Alles nur geträumt

Marion Poschmanns poetischer Reisebericht „Die Kieferninseln“

Von Pascal LöfflerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pascal Löffler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Rezension ist ein Gegenentwurf zur Buchbesprechung von Jenny Schiemann.

In Japan isst man Sushi traditionell mit den Fingern und in einem Happen. Man sollte beim ersten Mal nicht zaghaft rumprobieren, ein kleines Stück abbeißen und dann denken: So toll ist es ja gar nicht, warum nur dieser Hype? Im Land der Zurückhaltung und Etikette ist es ein Fauxpas, dem Gericht aus kaltem, klebrigem Reis mit rohem Fisch die Ehre zu verweigern, mit einem Male seinen Geschmack entfalten zu dürfen. Wem es dann doch nicht schmeckt, sollte es sich möglichst nicht anmerken lassen. Immer schön lächeln. So schwer ist das nicht.

Wem als Leser das Feuilleton als rezeptionsweisender Literatur-Knigge dient, sollte auch mit dem in Japan spielenden Roman Die Kieferninseln von Marion Poschmann umgehen wie mit Sushi. Am besten an einem Stück lesen, lächeln und nicken. Diese klebrigen Naturbeschreibungen mit Suizidthematik gefüllt, eingerollt in einem poetischen Reisebericht. Vorzüglich. Außerdem kommt es aus dem Hause Suhrkamp – ein unumstößlicher Garant für Qualität.             
„Jeder wird dieses Buch zweimal lesen“, droht sodann die FAZ. Elmar Krekeler schwärmt in der Welt vom zierlich-zerbrechlichen Roman. Das ganze Feuilleton ist gerührt. Man möchte sich in den Armen liegen. Und wer will sich da noch erdreisten zu fragen: warum eigentlich? Wahrscheinlich muss man es wirklich zweimal lesen. Vielleicht ist man auch nur schon zu gesättigt von der Realität, sodass man das Traumhafte im Roman gar nicht mehr runterbekommt. Das wird es wahrscheinlich sein.             

Denn die Ausgangssituation des Romans ist doch interessant. Der Bartforscher Gilbert Silvester fliegt, noch gar nicht richtig wach, nach Japan, weil er im Traum von seiner Frau betrogen wurde. Wer das abstrus findet, der hat augenscheinlich keinen Geschmack oder ist zumindest nicht offen für Neues.
Obwohl der Traum als Sujet in der Literatur ja eigentlich nicht neu ist, spätestens nach Freud.
Da werden in den Ismen um 1900 in den verschiedensten Formen das Unterbewusste, Rauschhafte, die Ich-Dissoziation von der Welt und die Frage, wo die Realität aufhört und die Fiktion anfängt in der Kunst behandelt. Im Traum ist alles anders. Da zeigt sich, was im Oberstübchen eigentlich wirklich vonstattengeht. Alles ist symbolisch aufgeladen, und wenn das im Unterbewusstsein entstandene Bild keine höhere Bedeutung generiert, dann ist es im Zweifelsfall immer ein Phallus in Verkleidung. Aber so einfach ist es in den Kieferninseln dochnicht.       
                 
Nach seiner Ankunft in Japan begegnet Gilbert einem Japaner namens Yosa Tamagotchi, der sich gerade am Bahnhof in Tokyo umbringen will. Der Slapstick, hervorgerufen durch den (nach Gilberts Auffassung) total unfähigen Yosa, lässt nicht lange auf sich warten, und die Absurditäten nehmen ab diesem Moment rapide zu. Dass die Suizidthematik ziemlich entspannt und zynisch behandelt wird, ist gar nicht überraschend. Ja, zum Teil ist es sogar ganz lustig. Wenn man nicht gerade dabei ist, sich zu fragen, was zum Teufel da eigentlich passiert, kann man ab und zu schmunzeln. Nun gehen nämlich Gilbert und Yosa gemeinsam auf die Suche nach einem geeigneteren Ort, um den Suizid angemessen durchzuführen. Der Japaner mit Bart-Attrappe hat einen Suicide-Guide bei sich, ein Büchlein mit den Empfehlungen der schönsten Orte, um sich ein für alle Mal vom Leben zu verabschieden. Gilbert dagegen wählt das berühmte Reisebuch Auf schmalen Pfaden ins Hinterland von Matsuo Bashō und unternimmt mit der Lektüre und Yosa eine (natürlich) nicht geradlinig verlaufende Reise zu den titelgebenden Kieferninseln – eben dem Platz zum Sterben. Wer sich umbringt, wer träumt, wer wacht und ob überhaupt, das sei hier nicht vorweggenommen. Aber es sei gesagt: Es passieren Dinge, mit denen man nicht rechnet. Außer man zieht die interessanten Motive vom poetischen Blattgeflüster des Buchs ab. Dann rechnet man doch schon damit: dass unterm Strich nicht viel übrigbleiben kann, außer einem etwas längeren Kalenderspruch zum Nachdenken.       

Orte und kulturelle Besonderheiten sind faktisch belegbar. Immerhin gibt es somit eine gewisse Klarheit im Roman, der anscheinend nicht grundlos auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis stand.
Aber war da nicht noch etwas zu klären? Ach, stimmt. Die Rolle der Bartforschung, die im Traum betrügende Frau und die Frage, was da falsch läuft bei den Protagonisten. Auch nach der letzten Seite ist man kaum schlauer geworden. Aber man hat Baumarten kennengelernt, von denen man zuvor nichts wusste. Und schön geschrieben ist es ja. Doch hätten nicht ein paar Gedichte gereicht? Warum Prosa? Warum nicht einen Gedanken zu Ende denken? Yosa und Gilbert bleiben Schemen, wandelnd durch ein poetisches Faksimile Japans. Wenn jemand was erlebt, dann der Leser, der versucht hinter den Kōans, den Kiefernnadeln und dem fallenden Laub den Sinn zu finden. Vielleicht ist es die Reise in der Reise? Die Reise in sein eigenes Ich? Ist das möglich? Eine Klärung ist nicht immer notwendig. Vor allem nicht in der Literatur. Kein Autor geht eine Verpflichtung ein, dem Leser verständlich zu machen, worum es im Kern geht. Doch schwieriger wird es noch, wenn der Kern nur runtergebrochen werden kann auf: Selbstfindung. Ist der Roman mehr als eine Zusammensetzung von Absurditäten, Poeterey und esoterisch-ironischem Kitsch? Entfaltet sich erst im Nachgeschmack das Geniale?    
Bis jetzt bleibt nur der Geschmack von kaltem Reis und rohem Fisch. Etwas eingelegter Ingwer soll den Gaumen neutralisieren. Vielleicht hilft in diesem Fall auch ein zweites Lesen?

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Marion Poschmann: Die Kieferninseln. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
165 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783518427606

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