Und hinter tausend Texten keine Welt

Mareike Wegner untersucht parodistische Verfahren in den Romanen von Walter Moers

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Walter Moers muss als einer der bekanntesten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gelten. Seine meist dem fantastischen Kontinent Zamonien gewidmeten Romane erreichen eine breite Leserschaft, sind dabei aber weit mehr als konventionelle Fantasy-Produkte: Sie sind in einem eminenten Ausmaß Literatur aus und über Literatur. Insofern ist die vorherrschende Tendenz der Forschungsliteratur zu diesen Romanen nachgerade zwingend eine Fokussierung der zahlreichen und heterogenen intertextuellen Relationen zu anderen literarischen Produktionen aus den unterschiedlichsten Genres. Allerdings muss es fast verwundern, dass die philologische Beschäftigung mit Moers’ Texten noch immer sehr überschaubar ist. Neben einem längst zum Standardwerk gewordenen Sammelband von 2011 gibt es zwar vereinzelte Aufsätze und einige publizierte studentische Abschlussarbeiten (ohnedies ein gegenwärtiges Phänomen, dessen Häufigkeit befremdet). Die große Welle literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Moers ist aber bislang ausgeblieben. Liegt es an der allgemeinen Berührungsangst der akademischen Leser mit populären und vermeintlich trivialen Gegenständen? Oder daran, dass Moers seit 2007 keinen lesenswerten Roman mehr publiziert hat? Ketzerischer Gedanke: Ist es womöglich gar darauf zurückzuführen, dass die Texte einer intensiven weiteren Erforschung gar nicht mehr bedürfen, weil die Grundlinien ihrer Machart bereits hinreichend beschrieben sind?

Mareike Wegners im Aisthesis Verlag publizierte Dissertation ist eine der wenigen ernstzunehmenden Beschäftigungen mit Moers’ Erzählwerk, kann aber insbesondere den letzten Verdacht nicht völlig ausräumen. Das ist der Qualität der schlanken Studie freilich nur bedingt anzulasten. In sehr unterschiedlicher Gewichtung werden die bislang sieben Moers-Romane kenntnisreich mit literarhistorischen Modellen verglichen. Während Ensel und Krete mit großer und Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, Wilde Reise durch die Nacht sowie Der Schrecksenmeister mit einiger Ausführlichkeit diskutiert werden, erhalten Rumo und Die Stadt der träumenden Bücher weniger Aufmerksamkeit, Das Labyrinth der träumenden Bücher hingegen wird nur ganz beiläufig erwähnt. Eine Beschränkung, noch dazu im Rahmen einer Qualifikationsschrift, leuchtet natürlich ein. Der Grund der Gewichtung wird indes nicht ersichtlich, zudem ist es eine vergebene Chance: Wären alle Romane in gleicher Weise analysiert worden, hätte diese Studie sicherlich zum Referenzwerk werden können.

Nach einer Einleitung, die in das von Moers betriebene „Spiel mit der literarischen Tradition“ einführt, analysiert der erste Teil die parodistischen Verfahren im Modus der Gattungsreferenz. Dabei werden Käpt’n Blaubär vor dem Hintergrund der Modelle des Bildungs- oder Pikaro-Romans, Ensel und Krete im Spannungsfeld von Volks- und Kunstmärchens und Rumo als Adaption des Schemas des Artus-Romans verortet. Der zweite Teil setzt bei der Einzeltextreferenz an und vergleicht etwa den Schrecksenmeister mit seinem Prätext, Gottfried Kellers Novelle Spiegel, das Kätzchen aus dem Seldwyla-Zyklus, aber auch einzelne in die Romane eingeflochtene Gedichte mit lyrischen Texten, unter anderem von Rainer Maria Rilke oder Edgar Allan Poe. Der deutlich kürzere dritte und letzte Teil schließlich widmet sich der Bildreferenz und zeichnet nach, wie sich Wilde Reise durch die Nacht narrativ mit Illustrationen von Gustave Doré auseinandersetzt. Leider bricht die Studie nach diesem Teil etwas abrupt und ohne ein abrundendes, die Ergebnisse bündelndes Fazit oder einen Ausblick ab. Am Ende wird – zwar mit dezidiertem Bezug zu Wilde Reise, aber womöglich auch als übergreifender Anspruch – ein „Gleichgewicht von Scherz und Ernst“ konstatiert. Vielleicht beschreibt das die Moers’sche Poetik zutreffend: Neben all den (bisweilen etwas platten) Scherzen steht doch immer das durchaus ernstgemeinte, wenn auch mit scherzhaften Mitteln unternommene Projekt, die Funktionsweise von Literatur als Literatur auszuloten. Trotz mancher Einwände, etwa der Nichtbeachtung von Teilen der ohnehin nicht allzu umfangreichen Forschungsliteratur oder einem signifikanten Fehlen von Hinweisen auf postmoderne Praktiken, mit denen das Moers hier attestierte „Projekt ‚Parodie als Hommage‘“ treffend zu analogisieren wäre: Mareike Wegner liefert (auch wenn sicherlich über manchen Befund zu diskutieren wäre) zahlreiche gute Beschreibungen der Moers’schen Anspielungs- und Transformationsmanier.

Dennoch bleibt ein etwas schales Gefühl zurück. Mit großem Fleiß und mit zumeist überzeugenden Beobachtungen geht Wegner den parodistischen Verfahren nach, die für die untersuchten Romane grundlegend sind. Indem dabei unausweichlich die intertextuellen und intermedialen Verschränkungen zu Prätexten sowie vorgängigen Illustrationen in den Blick genommen werden, liefert die Studie neue Einzel-Erkenntnisse, fügt aber der bisherigen Sekundärliteratur prinzipiell wenig neues hinzu. Die vorherrschende Tendenz, die Moers-Texte mit ihren diversen Prätexten abzugleichen, wird fortgeführt. Das geschieht klug, belesen, sehr differenziert und mit dem Blick für Details. Es ist aber zu befürchten, dass die Moers-Forschung bereits einen toten Punkt erreicht hat, da es über den in seinen Grundzügen dann doch immer sehr ähnlichen Mechanismus der Text-Text-Relationen hinaus offenbar wenig zu untersuchen gibt. Angesichts des zunächst grenzenlos scheinenden Erzählkosmos, den Moers mit seiner Zamonien-Schöpfung eröffnet hat, ist es erstaunlich, aber es scheint hinter all den Texten, auf die diese Romane verweisen, keine erzählte Welt zu geben, die zu untersuchen sich lohnt.

Titelbild

Mareike Wegner: »Wissen ist Nacht!«. Parodistische Verfahren in Walter Moers‘ Zamonien-Romanen und in Wilde Reise durch die Nacht.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2016.
219 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783849811372

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