Der Mörder ohne Eigenschaften?

Jürgen Kaizik macht Musils Nebenfigur Moosbrugger zum Protagonisten

Von Julian IngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Ingelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wenige Tage nach Musils Tod am 15. April 1942 wurde in der Nähe des Grundstückes Chemin des Clochettes I die unbekannte Leiche eines etwa sechzigjährigen, kräftig gebauten Mannes gefunden“, behauptet Jürgen Kaizik im „Postskript“ seines neuen Buchs. „Die Beschreibung der Person passte zu keiner der Vermisstenmeldungen aus der näheren Umgebung während der vergangenen Wochen und Monate. Zuletzt fand man sich damit ab, dass die Leiche nicht zu identifizieren war.“ Die Leser des Romans Musils Mörder wissen, wer der Tote ist: Es handelt sich um Christian Moosbrugger, einen 50-jährigen Zimmermann aus Wien, der nach Genf gekommen war, um Robert Musil zu treffen. Moosbrugger ist jedoch nicht etwa Fan der „Schwärmer “ oder begeisterter Leser der „Verwirrungen des Zöglings Törleß“, sondern eine von Musils Figuren – ein Mörder, dessen Prozess und Inhaftierung im „Mann ohne Eigenschaften“ beschrieben wird.

Der Wiener Schriftsteller Jürgen Kaizik, der sich schon in seiner 1980 veröffentlichten Dissertation mit Robert Musil beschäftigte, verfolgt in Musils Mörder das Schicksal der Romanfigur, nachdem dessen eigentlicher Schöpfer sie aus den Augen verliert. Er beschreibt Moosbruggers Entlassung aus dem Gefängnis, erzählt von seiner Begegnung mit der Buchhändlerin Hedwig und imaginiert seine Gedanken bei der Lektüre des „Mann ohne Eigenschaften“. Das Buch, in dem Moosbrugger mit sich selbst und seinen Taten konfrontiert wird, stürzt ihn ins Elend: „‚Wenn die Menschheit als Ganzes träumen könnte, dann müsste so jemand wie Moosbrugger entstehen.‘“ […] Was sollte das heißen? Was konnte Musil damit gemeint haben? War ich nichts als ein Traum? Wollte er damit sagen, ich lebte gar nicht wirklich? War ich nicht ich?“ Was als Krise beginnt, endet als Rebellion. Die Figur Moosbrugger lehnt sich gegen den Schriftsteller Musil auf – und Kaizik zeichnet diesen Prozess unter stetigem Rückgriff auf den „Mann ohne Eigenschaften“ nach.

Diese Grundidee ist exzellent und wäre allemal spannend und komplex genug, um einen ganzen Roman zu tragen. Sie verspricht ein metaliterarisches Verwirrspiel, eine – wie es der Klappentext ausdrückt – „Jagd […], in der sich Wirklichkeit und Literatur auf unerhörte Weise ineinander spiegeln“. Doch leider verliert Kaizik sein Konzept allzu schnell aus den Augen. Anstatt sich auf sein philologisches Geschick und die Stärke seines Einfalls zu verlassen, anstatt also den Plan seines Protagonisten konsequent zu verfolgen, schickt er Moosbrugger von Wien nach Bayern und dann über München in die Schweiz. Und irgendwo auf diesem Weg verläuft die Handlung des Romans im Sand. Es sind einfach zu viele Themen und Motive, die Kaizik auf 150 Seiten abhandeln möchte: Da geht es um den Zauber des Lesens und das ärmliche Leben eines Schriftstellers, um einen Autor mit Schreibblockade, eine verzweifelte Romanfigur und um die Ähnlichkeit der beiden, um die Aggressionen eines Frauenmörders und seine Schwierigkeiten bei der Rehabilitation, um Musilwien und Nazideutschland. Was als komplexes Puzzle beginnt, erweckt schließlich den Eindruck einer unkonzentrierten Erzählung.

Immerhin: Kaizik schafft es, die ausgelegten Fäden in einem furiosen Finale wieder zusammenzuführen. Die Begegnung zwischen Musil und Moosbrugger verläuft zwar völlig anders, als der Leser erwartet, ergibt sich aber logisch aus dem Gesamtzusammenhang. Es lohnt sich also, der verschlungenen Handlung bis zum Ende zu folgen – auch deshalb, weil Musils Mörder ein sprachliches Kunstwerk ist. Zwar finden gelegentlich auch Stilblüten ihren Weg in den Roman, etwa wenn es heißt: „Auf dem Boden kniete Kathi und scheuerte den Boden.“ Doch trüben diese den positiven Gesamteindruck kaum, denn stilistische Kleinode schmücken das Werk allenthalben. Und besonders gelungen ist Kaiziks Text an den Stellen, die als Sternstunden des Zynismus in die Literaturgeschichte eingehen könnten: „Der Neffe seiner Frau, das war ein halber Jud, der sollte sich nun dort verstecken, bis alles vorbei war. Denn lange würde es nicht mehr dauern, das Tausendjährige Reich. Das hat der Meister gesagt, und dann wäre es gut, wenn man einen Juden gerettet hat.“

Titelbild

Jürgen Kaizik: Musils Mörder.
Braumüller Verlag, Wien 2016.
152 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783992001705

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