"Tom Kummer, schon der Name klingt erfunden"

In "Blow up" setzt sich der Schweizer Skandaljournalist mit der Wirklichkeit auseinander - ohne Gewähr

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mein Ruf ist ausgezeichnet" liest man verwundert gleich auf der ersten Seite von Tom Kummers Memoiren "Blow up". Allerdings meint er damit seine Reputation als Tennislehrer im exklusiven Jonathan Club in Los Angeles, wo Kummer seit ein paar Jahren arbeitet. Sein Ruf als Journalist ist hingegen ruiniert, seit ein "Focus-Artikel" über die unseriöse Arbeitsweise Tom Kummers im Frühsommer 2000 den Stein ins Rollen gebracht hatte. Ein Medienskandal nahm damit zwar nicht seinen Anfang, wurde aber publik.

Tom Kummers spektakuläre, Aufsehen erregende Interviews mit Hollywood-Stars, Sportlern und Promis der ersten Liga waren frei erfunden, im besten Fall waren sie aus Versatzstücken zusammengestellt. Eine Mediendebatte über journalistisches Ethos entbrannte, und 'Borderline-Journalismus' war das Unwort des Sommers. Infolge der Enttarnung Kummers als "Reporter des Satans" (so damals Alexander Osang, ironisch und mitfühlend, in einem "BZ"-Kommentar) wurden die beiden verantwortlichen Redakteure des SZ-Magazins, in dem einige Kummer-Interviews als Aufmacher erschienen waren, entlassen (Ulf Poschardt ist heute Chefredakteur der deutschen Ausgabe von "Vanity Fair", Christian Kämmerling Geschäftsführer eines Mediendiensts in der Schweiz).

Sieben Jahre nach der "Implosion des Realen" (so die Überschrift eines Interviews, das Kummer dem SPIEGEL gab) und zwei Jahre nach einem missglückten Comeback bei der "Berliner Zeitung" liegen nun Kummers Erinnerungen vor. "Blow up" lautet der Titel, der auf den gleichnamigen Filmklassiker von Michelangelo Antonioni verweist. Es geht also um Stil, die Wirklichkeit der Wirklichkeit und um Vergrößerungen.

Schwarz auf weiß kann man im 1997 bei dtv erschienenen Sammelband mit Kummer-Interviews "Gibt es etwas Stärkeres als Verführung, Miss Stone?" (der Band ist nach dem Eklat allerdings aus dem Programm genommen worden) nochmals die Star-Gespräche nachlesen. Der Klappentext preist Kummers Interviews als "provokant, witzig" an. Sie seien "das Coolste, was es an Star-Interviews in deutschsprachigen Landen derzeit zu lesen gibt". Tom Kummer "kennt sie alle, die Reichen, Schönen und Wichtigen."

Ulf Porschardt steuerte für das Buch das Vorwort bei, das mit folgenden Sätzen endet: "Kummer hat sich entschieden, im Rahmen des klassischen Journalismus seine Autorenschaft einzubringen und ihr Spaß und Intelligenz zu injizieren. Ohne Rücksicht auf Verluste - und, wie dieses Buch beweist, mit Erfolg".

Der sich allerdings als relativ herausstellen sollte. Rückblickend verwundert eines: Wie konnte man Kummers Gespräche jemals "für echt" halten? Das fragt sich auch Kummer selbst. Teils rechtfertigend und die Verantwortung den Redakteuren zuschiebend, teils noch immer überrascht und irritiert darüber, jahrelang damit durchgekommen zu sein.

Kummer schildert in "Blow up" seinen Lebensweg: Aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Bern, seine frühen Jahre als jugendlicher Tennisspieler, der nach einer Profikarriere strebt, die aber nach einer schicksalsträchtigen Niederlage gegen den späteren Weltklassespieler Yannick Noah versandete, der Tod seines Kette rauchenden Vaters, seinen Exodus ins Berlin der 1980er-Jahre.

Dort findet seine Prägung statt. Der junge Kummer mischt sich unter die Kreativen, lauscht den Monologen eines Martin Kippenberger, lässt sich von Nick Cave eine Serviette signieren, hat Affären mit später berühmten Künstlerinnen. Kummer, der nach Selbsteinschätzung eher der introvertierte, scheue Typ ist, inhaliert das Selbstdarsteller-Charisma. Schließlich landet er beim Zeitgeist-Magazin "Tempo". In diesem Umfeld fühlt er sich zwar nicht wohl, aber der Chefredakteur Markus Peichl (mittlerweile Redaktionsleiter bei "Beckmann") nimmt ihn unter seine Fittiche. Als Peichl gehen muss, entlässt dessen Nachfolger auch Kummer. Nicht ohne ihm vorher wegen seiner schlampigen Arbeitsweise die Leviten zu lesen, was jedoch ohne Konsequenzen blieb.

Denn Kummers Buch ist kein mea culpa. Es ist auch nur bedingt der Versuch einer Erklärung. Kummer stilisiert sich als lockeren Zufallsjournalisten, als einen "Außenseiter unter Außenseitern", als Schweizer, den es eher zufällig in die große, weite Welt verschlagen hat. So gut wie kein Wort zum Thema Verantwortung. Auch wenn er es nicht direkt ausspricht, liest man zwischen den Zeilen: Er ist stolz auf seine geleistete Arbeit.

Vom literarischen Gesichtspunkt aus betrachtet, sind Kummers Interviews brillant, singulär und vor allem unterhaltsam. Von der Warte des Journalismus' aus: eine Katastrophe. Dazwischen liegt ein Abgrund, den auch keine gut gemeinte medienreflexive Diskussion á la 'Interviews sind immer bearbeitet' überbrücken kann. Dass es sich 'bloß' um image-umnebelte US-Promis handelte, darf auch keine Rolle spielen. Welche Konsequenzen der Fall Kummer für die Presse und für die Praxis hatte, darüber würde man gerne in einem anderen Buch lesen.


Titelbild

Tom Kummer: Blow up. Die Story meines Lebens.
Blumenbar Verlag, München 2007.
272 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738261

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