Der Bajazzo des Lachens

Donald Trump und die amerikanische Literatur

Von Severin PerrigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Severin Perrig

Warnen wir vor Donald Trump und seiner „managerial class“ mit Orwells „fantasy“-Alptraum 1984, so ist das ein gewichtiges literarisches Signal. Gleichzeitig aber zeugt ein solcher Vergleich mit einem Hauptwerk eines britischen Autors auch von wenig Kenntnis der Literaturgeschichte der Vereinigten Staaten. Das ist eigentlich merkwürdig angesichts des großen gesellschaftspolitischen Einfallsreichtums, für den die amerikanische Literatur seit jeher steht, egal ob sie sich dabei wie ein Seismograph oder wie ein „aufblitzendes Schießeisen“ (Ken Kesey) versteht.

Die älteste verfassungsmäßig garantierte Präsidialdemokratie blickt nicht nur seit ihren Anfängen auf eine rege politische Debatte um das richtige Verhältnis von repräsentativer Regierung und wählendem Souverän zurück, sondern seit John Trumbulls karikierendem M’Fingal-Epos (1775) und Hugh Henry Brackenridges Modern Chivalry-Satire (1792–1815) auch auf eine Literatur, die hierzu immer wieder zeitkritisch ihre Meinung und ihre Bedenken geäußert hat. Dabei steht gerade das Anwachsen des machtgebietenden Reichtums in den Händen von wenigen und die gleichzeitige Verarmung breiterer Schichten seit jeher im Fokus. Gerne wird da auch vor den hochgespülten, korrupten Opportunisten – darunter viele Journalisten und Abgeordnete – als manipulierenden „Scharlatanen“ gewarnt. Sie lassen all die demokratischen Grundsätze zu reinen Floskeln degenerieren, wie beispielsweise James Fenimore Cooper in seiner Littlepage-Trilogie (1845/46) zeigt, einem laut Arno Schmidt äußerst aufschlussreichen Werk für die amerikanische Mentalität zwischen 1750 und 1840.

Speziell Mark Twain und Charles Dudley Warner haben mit ihrem gemeinsam verfassten Roman Das vergoldete Zeitalter von 1873 nicht nur der Blütezeit der US-Wirtschaft bis zur Jahrhundertwende den Namen verliehen, sondern auch unter ihrer schillernden Oberflächlichkeit die rücksichtslose Jagd auf das schnelle Geld der Geschäftemacherei, die politische Korruption und den moralischen Zerfall gegeißelt. Und so entwickelten in der Folge Romanautoren wie William Dean Howells, Frank Norris, Theodore Dreiser oder Upton Sinclair den Typus des geldgierigen, skrupellosen, gar sexuellen Ausbeuters, dieser „fetten Burschen mit kleinen bösen Augen und ʼnem Maul wie ʼn Loch“ (John Steinbeck). Ja der Nobelpreisträger Sinclair Lewis hat mit der Romanfigur des Immobilienmaklers George F. Babbitt geradezu den Inbegriff eines zudringlichen, rassistischen Heuchlers mit Wahlredner-Talent kreiert, der bis zu John Updikes „Rabbit“-Figur oder Richard Fords unheroischen „Frank Bascombe“-Romanen den „American Dream“ illustriert wie parodiert.

Da ist es eigentlich nicht weiter erstaunlich, dass Ende der 1980er-Jahre, also nach den fetten, den Staat herunterwirtschaftenden Yuppie-Jahren unter Ronald Reagan und George Bush, selbst Donald Trump im literarischen Kontext auftaucht. Während der Pensionär Rabbit in aller Ruhe die Illustrierten-Bilder des „begehrtesten Mannes“ überblättert, erklärt eine Hauptfigur in Schweres Beben von Jonathan Franzen angesichts solcher „hohlköpfiger, reicher Arschlöcher“, dass es „doch kein Wunder ist, dass wir Arbeiter uns alle wünschen, wir wären Donald Trump.“ Aber nicht nur die Arbeiterklasse mag von ihm eingenommen sein, auch der Serienkiller Patrick Bateman in American Psycho von Bret Easton Ellis ist ein Fan des „Helden Donny“, über den und von dem er alles liest, selbst dessen The Art of the Deal. Und im Schatten des „stolz glühenden“ Trump-Towers versucht er noch die lockere Lebensweise mit Ivana zu kopieren in einem doch eher blutigen Habitat. Bei allem Trash und Fun entwickelt der Psychopath Bateman allerdings auch so etwas wie ein politisches Credo, eine Art Wahlprogramm Trumps avant la lettre: neue Arbeitsplätze dank Protektionismus, Steuerreduktion und einer abschreckenden Immigrationspolitik. Es fehlt eigentlich nur noch die von einer Nachbarin gegenüber dem Sportreporter Frank Bascombe geäußerte Idee, „die Vereinigten Staaten sollten auf der ganzen Länge der mexikanischen Grenze eine Mauer errichten, so groß wie die Chinesische Mauer, und bewaffnete Männer darauf stationieren und diesen Ländern klarmachen, dass wir hier oben unsere eigenen Probleme haben.“

Mit einem solchen Programm kann Amerika in der Tat „jederzeit in den Faschismus abrutschen“, wie der amerikanische Philosoph Richard Rorty 1992 sagte. Entsprechend haben Fiktionen in den USA schon immer unbegrenzte Möglichkeiten im Inventar für ein quasi Weißes Tollhaus in Washington entworfen, inklusive Newspeak alternativer Fakten: etwa einen meuchelmörderischen Lyndon B. Johnson à la Macbeth in Barbara Garsons Theaterstück MacBird!, den von einem Computerhirn gesteuerten Nixon im Gedicht Tyrannus Nix? von Lawrence Ferlinghetti und dessen barbarische Bombardierung Kopenhagens in Philip Roths Roman Unsere Gang, den von Nazi-Deutschland fremdgesteuerten Faschisten Lindbergh in Verschwörung gegen Amerika desselben Autors (in der Nachfolge der Satire Das ist bei uns nicht möglich von Sinclair Lewis), oder einen Geistesbehinderten in Jerzy Kosinskis Being There. „Jedem Satiriker“, hat Philip Roth einmal erklärt, „der während der Eisenhower-Jahre einen futuristischen Roman geschrieben und sich einen Präsidenten Reagan ausgedacht hätte, wäre vorgeworfen worden, eine geschmacklose, nichtswürdige, pubertäre, antiamerikanische Schandtat begangen zu haben.“ Oder anders gesagt: Medienverdummung und zynischer Kommerz übertrumpfen beständig das literarische Vorstellungsvermögen und so bringt die Kultur „beinahe täglich Gestalten hervor, die jeden Romancier vor Neid erblassen lassen.“

Donald Trump als Präsident im „televisionland“ (Norman Mailer) war offensichtlich auch literarisch nicht wirklich absehbar. Gerade weil man über ihn derart lachen oder sich empören musste, hat man sich wohl allzu schnell in eine verkehrte Welt hineinamüsiert, der Medienwissenschaftler Neil Postman würde staunen. Und vielleicht steckt die amerikanische Gesellschaft in ihrem momentanen Schock wieder dort, wo Brackenridge 1792 seinen Captain Farrago wie einen Don Quijote für die Vernunft gegen die Windmühlen der Allgemeinheit anrennen lässt, während sein ungebildeter wie ehrgeiziger Diener Teague O’Regan – nomen est omen – dank Volkes Stimme gleich zum Staatsmann gewählt werden soll, so wie schon sein berühmter Vorläufer Sancho Pansa traumhaft zu seiner berühmten Statthalterei über „die Insul“ gelangte. Mag der Satiriker Brackenridge seine Leser darüber belehren, „dass das zwar alles Fiktion ist, aber ob Fiktion oder keine, die Natur der Sache kann es doch auch Realität werden lassen.“ Das Närrische und Schelmische einer solchen Groteske garantiert vielerlei Erheiterung, was man bisweilen den köstlichen „amerikanischen“ Humor genannt hat. Und so wusste auch schon 1775 John Trumbull von „Clowns“ zu berichten, die bezeichnenderweise gerade vom Bankrotteur zum „Diktator“ mutieren. Dass amüsierte Gelächter über den politischen Bajazzo droht allerdings angesichts eines real gewählten Trumps doch eher zu versiegen, denn es ist und bleibt letztlich ein bescheidenes Vergnügen des sich ohnmächtig fühlenden Geistes.