Hofnärrinnen – weltberühmt

Pussy-Riot-Frontfrau Nadja Tolokonnikowa entzaubert sich mit ihrer infantilen „Anleitung für eine Revolution“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während des Vorwahlkampfes um die Präsidentschaft der USA bekundete die russische Performancekünstlerin und Pussy-Riot-Frontfrau Nadja Tolokonnikowa in einem Interview ihre Vorliebe für einen der Bewerber: „Ich mag ihn, ich unterstütze ihn und ich wünschte, es gäbe einen solchen Kandidaten in Russland.“ Gemeint war Bernie Sanders. Dass sich ihr Wunsch sobald erfüllen wird, ist zu bezweifeln. Unbezweifelbar ist hingegen, dass sie keinerlei Sympathien für den derzeitigen Präsidenten Russlands hegt, sondern ihn – ironisch, aber durchaus nicht ganz unzutreffend – als einen „durchgedrehten Möchtegern-Superheld, der halbnackt auf Pferden reitet und vor nichts Angst hat, außer vor Homosexuellen“ charakterisiert. Für ihre Geringschätzung hat sie allen Grund. Dass sie unter seiner Herrschaft zusammen mit zwei Mitstreiterinnen 2012 in einem Schauprozess zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil sie in der Moskauer Kathedrale ein Putin-kritisches Punk-Gebet vortrugen, steht dabei nicht einmal an erster Stelle. Viel wichtiger ist – nicht nur ihr –, was er in der russischen Gesellschaft anrichtet. Inzwischen hat Tolokonnikowa die Strafe abgesessen und ein Buch veröffentlicht, dass laut Titel verspricht, eine Anleitung zur Revolution zu bieten.

Leistet das Buch das aber wirklich – und will es das überhaupt? Tatsächlich wirft Tolokonnikowa in rund 200 kleinen Absätzen Schlaglichter auf verschiedene Kunstaktionen von Pussy Riot, berichtet – gelegentlich anekdotenhaft – über ihre Zeit im Straflager und porträtiert Mitgefangene. Beschlossen werden die Kapitelchen nicht selten mit einer auch schon einmal augenzwinkernden Parole, einer Losung, einer Devise, einem Merksatz oder einer Aufforderung, die sich des Öfteren aus dem zuvor berichteten zu ergeben scheinen und die zusammen womöglich tatsächlich so etwas wie die titelstiftende Anleitung für eine Revolution bieten sollen. Das tun sie jedoch mitnichten und so hält der Band auch nicht, was der Titel – vermutlich ebenfalls augenzwinkernd – verspricht. Man könnte allenfalls sagen, es seien (nebenbei gesagt, nicht selten recht fragwürdige) Tipps für eine Revolte, mehr nicht. „Lies keine Nachrichten, mach sie“, lautet etwa einer der Ratschläge. Das hätte vor einem halben Jahrhundert auch schon Jerry Rubin in sein anarchoides Yippie-Manifest Do It! schreiben können. Auch er war damals für seine happeningartigen Aktionen – als einer der Chicago Eight –vor Gericht geschleppt und schließlich wegen Verschwörung und Missachtung des Hohen Hauses zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Tolokonnikowas Aufforderung „Lebe mit voller Wucht“ wiederum klingt fast so radikal wie Janis Joplins konsequent zu Ende gelebtes Motto „life fast, love hard, die young“, das – wer hätte es gedacht – einen Country-Song der 1950er-Jahre zitierte. Manche Parolen hat Tolokonnikowa tatsächlich aus der Zeit Rubins und Joplins entnommen. „Alle Macht der Phantasie!“ etwa war ein Wandspruch der revoltierenden StudentInnen im Pariser Mai 1968. Die Parolen der Altvordern zu reproduzieren ist zwar wenig revolutionär, passt aber zu Tolokonnikowas Versicherung: „Alles Geniale wurde schon vor dir erdacht – du brauchst nur noch die Hand auszustrecken und zuzugreifen.“ Lässt sich eigentlich irgendetwas vorstellen, das ernüchternder klingt? Und vor allem weniger revolutionär?

Der Aufforderung „Protestiere lächelnd“ wiederum werden beispielsweise die ukrainischen Feministinnen von Femen wenig abgewinnen können, trainieren sie doch gerade, während ihrer Aktionen nicht zu lächeln oder auch nur freundlich dreinzublicken. Und dass „Auslachen der Mächtigen“, wie Tolokonnikowa meint, „eines der besten Mittel der Demokratisierung“ sei, muss auch bezweifelt werden. Lachen hat noch keinen Fürsten getötet, allenfalls seinen Hofnarren.

Wenn man Tolokonnikowa eines nicht vorwerfen kann, dann ist es Revolutionspathos. Doch ihre schnoddrigen und oft gedankenlos erscheinenden Statements, Maximen, Aphorismen, Überzeugungen und Empfehlungen sind auch nicht dadurch zu retten, dass einige von ihnen womöglich (selbst)ironisch gemeint sind. Das Buch fließt von ihnen geradezu über und es ließen sich problemlos noch weitere etliche Dutzend aneinanderreihen. Doch mag hier ein weiteres Beispiel genügen: „Sorge dafür, dass du das, was du kritisierst, aus eigener Erfahrung kennst.“ Muss man sich etwa hinrichten lassen, um gegen die Todesstrafe zu sein?

Eine Auffassung oder Forderung argumentativ zu entwickeln ist Tolokonnikowas Sache hingegen nicht. Dabei flicht sie gerne einmal ein, dass sie einige Semester Philosophie studiert hat, und lässt immer wieder Namen philosophischer, psychoanalytischer und auch schon mal gendertheoretischer Geistesgrößen aus den Seiten tropfen. Platon, Sokrates, Martin Heidegger, Michel Foucault und Sigmund Freud zählen ebenso zu ihnen wie Nikolaus Kopernikus und Giordano Bruno oder Jaques Lacan, Jaques Derrida und Julia Kristeva. Zu ihren weiteren Gewährsleuten zählen Immanuel Kant, der Apostel Paulus und die US-amerikanische Feministin Gloria Steinem. Zudem stellt sie sich in eine Reihe mit „Clowns und Provokateuren“ wie dem Herausgeber des Softporno-Magazins Hustler Larry Flint, dem österreichischen Religionskritiker Niko Alm und den Rolling Stones.

Die feministische Philosophin Rosie Braidotti wiederum „muss man einfach gelesen haben!“ Solcher Lektüren ungeachtet belässt Tolokonnikowa selbst es bei einigen gendertheoretischen Plattitüden und Verballhornungen philosophischer Sentenzen. So schnurrt ihr Kants Kategorischer Imperativ auf die Forderung zusammen, dass „deine Handlungen zum Vorbild für andere werden können“. Dann wieder bietet sie eine fragwürdige Lesart der Genesis und erklärt, die biblische Eva sei die „erste Feministin und überhaupt ʼne coole Braut“ gewesen. An anderer Stelle muss man lesen, „den Impuls zur Emanzipation“ besäßen „nur Frauen, weil Männer per se in einer herrschenden Position“ seien, oder dass „das Gefängnis, wie jede andere Grenzerfahrung den Menschen von falschen Ängsten befreit“. Ihr selbst sei die Haft sogar zur „beinahe religiösen Erfahrung“ geworden. Auch schert es die Autorin wenig, wenn verschiedene ihrer Statements nicht so recht zusammenpassen wollen. So bekennt sie sich zum Penis-Neid, verflucht den „verfickten Phallozentrismus“ und versichert: „Ich bin eine Frau, aber auch ich habe einen Schwanz, und der ist größer als Putins. In Wahrheit, sage ich dir, hat jede Frau einen Schwanz.“

Doch selbstverständlich ist keineswegs alles barer Unsinn. So empfiehlt die gläubige Christin etwa auch, „nasche lieber vom Baum der Erkenntnis, als dass du als seliger Idiot Gott am Hals hängst“. Zudem relativiert sie all ihre Tipps mit dem Hinweis: „Die wichtigste Regel für Ratschläge ist: Es kann keine allgemeingültigen Ratschläge geben.“

„Die Aktionen von Pussy Riot – sie haben etwas Niedliches, Kindliches“ und zeugten von der „anarchistischen, kindlichen Freiheit eines herzigen Übermuts, eines närrischen und durchgeknallten Propheten“, meint der Vater der Autorin. Da hat er so unrecht nicht. Auch das Buch seiner Tochter ließe sich in seiner oft pennälerhaften Art als kindlich charakterisieren. Immerhin aber richtet es sich offenbar – zumindest auch – an Jungen und Mädchen, die noch die Schulbank drücken. So etwa, wenn die Autorin ihren LeserInnen empfiehlt: „Statt für die Schule zu pauken, nimm lieber ein Buch, das dich wirklich interessiert und lies es.“ Und vielleicht sind Pussy Riot tatsächlich nicht mehr als Hofnärrinnen, die jedoch durch die hysterische Reaktion der tyrannischen Patriarchen in Russlands Staat und Kirche weltberühmt wurden. Den närrischen Anleitungen Tolokonnikowa zu folgen empfiehlt sich jedoch kaum. Zumal nicht in Ländern, in denen Leute vom Schlage des Kreml-Herrschers über Wohl und Wehe von Land und Leuten bestimmen. Denn nicht allen NärrInnen an den Höfen und in den Kerkern von Tyrannen wird von Popstars wie Madonna, Tarantino und Slavoj Žižek gehuldigt. Die meisten bleiben vielmehr unbekannt und verrotten in ihren Ketten, ohne dass dies im Westen auch nur eine gehobene Augenbraue hervorrufen würde.

Warum also sollte man dieses Buch lesen? Für sich genommen rechtfertigt der Inhalt wohl kaum die Lektüre. Vielleicht aber, weil Pussy Riot nicht zuletzt durch ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale und die Reaktion von Staat und Klerus zu einer Gruppe wurde, über deren ideologische Hintergründe und politischen Anliegen sowie ihre Vorstellungen davon, wie diese umzusetzen seien, man gerne Näheres erfahren möchte und sich die von Tolokonnikowa formulierte Frage stellt: „Was zum Teufel macht ihr Mädels da? Warum sitzt ihr nicht einfach auf dem Sofa und trinkt Bier?“ Die Antwort bietet ihr Buch.

Titelbild

Nadeschda Tolokonnikowa: Anleitung für eine Revolution.
Übersetzt aus dem Russischen von Friederike Meltendorf, Jennie Seitz.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
224 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247741

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