Aus dem Leben eines ganz normalen amerikanischen Geschäftsmanns

Sinclair Lewis‘ grandioser Roman „Babbitt“ in einer Neuübersetzung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man wird vieles über diesen George Babbitt sagen wollen, aber kaum, dass es sich bei ihm um einen in sich ruhenden, selbstbewussten und -gewissen Menschen handelt. Babbitt ist ratlos und desorientiert, verliert sich in seinen Routinen, ein Spielball in den Händen von Leuten, die tatsächlich das Sagen haben. Und ein solcher Mensch ist der Held eines höchst erfolgreichen Buchs, das man mit gutem Gewissen zu den Schmuckstücken der Klassischen Moderne zählen kann: Babbitt gehört zu den Romanen, die den Ruhm von Sinclair Lewis begründet und ihn zum ersten US-amerikanischen Literaturnobelpreisträger gemacht haben. Zu Recht, denn sein Porträt eines in einer fiktiven Stadt namens Zenith lebenden Immobilienmaklers ist von derart großer Wahrhaftigkeit, dass es einen Leser schaudern und ratlos zurücklässt. Zu viel hat dieser Roman von dem, was auch das Leben in der Moderne einhundert Jahre später kennzeichnet. Was Lewis also von Babbitt erzählt, erzählt er auch von uns?

1922 erschienen enthält der Roman bereits alles an Elementen, die das Leben in einer modernen aufstrebenden amerikanischen Stadt bestimmen: Diese Stadt Zenith boomt, was genügend Arbeit für einen Immobilienmakler generiert: Neue Stadtteile müssen erschlossen werden, das Straßenbahnnetz wird ausgebaut. Es gibt schon suburbs und ein downtown, die für uns heute das Bild der amerikanischen Metropolen bestimmen. Babbitt fährt ein Automobil, raucht seine Zigarren und will doch eigentlich gesünder leben, was ihm regelmäßig misslingt. Ein schwacher Mensch, der das große Wort führt. Der mittlere Held also par excellence, mit – zugegeben – wenig heldenhaften Eigenschaften.

Eine Satire? Oder doch eine Anklage? Babbitt als Satire, als heftige Kritik an den Absonderlichkeiten der modernen Welt einzustufen, wäre die einfache Antwort, mit der man sich Fragen, die der Text aufwirft, gut und gerne vom Leib halten kann. Denn was hat dieser leicht übergewichtige Mann in der Midlife-Crisis mit uns zu tun? Doch wohl nichts, oder? Aber was sollte er auch mit uns zu tun haben, die wir doch gelernt haben, in solchen Verhältnissen zu leben und einigermaßen damit auszukommen.

Immerhin ist dieser George Babbitt eine außerordentlich unfertige Gestalt, abhängig von der Meinung seiner Umgebung, alles nachplappernd, was man von ihm erwartet, eingezwängt in ein Leben, das mit gutem Grund als entfremdet und uneigentlich gelten kann. Er sieht sich in einem Dasein gefangen, das er einerseits aus vollem Herzen bejaht, da es für ihn unerhört einfach ist. So zu funktionieren, wie es der Rest der Welt von ihm verlangt, wird eben auch belohnt.

Andererseits führt Babbitts schwaches Selbstbewusstsein ihn dann doch einmal auf abseitige Pfade, in die Zenither Boheme, zu Abenteuern mit jüngeren und nicht mehr ganz so jungen Frauen und zu Alkohol ohne Ende (in Prohibitionszeiten ein extravagantes Vergnügen). Was nicht gut enden kann. Der Ausflug ins gute Leben ist dann auch bald beendet.

Babbitt gehört in Zenith zu jener Mittelschicht, die zwar nichts zu sagen hat, aber dennoch ganz gut mitverdient an den großen Geschäften, die andere machen. Er ist ein Mann – was er gern betont – , der stolz darauf ist, dass er mit flotten Sprüchen für sein Geschäft zu werben versteht, was die Peinlichkeiten nur noch verstärkt. Ein moderner Mann, der mitten im Leben steht, die widerborstigen Kinder einerseits und die vernachlässigte Ehefrau andererseits eingeschlossen.

Er lebt in einem Haus, das den anderen Häusern in seinem Umfeld gleicht wie ein Ei dem anderen. Sein Tagesablauf ist immer gleich. Er ist Mitglied jener Clubs, zu denen man gehören muss. Er speist mit seinen Clubkollegen jeden Mittag, gelegentlich nur mit seinem besten Freund, der in ihm eine melancholische Ader freilegt. Er spielt gelegentlich samstags eine Runde Golf, was sonst. Er hasst Gewerkschaften und Kommunisten sowieso, auch wenn er im Roman zwischenzeitlich eine moderat liberale Phase hat, in der er sich ein bisschen weniger militant zeigt als sonst. Er ist stolz auf das Erreichte, das ihn aus der Masse abhebt. Ein mustergültiger Vertreter der amerikanischen Lebensweise, der in Krisenzeiten auch seine werbende Stimme für den Status quo zu erheben versteht. Ein Republikaner ist er in jedem Fall, und es ist eine der Entdeckungen des jüngsten Wahlkampfs, dass dieser Babbitt tatsächlich ein Talent zum Politiker hat und in Wahlversammlungen zu reden versteht. Ein Naturtalent, das zu Höherem berufen war, zum Anwaltsleben oder gar zur Politik, wenn er sich denn nicht frühzeitig entschieden hätte, Geld zu machen und in die Immobilienbranche zu wechseln. Wo er eben auch bleiben wird.

Also eine Anklage, eine Kritik? Was das angeht, ist der gut beraten, der sich nicht zu schnell auf die sichere Seite schlägt, nicht mal auf die eines variierten Steppenwolfs, sondern diesen Dünnbrettbohrer Babbitt in seiner ungeheuren Widersprüchlichkeit auf sich wirken lässt. Ein Meisterwerk, zweifelsohne.

Titelbild

Sinclair Lewis: Babbitt. Roman.
Mit einem Nachwort von Michael Köhlmeier.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Manesse Verlag, München 2017.
784 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783717523840

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