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Sándor Márais Roman "Ein Hund mit Charakter"

Von Bettina AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Albrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Achtung, werter Leser! Hier folgt eine Hundegeschichte!" Von dieser unmissverständlichen, vorangestellten Warnung Sándor Márais sollten sich die potentiellen Leser, die sich nicht unbedingt als Hundeliebhaber bezeichnen würden, nicht abschrecken lassen. Denn sie werden feststellen, dass sich in den Augen des Hundes nicht nur seine Seele spiegelt, sondern auch die seines Betrachters und dessen Artgenossen. Márai hofft: Wenn der Schriftsteller sein "Augenmerk ganz besonders auf den Hund richtet, erfährt er vielleicht auch etwas über den Menschen."

In seinem einleitenden Vorwort "Cave canem!" sinniert Sándor Márai also darüber, wie er der Versuchung erliegen konnte, einen Hunderoman zu schreiben: Der Schriftsteller "empfindet diese eigenartige Erregung [...] wie sie jeder Autor verspürt, wenn er sich entschlossen hat, das Leben anzugehen, und nicht nur den Willen, sondern auch den Mut hat, von ihm [...] etwas zu erfahren, und sei es durch einen Hund ..." Ihn treibt die Neugier, jenseits des Alltags einen Blick in einen anderen Bereich des Lebens zu werfen, "in das undurchdringliche Gewirr der dämmrigen Nacht."

Seit Sándor Márai durch den Erfolg seines neu verlegten Romans "Die Glut" als einer der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, ist bekannt, dass sein Blick Erstaunliches zum Vorschein zu bringen vermag. Márai wurde 1900 in Kaschau, heute Košice, in der Slowakei geboren. Bevor er 1928 als Journalist nach Budapest zurückkehrte, lebte und studierte er in verschiedenen europäischen Ländern. In den 30er Jahren war Márai einer der erfolgreichsten Schriftsteller Ungarns und veröffentlichte mehr als zwanzig Romane - darunter auch "Ein Hund mit Charakter".

Dieses stark autobiographisch geprägte Buch ist der erste von Márais typischen Memoirenromanen. Márai war in jungen Jahren unentschlossen, ob er sich als Journalist oder Schriftsteller verwirklichen sollte. So schöpft er in seinen Romanen stets aus Selbsterlebtem. Wie Ernö Zeltner, der Übersetzer, in seinem aufschlussreichen Nachwort schreibt, hat ein berühmter Nachbar Márais, der Schriftsteller Deszo Kosztolányi, ihm nach der Lektüre des soeben erschienenen Romans geraten, für einige Zeit in die Provinz zu verschwinden. Das ganze Viertel rede über das Buch und man wisse natürlich, wer all die zwei- und vierbeinigen "Figuren" seien.

Den Auftritt seiner wichtigsten Figur bereitet Márai in seinem Roman sorgfältig vor, damit das Fellbündel, dem er so überzeugend Leben einhaucht, auch ins rechte Licht gesetzt wird. Die Geschichte beginnt an Heiligabend. Der Herr und die Dame haben sich, wie auch die vielen Jahr zuvor, das Ehrenwort gegeben, dass es in diesem Jahr keine Geschenke geben wird. Ein Ehrenwort, das nicht zu brechen eine Schmach wäre. Ohne jede Idee begibt sich der Herr also mit seinen letzten 100 Pengö in die Stadt. Der Verzweiflung nahe, winkt er schließlich ein Taxi herbei, das ihn zum Zoo bringen soll. Verdächtig eilig verkauft der Wächter des Hundezwingers dem Herrn einen angeblich waschechten Puli, der ein Prachtkerl zu werden verspricht. Doch dass das Knäuel aus Fell, Schmutz und Stroh mit dem Namen "Tschutora" weder das eine noch das andere ist oder jemals sein wird, wird Leser und Herr bald klar: "Fehlt nur noch ein kurzer Stiel, und er würde als Klobürste durchgehen," stellt Herrchen fest. Und: "Klein ist sogar der Teufel süß." Wie recht er damit hat, darüber werden er, die Dame und auch wir am Ende staunen müssen, wenn Tschutora nicht nur seinen Charakter und sein wahres Gesicht, sondern auch seine Zähne zeigt.

Doch bis zu der unerwartet brutalen Auflösung lässt uns der großartige Erzähler Márai beseelt und tiefgründig zugleich an seiner Faszination für eine dem Menschen doch verschlossen bleibende Welt teilhaben. Márai führt seine Leser so nah an das Wesen Hund, zeichnet Leib und Seele, Charakter und Persönlichkeit Tschutoras so fein und komplex, dass jeder Hinweis, dass Márai tatsächlich einen solchen Hund besessen hat, überflüssig wäre: "Weder Pfiffe und Kommandos noch Gebärden richten in den ersten fünf Minuten dieser wahnsinnigen Raserei etwas aus, kein Befehl einer menschlichen Stimme, kein lockender Ruf dringt bis zu [Tschutora]. Ziellose, lustvolle Kräfte wirken jetzt in ihm, geheimnisvoller als jede Disziplin und die fragwürdige Bindung an den Menschen. Welch seltsamer Rausch, der eine Kreatur so mitzureißen vermag! - denkt der Herr mit leiser Sehnsucht. Wenn man nur einmal, ein einziges Mal!"

Nur scheinbar dreht sich in diesem Roman alles um den Hund: Alles hinterfragend, hinter allem die kleinen und großen Wahrheiten des Lebens entdeckend, scheint uns auch Herrchen selbst, scheint uns Sándor Márai mindestens ebenso präsent. Seine verborgenen Charakterseiten lernen wir mal auf ironisch-amüsante, ehrlich-ernsthafte Weise kennen. Die Neugier und der Freiheitsdrang des jungen Hundes kreuzen sich hier mit dem nüchternen Intellekt des Herrn. Auch wenn der Roman ein tragisches Ende nimmt, ist es nicht Spannung die fesselt, sondern es sind Charme, Atmosphäre, Stimmung, Reflexionen. Es ist diese besondere, aufregende Sicht Márais.

Titelbild

Sándor Márai: Ein Hund mit Charakter. Roman.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner.
Piper Verlag, München 2001.
249 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 349227028X

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