nicht zu den Garderoben im Schwimmbad gehört, was er ganz zu Beginn bei genauerer Inspektion desselben hätte bemerken können. Oje.

Das alles liest sich höchst unterhaltsam. Lorenz Langenegger ist ein begnadeter Stilist, sein Ton ist fein und unaufdringlich, sein Tempo verhalten, trotzdem treibt er seine Handlung mit ihren diversen Verästelungen souverän voran. Er hat großartige Einfälle, etwa die kleine Binnenerzählung über einen Einsatz zur Sperrung der Autobahn, weil ein wichtiger chinesischer Politiker die Gegend bereist (auch hier erweist sich Wattenhofer als nur bedingt kompetent, findet aber eine vermeintlich neue Spur). Die Enge des Ortes arbeitet der Autor sehr plastisch heraus, alle duzen einander, kennen sich vom Sportverein oder aus der Schulzeit. Idylle dagegen lässt er nicht aufkommen. Und Langenegger treibt ein literarisches Such- und Ratespiel, er verwendet auffällig viele Namen, die aus der eidgenössischen Literatur bekannt sind, aber nicht unbedingt als solche dechiffriert werden müssen: Etwa kommt der Name Blum vor, bei dem man an Peter Bichsel denkt, der Schulhausmeister heißt Flückiger, wie der „Tatort“-Kommissar aus Luzern (zu besagter Fernsehserie hat Wattenhofer ein ganz spezielles Verhältnis), und ein Dialog geht folgendermaßen: „,Wie heißt du?‘ ,Christian Studer.‘ ,Ich bin Polizeiwachtmeister Max Wattenhofer.‘“ – Da muss man zwangsläufig an Friedrich Glauser denken. Die Biografie der Frau Direktor Ramsauer schließlich, speziell ihre Jugendjahre, verweist recht deutlich auf Annemarie Schwarzenbach. Bleibt zum Schluss die Frage: Wurde der ganze Fall so inszeniert und wenn ja, warum und ist Wattenhofer klüger, als man annimmt? Lorenz Langenegger jedenfalls geht es um’s Erzählen. Und das kann er richtig gut. So gut, dass er seine Leser begeistert.

Titelbild

Lorenz Langenegger: Dorffrieden. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2016.
186 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270905

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