Ein zuckersüßer Aufruf, das Glück im eigenen Selbst zu finden

„Eine fast perfekte Welt“ von Milena Agus untersucht Ehrgeiz, Enttäuschung und die familiären, kleinstädtischen Bande, die manchmal zu sehr binden

Von Madeleine BrookRSS-Newsfeed neuer Artikel von Madeleine Brook

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine fast perfekte Welt ist der elfte Roman von Milena Agus, mittlerweile eine feste Größe in der späteren Generation der Neuen sardischen Literatur. Ursprünglich 2017 unter dem Titel Terre promesse auf Italienisch erschienen, wurde er nun von Monika Köpfer ins Deutsche übersetzt, die man mittlerweile sicherlich als Agus‘ deutsche Stimme bezeichnen kann, da sie seit 2006 an so vielen Werken der Autorin mitgearbeitet hat.

Agus wendet sich in diesem Roman, wie schon in so vielen ihrer früheren Werke – das bekannteste und preisgekrönte Beispiel ist Mal di Pietre (2006; dt. Die Frau im Mond) –, erneut der sardischen Kultur und Gesellschaft zu. Es geht um die Lebensgeschichten mehrerer Generationen sardischer Frauen, die auf unterschiedliche Weise nicht dazugehören, und um den Kampf ums Glück, vor allem aber um die Selbstverwirklichung und Zugehörigkeit in einer Welt, die ihren Erwartungen nicht Genüge tut.

Die Geschichte beginnt jedoch nicht mit der Rastlosigkeit der Frauen, sondern mit den Streifzügen der Männer, die mit ihnen verbunden sind, und bei denen der Zweite Weltkrieg seine Spuren hinterlassen hat: Esters Verlobter kehrt kurz aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft und einem Leben auf dem Meer nach Hause zurück, ist aber enttäuschend unattraktiv geworden – er sehnt sich nach der Auswanderung nach New York; Esters Bruder wiederum ist nach dem Krieg arbeitslos geworden und stellt eine bittere Enttäuschung für seine Mutter dar.

Wie diese Männer ihren ‚Ausbruch‘ aus der bisweilen klaustrophobisch konservativ wirkenden Dorfgesellschaft gestalten, der aber nur bedingt als erfolgreich zu bezeichnen ist, dominiert die ersten Kapitel des Romans. So wie Ester auf ihren Verlobten gewartet hat, müssen die Leser*innen  auf die Geschichten der Frauen warten, die zwar in den ersten Kapiteln angedeutet werden, aber erst mit Esters Heirat und dem ersehnten Auszug aus dem Dorfleben in den Vordergrund treten. Dabei folgt Ester die von ihr oft gestellte Frage – ‚Wie schafft man es bloß, an einem solchen Ort zu leben?‘ – von Sardinien aus nach: sie findet weder in ihrer Ehe, noch in ihrem Leben auf dem Festland, noch in ihrer Tochter wirkliche Zufriedenheit.

Esters Tochter Felicita dagegen scheint ihr Glück in den kleinen Dingen des Lebens zu finden, fast wie eine sardische Pollyanna in ihrer Entschlossenheit, mit dem zufrieden zu sein, was sie hat. Doch diese Einstellung wird immer wieder auf die Probe gestellt – eine dysfunktionale Beziehung, die Herausforderung, ein unabhängiges Leben als alleinerziehende Mutter zu finden, Krankheit, die Auswanderung ihres Sohnes, seine nur unter großen Mühen erkämpfte Musikkarriere und sein tragisches Liebesleben. Und nebenbei sammelt Felicita verlorene Seelen ein, deren Leben bisher nicht die Erfüllung gefunden hat, von der ihr eigenes so erfüllt zu sein scheint.

Agus rast durch die Geschichten der älteren Frauen: Sie alle, so scheint es, dienen als Aufhänger für Felicita, auf die sich gut drei Viertel des Romans konzentrieren. Das wirkt für einen Generationenroman – so wird das Buch im Klappentext bezeichnet – bemerkenswert unbefriedigend. Die leichte Ironie der Erzählung, der Erzählbogen des Wandels der Generationen und der Gesellschaft, die fast chorartigen Einwürfe der Dorfbewohner, Familien und Schulkinder, die die Geschichte mit manchem sardonischen Kommentar bestreuen, die Hinweise auf die Motive des Ozeans, der Musik, der Kreativität und der Selbstverwirklichung, und vieles mehr bilden einen Gegenpol zur Süßlichkeit der programmatisch benannten Protagonistin, der sie aber letztlich nicht ausreichend ausgleichen kann.

Titelbild

Milena Agus: Eine fast perfekte Welt.
Aus dem Italienischen von Monika Köpfer.
dtv Verlag, München 2020.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783423282116

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