Himmel, Hölle, Fegefeuer

Philip C. Almonds diachroner Spaziergang durch die im Abendland ersonnenen Nachtodwelten

Von Wolfgang HerbertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Herbert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Düster beginnt die Geschichte des Jenseits im Westen. Sowohl im Judentum als auch bei den alten Griechen ist es ein finsterer Ort, eine schummrige Schattenwelt, in der die Verstorbenen wie Zombies ein Halbleben führen. Der Hades, wie er in den homerischen Werken Ilias und Odyssee (beide 8./7. Jahrhundert v. Chr.) auftritt, bezeichnet zugleich einen dunklen Lokus wie auch den Gott des Todes und Herrscher der Unterwelt. Dasselbe gilt für die jüdische Sheol, womit sowohl ein Ort und als auch eine Person bezeichnet wird. Im alttestamentlichen Deuteronomium (ca. 650 v. Chr.) findet sich ein Verbot nekromantischer Kulte, das auch sofort von Saul durch Indienstnahme eines weiblichen Mediums aus Endor, das ihm Zugang zur Sheol ermöglichen sollte, gebrochen wird. In den ältesten Vorstellungen gelangen alle Verstorbenen in dieselbe Schattenzone. Aber bald schon sollte es zwei Orte geben: einen für die Guten und einen für die Bösen. In der „Ilias“ zeichnet sich das schon ab: obwohl die meisten in den Hades geraten, gibt es noch den Tartarus, in dem die ärgsten Götterfeinde mit unsäglichen Qualen gepeinigt werden. In frühen apokryphen – jüdischen wie christlichen – Schriften ist bald die Rede von untilgbarem Feuer und der Hölle auf der einen Seite und einem gemütlicheren, Abrahams Schoß genannten Ort, in dem die Gerechten das Jüngste Gericht erwarten, auf der anderen Seite, wobei die beiden durch einen gewaltigen Abgrund voneinander getrennt sind. Damit ist auch eines der zentralen Motive für die Entwicklung von Jenseitsvorstellungen offengelegt: das Verlangen nach ausgleichender Gerechtigkeit.

Schon im Prolog zu „Afterlife“ stellt Philip C. Almond die brennenden Fragen, die die Menschen seit jeher plagten: Überleben wir den Tod? Werden wir mit unseren Lieben wieder vereint? Gibt es Bestrafung und Belohnung? Beginnt das Leben danach unmittelbar nach dem Tod oder erst mit dem Ende der Geschichte? Wie stellt sich das Nachleben dar: ist es gottzentriert oder herrschen horizontale soziale Beziehungen vor? An der Art der Fragen lässt sich ablesen, dass sich das Werk auf Nachtodvorstellungen im Abendland konzentriert. Und diesen geht der Autor penibel in zeitlicher Abfolge nach. Er greift sowohl auf bekannte orthodoxe Schriften als auch auf obskure Denker zurück. Geschickt zeigt er, wie sich Jenseitsfantasien eine aus der anderen entwickeln und aufeinander aufbauen. Wir wollen einige davon chronologisch nachverfolgen. Das Buch ist gegliedert in eine Liste der Abbildungen, einen Prolog, Epilog, sieben Kapitel, Endnoten, Bibliographie und Index. Das Schriftbild ist klein und auch durch den engen Druck allgemein und zumal bei Alterssichtigkeit gewöhnungsbedürftig. Das Buch enthält 34 Abbildungen, die in zwei Tranchen aufgeteilt sind. Sie sind inhaltlich chronologisch angeordnet, aber in Schwarzweiß- und Farbabbildungen in zwei Blöcke getrennt. Dadurch wurde die Seitenzählung auseinandergerissen, wodurch man anfänglich den Eindruck erhalten könnte, dass Fotos fehlten und durcheinandergeraten seien. Wahrscheinlich war es drucktechnisch günstiger so vorzugehen, verlangt dem Leser aber ein wenig Orientierungsarbeit ab. Lassen wir doch vorerst den Inhalt Revue passieren.

Von Nachhaltigkeit für die Vorstellungen zur Geografie der Unterwelt erwies sich ein apokrypher Text, eine gnostische Apokalypse des Paulus (Mitte 3. Jahrhundert n. Chr.), in der seine Reise durch Himmel und Hölle geschildert wird. Darauf wird Dante Alighieri (1265-1321) für seine „Göttliche Komödie“ (1307-1320) zurückgreifen. Das Paradies, ein Wort, das aus dem Altpersischen ins Griechische geriet und einen Garten oder Park bezeichnet, wurde demgemäß als der Garten Eden vor dem Sündenfall vorgestellt. Die Formulierung, dass es im Himmel „Flüsse von Milch und Honig“ gebe, findet sich schon in dieser Apokalypse. Daneben gab es die populäre Vorstellung von einer Stadt: dem Neuen Jerusalem. Himmlische Stadt oder elysische Gartengefilde – die beiden Bilder konkurrieren fortan miteinander und hatten über die Zeitläufte wechselnde Konjunktur.

Der Horror der Hölle wird mit Genuss beschrieben. Für Sexualdelikte etwa gibt es gruselige Strafen: Ehebrecher werden in eine Feuergrube geworfen, brennende Ketten um den Hals gelegt bekommen die, die vor der Ehe ihre Jungfernschaft verloren haben, Homosexuelle fallen in eine Grube mit Teer und Schwefel, durch die ein Fluss aus Feuer fließt, Eltern, die eine Abtreibung vorgenommen haben, werden beide auf Flammenpfeiler gespießt und von wilden Tieren zerrissen. Man darf sich fragen, ob die Verdammnis zur Hölle und solche sadistische Sühneformen für obige Vergehen nicht bis heute rigide Sexualmoralvorstellungen in der katholischen Kirche untermauert haben.

Für die Hölle gibt es die Bezeichnung „Gehenna“ und sie ist nur für arge Übeltäter vorgesehen. Der Name leitet sich aus dem Hebräischen „Ge Hinnom“ ab, womit ein Tal außerhalb Jerusalems gemeint war, in dem die Kanaaniter Baal und Moloch ihre Opfer dargebracht hatten. Er wurde somit zum Ort der Urteilssprechung über die Sünder beim Endgericht erkoren. Wird das Jüngste Gericht ins Spiel gebracht, und das ist eine zutiefst jüdisch-christliche Vorstellung, dann erheben sich sofort Fragen wie: was geschieht mit den Verstorbenen bis dahin? Die Evangelien sind sich da nicht einig: Bei Matthäus gibt es nach dem Tode weder Freuden noch Pein, während bei Lukas eine sofortige Bestrafung der Übeltäter und Verbannung in die Gehenna erfolgt und eine Belohnung der Guten, die in Abrahams Schoß Geborgenheit finden. Beginnen Himmel und Hölle (Belohnung/Bestrafung) unmittelbar nach dem Verscheiden oder erst nach dem Endgericht? Eine Unsicherheit, die theologisch immer wieder bearbeitet werden sollte.

Übrigens wurde bei der hellenistischen Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische (Septuaginta, ca. 250 v. Chr.-100 n. Chr.) die jüdische „Sheol“ mit „Hades“ übersetzt – durchaus adäquat, da die diesbezüglichen, obwohl diffusen, Nachweltideen sehr ähnlich waren. Nach dem Auftauchen der Zweiweltentheorie für die Toten, änderte sich das: In der von Hieronymus (347-420) erstellten lateinischen Übersetzung des Neuen Testaments (Vulgata, Ende 4. Jahrhundert n. Chr.) wurde aus dem für alle Verstorbenen vorgesehenen Hades infernus, das Luther dann mit „Hölle“ überträgt. Hieronymus verwendet aber auch den Begriff „Gehenna“, die den Bösewichten vorbehalten bleibt.

Dante wird eine dritte Welt in der abendländischen Jenseitsperspektive heimisch machen: Seine „Göttliche Komödie“ gliedert sich in drei Teile: Inferno, Purgatorio und Paradiso. Damit fand das Fegefeuer Eingang in den volkstümlichen Glauben. Von Albert dem Großen (ca. 1200-80) stammt der Terminus limbus, der ursprünglich den Saum eines Kleides bezeichnete. In Analogie dazu wurde der Ort am Rande der Hölle, an dem ungetaufte Kinder landen, Limbo benannt. Er unterschied wie andere große Theologen, etwa Bonaventura (1221-74) oder Thomas von Aquin (1225-74) zwischen einem Limbo für Kinder (limbus infantum) und einem für Noble und Gerechte des Alten Testament wie Moses, Abraham oder David (limbus patrum). Erwähnt sei das nur als Beispiel, wie viel theologische Spekulation und Spitzfindigkeit betrieben wurde, wenn einmal ein Problem aufgeworfen war. Die Frage nach dem Schicksal ungetaufter Kinder wurde seit dem 4. Jahrhundert zur theologischen Diskussion gestellt. Gregor von Nyssa (ca. 330-393) vertrat die Ansicht, da Kinder in einem Zustande natürlichen Gutseins geboren werden, seien sie bei einem frühen Tod nicht Objekt von Strafe oder Lohn. Dagegen stand die Doktrin der Erbsünde. Augustinus (354-450) befand, dass Kinder abgesehen von persönlichen Sünden von der Ursünde betroffen seien, hingegen der mildesten Verurteilung unterlägen. Peter Abaelardus (1079-1142) fügte dazu an, dass diese im Sinne der Gerechtigkeit verübte Milde durch die Güte Gottes noch weiter austariert werde. Die Kinder würden keine physische Pein verspüren, sie litten nur unter dem Verlust der Gottesschau (visio beatifica). Diese Form der Strafe wurde von Thomas von Aquin in einer weiteren Formalisierung als poena damni kategorisiert, der die materiellen und sinnlich erlittenen Strafen (poena sensus) gegenüberstünden.

Das Schicksal tugendhafter Heiden wurde schon von Clemens von Alexandria (ca. 150-215 n. Chr.) angedacht. Damit knüpfte sich im weiteren Kontext die Frage an, wem überhaupt Heil zuteilwerde. Clemens meinte, dass den Griechen die Philosophie und den Juden das Gesetz als Vorbereitung zum Empfang des Evangeliums geschenkt worden sei. Ihnen müsste also eine Chance zum Glauben zu finden, gegeben sein, womit sie zur Rettung gelangen könnten. Origines (185-254 n. Chr.) führte diese Überlegung weiter. Nur die zur Konversion Unwilligen kämen in die Gehenna, den anderen sei ein Auf- oder Ausstieg aus dem Hades möglich. Gelehrte Griechen und Juden sowie gute Heiden gelangten in den Schoß Abrahams, ja seien sogar durch den evangelisch bezeugten Abstieg Christi in die Hölle gerettet. Wie es mit dem Heil der rechtschaffenen Heiden beschaffen sei, führte zu der Frage, ob gute Werke allein zur Erlösung genügten oder ob der Glaube an Jesus unumgänglich war. Dies sollte zur zentralen Angelegenheit des Protestantismus werden.

Am nächsten Problemkreis lässt sich prächtig demonstrieren, wie sich ein ganzer Rattenschwanz an Überlegungen anhängt und zu teilweise skurriler theologischer Senfdazugeberei führt, wenn erst einmal eine bestimmte Prämisse gesetzt ist. Wir wollen von der Auferstehung reden. Ist diese als Postulat einmal aufgestellt, fragt man sich, ob es sich um denselben wie den ehemals irdischen oder einen idealen Leib handeln mag, der da aufersteht, und wieviel Körperlichkeit dieser Leib haben kann (zum Beispiel Geschlecht) et cetera. Das erste philosophische Werk zur Resurrektion stammt von Athenagoras (ca. 133 -190 n. Chr.). Er war Platonist und somit war für ihn der Mensch zusammengesetzt aus einem sterblichen Körper und einer unsterblichen Seele. Die Immortalität der Seele stand nicht zur Debatte. Von Platon (429-347 v. Chr.) übernahm er auch den Gedanken, dass manche Seelen übel genug seien, um ewig pönalisiert zu werden. Platon kommt womöglich das Privileg zu, als Erster für eine ewige Bestrafung plädiert zu haben! Dies galt für unheilbar Böse, die für immer im Tartarus schmachten mussten, während einsichtige Übeltäter sich nur zeitweise dort aufhielten und nach einer Purifikation daraus entkommen konnten. Da haben wir schon die Vorstellung einer Art von Purgatorium. Die Seelen behalten bei Platon eine eigentümliche „Körperlichkeit“. Andernorts spekuliert er über Reinkarnation, die selbst gewählt sei und gar zurück ins Tierreich führen könne oder umgekehrt. Von unseren Vorleben wüssten wir nichts, dafür sorgte der Fluss Lethe, der die Myriaden Wiedergeburten vergessen machte. Für Platon ist die Seele ohne Anfang und Ende. Da macht das Christentum eine andere Zäsur: sie ist, wie die Welt, ex nihilo erschaffen. Origines spielt über die Prä-Existenzlehre der Seele mit dem Wiedergeburtsgedanken. Der wird dann auf dem Konzil von Konstantinopel 553 n. Chr. zur Häresie erklärt. Damit hat sich die christliche Welt einer Option des Weiterlebens beraubt, das im altgriechischen Denken bei den Orphikern oder den Pythagoräern noch gang und gäbe war. Erst im 19. Jahrhundert sollte dieser Gedanke via das indische Denken wieder im Westen auftauchen.

Mit der Geschaffenheit der Seele verknüpfte sich das Problem der Weitergabe der Erbsünde. Immer wieder dürfen wir uns vor Augen führen, dass diese theologischen „Probleme“ nur aufgrund gewisser Prämissen erst entstehen: über den männlichen Samen soll es zur Transmission der Ursünde kommen, da die Seelen alle von Adam herstammen (Traduzianismus). Dagegen vertrat Thomas von Aquin die Ansicht, dass Gott nach der Formation des Fötus jeweils von Neuem eine Seele schaffe (Kreationismus). Im Weiteren erheben sich Fragen nach der Zeit und Ewigkeit, wenn diese einen Anfang (Schöpfung) haben soll.

Darauf gibt es die Antwort, dass Gottes „Zeit“ jenseits der Linearität stünde, also jenseits einer Sukzession von gegenwärtigen und dann zu vergangenen werdenden Momenten ad infinitum. Gerettete Seelen sollen an dieser Unbeweglichkeit Gottes über die Gottesschau partizipieren, ähnlich wie die Mystiker in ihrem hic et nunc (reines Hier- und Jetztsein). Hat die Schöpfung einen Anbeginn, so findet sie auch ein Ende im Jüngsten Gericht. Dann würden Leib und Seele wieder vereint. Dieser platonische Dualismus war der jüdischen Tradition fremd, in der der Mensch als eine psychophysische Einheit gedacht wurde. Für die Urchristen stand zumal das Ende der Welt noch unmittelbar bevor; für sie war Christus ihnen mit der Auferstehung des Leibes vorangegangen. Apokalyptische Erwartungen tauchen in der Geschichte periodisch auf und wieder unter, wobei in der Folge letzteres geschah. Almond betont kontextgerecht an mehreren Stellen, dass sich im Neuen Testament keine Unsterblichkeitsdoktrin finden ließe.

Nach Tertullian (ca. 150-220 n. Chr.) war die Auferstehung des Fleisches auch im Sinne der Gerechtigkeit unabdingbar. Die post mortem Qualen oder Freuden, mithin Bestrafung oder Belohnung, beträfen Körper und Seele, da beide Agenten von guten oder üblen Taten waren. Die Vergeltung geschah somit in ganz leiblicher Form. Demgegenüber hielt sich ein neuplatonischer Unterstrom, dem der Leib lediglich als Vehikel der Seele galt. Auferstehen würde danach ein idealer, spiritueller Körper. Mit Thomas von Aquin setzte sich ein aristotelisches Verständnis durch: Die Person sei eine Einheit aus Seele (Form) und Leib (Materie). Dies entspreche auch dem natürlichen Empfinden von „Identität“ und der Auffassung, dass die Schöpfung essentiell gut sei. Die auferstandenen Leiber würden von Gott wiederhergestellt und alle natürlichen Defekte bereinigt. Organisch seien sie bis in die Geschlechtsmerkmale perfekt, da der Körper aber der Seele untergeordnet sei, müssten sinnliche Bedürfnisse bis hin zu Speis und Trank nicht befriedigt werden. Diese Festlegungen waren notwendig geworden, da viel theologische Tinte für Kniffeleien verspritzt worden war, wie etwa, was mit Körpern geschehe, die von wilden Tieren oder Kannibalen verspeist wurden oder solchen, die vom Feuer vertilgt oder anderweit verstümmelt oder hässlich zugerichtet worden waren. Hier zeigt der Autor wiederholt eine Liebe zum Detail, die an scholastische Diskussionen erinnert und einen Teil des Charmes, aber auch der Langatmigkeit des Buches ausmachen. Er resümiert: „Die Geschichte des Lebens nach dem Tod im Westen ist kompliziert, ein oft verworrenes Eingespanntsein zwischen post-mortem oder post-apokalyptischem Leben, zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen unkörperlichen physikalisierten Seelen und körperlichen spiritualisierten Leibern.“ Diese Spannungen auszuhalten und zu managen war die Aufgabe des christlichen Denkens und die war schier unlösbar, da Plausibilität nur bei Aufgabe einer der Alternativen gegeben war.

Damit sind wir im nächsten (vierten) Kapitel zum Thema „Purgatorium und danach“ angelangt. 1336 wird in der päpstlichen Bulle Benedictus Deus deklariert, dass würdigen Seelen unmittelbar nach dem Tode die seligmachende Gottesschau zuteilwerde, und zwar unverstellt, klar und offen. Das kam einem Sieg des Platonismus gleich: für das Erleben war nur die (physikalisierte) Seele nötig. Eine weitere Konsequenz war, dass Himmel und Hölle nicht nach dem Endgericht, sondern sofort nach dem Tode ihren Anfang nahmen. Wichtiger als die Eschatologie war nun, dass die Entscheidung über das Schicksal der Seele gleich nach dem Ableben erfolgte. Schon Augustinus war der Ansicht, dass die Seelen nach dem Verlassen des Körpers einem Urteil unterzogen würden. Deshalb wurde die Reue vor dem Tode wichtig und das Sterbebett im Mittelalter zum Ort eines letzten Dramas. Es war die ultimative Chance durch Einsicht, Zerknirschung und Umkehr, die Fahrt zur Hölle zu vermeiden und nur in das Fegefeuer zu kommen.

Schon die Kirchenväter hatten zögerlich die Möglichkeit einer Purifikation eingeräumt. Dies war schlechthin mit der Gnade Gottes besser zu vereinbaren. Bis wohin sie allerdings ging, blieb ein Streitpunkt: die universalistische Meinung, dass alle Seelen rettbar seien, blieb stets in der Minderheit. Die Länge und Intensität des reinigenden Feuers wurde nach dem Grad der Sündhaftigkeit bestimmt. Mindere oder lässliche Sünden wurden von Todsünden unterschieden. Im Mittelalter blühte dann eine minutiöse Buchhaltung und Einteilung der Sünden je nach ihrer Schwere auf. Über das Fegefeuer entstand eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Auf dem Konzil von Florenz (1439) wurde festgeschrieben, dass Fürsprache der Hinterbliebenen und Gebete, Almosen und Messen den „armen Seelen“ im Purgatorium helfen können. Schon Beda Venerabilis (672/3-735 n. Chr.) hatte postuliert, dass Fürbitten der Lebenden und Gebete, Fasten, Tränen und die Eucharistie den Seelen drüben zugutekämen.

Es ging um eine bessere Ausgewogenheit von Gerechtigkeit (Abmilderung „ewiger“ Verdammnis) und Gnade. In diesem Kontext konstruierte Dante in seinem Purgatorio sieben aufsteigende Terrassen, jeweils eine für die respektive Kapitalsünde. Die Seelen dort flehen um Hilfe bei Madonna und den Heiligen. Die verfügten über einen Überschuss an Tugend und Verdiensten. Der war in einer Art himmlischer Bank (thesaurus meritorum) deponiert und konnte via Ablass und Milde an die Gläubigen transferiert werden. Die Päpste als Nachfolger Petri galten als Verwalter dieses himmlischen Schatzes. Und der war käuflich. Vorerst für die wahrhaft Reumütigen und Bußfertigen, um ihre Rettung zu erwirken. Zeitgleich mit den Kreuzzügen seit dem Ende des 11. Jahrhunderts konnten Kreuzfahrer Ablässe erwerben und solche auch Toten zuteilwerden lassen. Messe lesen wurde lukrativ. Berühmt ist und war Johann Tetzel (1465-1519), ein deutscher Dominikaner, der im Auftrag des Papstes Leo X. (1475-1521) zur Sanierung des Petersdoms in Rom spendengierig unterwegs war. Ihm wird der Spruch zugeschrieben: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“ Wir wissen, wohin das führte: Luther wetterte inbrünstig dagegen, schlug 1517 seine 95 Thesen an und löste damit die Reformation aus.

1513 wird auf dem Lateran-Konzil die „natürliche Unsterblichkeit der Seele“ festgeschrieben. Dies gegen immer wiederkehrende aristotelische Denkweisen, nach denen die Seele als untrennbar vom Körper gilt und ergo mit diesem vergeht. Das Purgatorium setzt voraus, dass die Seele weiterlebt und bewusst ist. Erlöscht sie, macht das Fegefeuer keinen Sinn, gleichfalls, wenn sie kein Empfindungsvermögen haben sollte. Das war im übrigen Luthers Strategie, um das Fegefeuer zu umgehen. Die Seele falle nach dem Tod in einen bewusstlosen Schlaf, weshalb sie nicht gepeinigt werden könne. Der Schlaf ende mit dem Jüngsten Gericht, nach dem sie per Auferstehung mit dem Leib wiedervereinigt werde. Calvin (1509-64) plädierte hingegen für ein bewusstes Fortleben der Seele, weshalb er wieder Abrahams Schoß bemühen musste, um das Purgatorium zu umgehen. Im 16. Jahrhundert waren sich die reformierten Kirchen dahingehend einig geworden, dass der Mensch aus einem sterblichen Körper und einer unsterblichen Seele bestehe. Daneben kursierten diverse andere Anschauungen. Die Annihilationisten leugneten die Unsterblichkeit der Seele. Radikale Mortalisten zogen einer ewigen Verdammnis eine völlige Auslöschung vor. Unter den Mystikern hielt sich ein pantheistisch, neuplatonischer Unterstrom, nach dem die Seele zum Absoluten Einen zurückkehre, aus dem sie qua Emanation gekommen war. Für sie waren Himmel und Hölle im Hier und Jetzt. Jakob Böhme (1575-1624) etwa meinte zudem, dass eine Lokalisierung von Himmel und Hölle zweifelhaft sei, da Gott und letztlich die mit ihm eins seiende Seele überall seien.

Thomas Hobbes (1588-1679) war Materialist und erklärte, dass die Rede von der Seele als unkörperlicher Entität ein Unsinn sei. Ihre Unsterblichkeit sei mitnichten „natürlich“, sondern ein göttliches Geschenk. Für Mortalisten wie Hobbes war die Idee der Immortalität der Seele eine von Platon oder Pythagoras ausgelöste griechische Krankheit. John Locke (1632-1704) verweist auf den Apostel Paulus, der keinen Unterschied zwischen Leib und Seele mache, wonach letztere nicht unsterblich sei. Die Unsterblichkeit käme nach der Auferstehung nur den Gerechten zu. Die Rede von ewigen Höllenfeuern bedeute nicht, dass die darin Schmachtenden davon nicht verzehrt würden. Durch die Gnade Gottes würden sie nach einer ihnen zugemessenen Zeit vernichtet werden.

Die Bibel betont die psychophysische Einheit und spricht nicht von Immortalität. Bei konsequenter Befolgung des Prinzips sola scriptura ergaben sich teilweise exzentrische (Bibel-)Lesarten. Ein Seelen negierender Materialismus und ein Seelen sterben lassender Mortalismus wurden im 18. Jahrhundert zum Mainstream. Die, die an die Auferstehung glaubten, gingen aber zunehmend davon aus, dass dabei die gesamte Person erweckt würde. So auch einer der größten Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Barth (1886-1968), der die Auferstehung nicht als Fortsetzung, sondern als Erfüllung des Lebens bezeichnete. Ironischerweise tauchten aber immer wieder „heidnische“ Anschauungen der Seele auf – das Bild ist von Barth –, die als Schmetterling aus dem Grabe herausflattere und dann ewig weiterlebe.

Kapitel 6 widmet sich der Frage nach den Geretteten und Verdammten. Die orthodoxe protestantische Sicht war binär. Himmel oder Hölle, kein Purgatorium. Das Schicksal der Seele stand für sie mit dem Tode unabänderlich fest. Der zutiefst menschliche Wunsch danach, dass die Ungerechtigkeit in dieser Welt in der jenseitigen durch Gerechtigkeit ausgeglichen würde und Tugend belohnt und Übeltat bestraft werde, hatte im Katholizismus nicht nur zum Glauben an die Rettung durch gute Taten, sondern bis zu deren Käuflichkeit geführt. Dagegen hielt Luther, dass der Mensch durch die Gnade Gottes gerettet werde, und nur durch diese, sei sie verdient oder unverdient. Er stand damit in der Tradition des Augustinus, der festgestellt hatte, dass die guten Werke sich ebenfalls der Gnade Gottes verdankten und so letztlich die seinen seien. Verschärft wurde diese Position in der Prädestinationslehre des Calvin. Für ihn war die Gnade Gottes Ausdruck seines souveränen Willens, der absolut ungebunden und frei und höchstes Gesetz war. Durch Adams Fall und die Erbsünde seien alle der Verdammnis anheimgestellt. Dass einige dennoch gerettet werden, verdanke sich dem Ausfluss göttlicher Gnade. Das war eine prekäre Lehre. Woher sollte da ein Anstoß zu einem ethisch guten Leben herkommen? Wie zeigte sich das Erwähltsein? Die Antwort war: in einem starken Glauben, innerer Frömmigkeit, persönlichem Gutsein und einem pietätvollen Leben. Es ging dabei nicht um die Akkumulation guter Werke, sondern um eine innere Haltung, ein festes Überzeugtsein des Gerettetseins. Max Weber hatte dies als systematische Selbstkontrolle und innerweltliche Askese festgemacht und als den Geist des Kapitalismus herausgeschält.

Schriftworte wie solche zur „engen Pforte“ oder „nur wenige sind auserwählt“ hatten zur allgemeinen Ansicht geführt, dass die Zahl der Verdammten die der Geretteten bei weitem übersteigen werde. Angesichts der hohen Kindersterblichkeit wurde gemutmaßt, dass die Mehrheit der Himmelbewohner aus Babys bestehen könnte. Anfang des 17. Jahrhunderts zeigte sich eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Auffassung, dass das Fatum der Seele mit dem Tod endgültig bestimmt sei. Der Cambridger Platonist Henry Hallywell (1641-1703) deklarierte, dass der freie Wille über das Grab hinaus bestehen bliebe. Es gäbe demnach die Möglichkeit der Purifikation und geistigen Läuterung. Das entspreche aber nicht dem Purgatorium, da dieses bestrafend wirke. Durch die Güte Gottes seien potentiell alle rettbar, auch die vor Christus Geborenen. Dass es ein moralisch-dynamisches Nachleben gebe, war im christlichen Denken neu. Dafür stand auch Immanuel Kant (1724-1804) ein. Nach ihm strebte der Mensch rational nach Perfektion. Die Seele strebe endlos nach dem höchsten Gut und das ist Gott. Somit müsse sie auch nach dem Tode in ihrem Streben nach Tugend frei sein. Erst mit dem letzten Gericht würde über Verdammnis oder Salvation bestimmt. Dennoch glaubte Kant an eine ewige Verbannung in die Hölle – wie die Mehrheit im 17. und 18. Jahrhundert.

In der Ausmalung der dortigen schrecklichen Qualen wurden „Sadismus und Pietät kombiniert, der himmlische Richter war ein omnipotentes Replikat eines irdischen Richters.“ Die Höllenstrafen waren Verschärfungen und Übersteigerungen von Folter und Marter, die auf Erden Kriminellen zugedacht waren. Dazu komme das Geheule und Geschrei grausamer Quälgeister, der Dämonen und Teufel. Der Horror des Infernums wurde mit biblischen Bildern untermalt: es herrsche absolute Dunkelheit, es war ein düsteres Gefängnis. Paradoxerweise diente Feuer als Züchtigung, aber dieses gebe kein Licht von sich. Über die Proportionalität der Strafen herrschte weitgehend Konsens. Das Glück der Seligen werde durch den Anblick der Höllenqualen noch erhöht und das Ungemach der Verdammten verschärft durch den Anblick der Glückseligen. Unter einigen Geistlichen galt dies bald als abscheuliche Vorstellung und sie wurde von Friedrich Schleiermacher (1768-1834) theologisch verabschiedet. Das hing wohl auch mit einer neuen Sensibilität zusammen. Straf- und Hinrichtungsspektakel verschwanden auch zunehmend aus der Öffentlichkeit. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Folge die physische Pein der Hölle weitgehend psychologisiert. Die Pönalisierung bestand nun in der Hölle selbst. Sie war nicht mehr Ort der körperlichen Strafexzesse, sondern bestand in der Abwesenheit Gottes und dem Wurm des schlechten Gewissens, von dem man permanent angenagt wurde. Als nächstes stand die „Ewigkeit“ der Hölle auf der Tagesordnung.

Die Ewigkeit der Strafe gab dieser freilich Gewicht und Abschreckungskraft und entsprach der Mehrheitsmeinung in der christlichen Tradition. Nur eine Minorität dachte, alle Verdammten würden einst erlöst oder endgültig vernichtet werden. Mit dem 17./18. Jahrhundert und der aufklärerischen Betonung der Vernunft reflektierte man, wie die Natur Gottes, sein Zorn, seine Güte, Liebe und Gnade mit Gerechtigkeit in Einklang zu bringen sei. Die ewige Bestrafung enthielt ein mittelalterliches Motiv der Rache und stieß nun auf den neuzeitlichen Sinn für ausgleichende Gerechtigkeit. Exegetische Zweifel tauchten auf, ob im Neuen Testament „ewig“ nicht schlicht „von langer Dauer“ bedeuten möge. Annihilationisten wurden laut, die dafürhielten, dass die höllischen Strafen nur temporär seien. Die Bösewichte würden nach ihrer Verbüßung liquidiert, quasi einen zweiten Tod erleiden. Darwinistisch gedacht hieß dies, wer für die Rettung nicht fit ist, stirbt aus. Universalisten meinten, das Ende der Bestrafung brächte nicht die Auslöschung, sondern die Erlösung, die war somit für alle = universal erreichbar. Wiederum war es Schleiermacher, der liberale protestantische Theologe, der als einer der ersten die ewige Verdammnis kategorisch ablehnte. In Deutschland fand er wenig Resonanz, unter anglikanischen Theologen hingegen gab es viele vehemente Gegner dieses „richterlichen Terrorismus“, der eine Blasphemie gegen Gottes unendliche und ewige Liebe darstelle. Der Bann ad aeternum wurde moralisch anstößig, auch da Atheismus für die Viktorianer eine ernstzunehmende Alternative geworden war, und die Doktrin der immerwährenden Verdammnis Grund genug, den Glauben aufzugeben. Wortgewaltig plädierten dafür zum Beispiel Samuel Taylor Coleridge (1772-1834) und später James Joyce (1882-1941), der die beklemmende Furcht, die einen beim Gedanken an eine ewige Tortur ergriff, in seinem Roman „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ eindringlich beschrieb.

Der Lehrsatz, dass die Seele natürlich unsterblich sei, bekam durch die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) Auftrieb, da nach dieser der Geist die Essenz des Universums und des Individuums darstellte. Gleichzeitig wurde immer lauter Religionskritik vernehmbar. Die wird nur kursorisch abgehandelt. Ludwig Feuerbach (1804-72) legte dar, dass die Religion und die Gottesattribute nichts als Projektionen von menschlichen Wünschen darstellten. Karl Marx (1818-83) monierte, dass diese Kritik des Himmels eine der Erde werden solle. Und Sigmund Freud (1856-1939) erklärte den Himmel zu einem illusionären Hoffnungsspender. Überhaupt war ihm Religion eine spirituelle Neurose, die es im Zuge des Erwachsenwerdens zu überwinden gelte. Himmel und Hölle verkamen zu reinen Metaphern. Sie wurden als post mortem Bewusstseinszustände angesehen und nicht mehr als geographisch lokalisierbare Orte. Der Glaube an den Fortschritt des 19. Jahrhunderts schrieb auch dem Individuum zu, dass es für moralisches Wachstum frei sei. Hinwendung zu Gott genügte nun, um die endgültige Erlösung zu erlangen.

Wie sah es nun im Himmel aus? Diese Frage hatte weniger Aufmerksamkeit erhalten als die Qualen der Hölle. Eine Antwort bestand in der Gotteszentriertheit. So meinte der Philosoph Thomas Brown (1605-82), am Ende der Zeiten sei die Welt völlig zerstört und nur die göttliche Präsenz und die gnadenreiche Gottesschau übrig. In klassischer Weise war auch der Puritaner Richard Baxter (1615-91) der Auffassung, die Vision Gottes sei die primäre Freude, und die Gemeinschaft mit den Heiligen und Engeln sei sekundär. Bei anderen Anglikanern kam noch die Geselligkeit mit den Märtyrern, Propheten, Patriarchen oder Aposteln dazu. Damit verschob sich das Thema der himmlischen Freuden auf die menschliche Gemeinschaft. Der Autor John Dunton (1659-1733) beschrieb das Treiben im Himmel als eine Fortsetzung des diesseitigen Lebens mit denselben sozialen Banden. Die Seelen hätten eine sexuelle Identität ohne sinnliche Beziehungen.

Die Dichterin Elizabeth Singer Rowe (1674-1737) fingierte zwanzig Briefe der Toten an die Lebenden, die sich einer hohen Auflage erfreuten. In ihrem Elysium ist Gott abwesend. Dafür sind Eheleute, Verwandte und Freunde alle vereint und die Liebe ist essentiell. Das reflektiert die sich ändernden sozialen Beziehungen und das Aufkommen der Liebesheirat. In ihr und im Himmel schenken sich die Partner spirituell, emotional und intellektuell Wohlbefinden. Die Grenzen zwischen Leben und Tod werden poröser. Der Himmel wird zu einem Kontinuum der Vita auf Erden. In ihm herrscht nun ein aktives Leben. Viel Zeit gebührt dem Gebet, Gesang, Gottesdienst, dem Lauschen von Predigten und Vorlesungen. Arbeit wird nach irdischen Kapazitäten und Fertigkeiten erledigt. Ältere Seelen führen jüngere ein. Es gibt ein Wiedersehen mit Freunden, Geschwistern und Eltern. Da nun alle in ihrem wahren Lichte erkannt werden, bleiben allerdings nur die echten Beziehungen aufrecht. Die Form der himmlischen Körper ist wieder eine eigentümliche Mischung aus physischen und spirituellen Elementen. Sie seien luzid und ätherisch und hätten ihre perfekte Idealform. Der Fokus geht in Richtung zwischenmenschlicher Liebe, die das Primat der göttlichen Liebe ersetzt. Die Gottesliebe wird über die Liebe zu anderen himmlischen Geistwesen realisiert, der gottzentrierte Himmel durch menschliche Sozialbeziehungen übernommen und säkularisiert.

Entscheidend war hier auch der Einfluss des „Geistersehers“ Emanuel Swedenborg (1688-1772). Er war ursprünglich Naturwissenschaftler und Bergbauspezialist, der in seiner Lebensmitte plötzlich von erschütternden Visionen heimgesucht wurde, die ihm das Wesen Gottes und des Himmels und der Hölle geoffenbart haben sollen. Kant war durch dessen Schriften schwer verstört und begann eine heftige Polemik gegen ihn. Seine Behauptungen „entbehren auch nur einen Tropfen der Vernunft“ und er sei der „Erzphantast unter allen Phantasten“. Sollte nämlich Swedenborg recht haben, wäre Kants rein rationales Philosophiegebäude eingestürzt. Für Swedenborg war unsere materielle Welt nur eine unter unzähligen bewohnten Planeten. Die Geister der Hölle und die Engel des Himmels hätten schon zeitlebens Einfluss auf den Menschen. Der ginge nach seinem Tode in die Welt der Geister (mundus spiritum) ein. Einige irrten länger noch erdnah herum. Die Bösen würden aufgrund ihrer Selbstliebe von höllischen Gefilden angezogen. Die Guten trieb ihre Nächsten- und Gottesliebe zur Wiedervereinigung mit ihren Freunden und Geliebten. Sie erleben eine Transformation in ihr wahres Selbst und nach Purifikation können sie Engel werden. Begegnungen finden von Seele zu Seele statt, es gibt eine universale Sprache, Idee und Wort waren darin deckungsgleich. Es gibt Paläste, Parks, Häuser und Gärten. Mann und Frau können heiraten und sexuell aktiv sein, wobei es aber nur zur Prokreation des Guten und des Wahren käme. Die bösen Geister führe es aufgrund ihrer Disposition zum Bösen in die Hölle, nicht aufgrund einer direkten Aktion Gottes. Es gäbe verschiedene Inferna, je nach Grad der Boshaftigkeit. Die Höllen seien voller Schmutz, Dunkelheit und wüster Ruinen. Die Dämonen quälten sich gegenseitig wie wilde Bestien. Auch in Swedenborgs Himmel wurden die verschiedensten Berufe ausgeübt und Aktivitäten und Gottesdienst gepflegt. Einige Geister würden zu Schutzengeln der auf Erden Lebenden, andere kümmerten sich um die Neuankömmlinge.

Der Poet William Blake (1757-1827) studierte Swedenborg eingehend und stand unter dem Einfluss von dessen Himmelsvorstellungen, die tief in die westliche Populärkultur diffundierten. Bei Blake finden sich Liebespaare im Paradies wieder. Der Himmel wird von ihm romantisiert und erotisiert. Er ist auch ein Ort spirituellen Wachstums, menschlicher Intimität, vergnüglicher Arbeit und angenehmer Freizeitpläsiers. Damit wurde das Ende einer Spiritualität eingeläutet, die von der Definitionsmacht der Philosophen, Pastoren und Priester dominiert gewesen war. Elisabeth Stuart Phelps (1844-1911) schrieb mit „The Gates Ajar“ den am zweitbesten verkauften Roman des 19. Jahrhunderts. Sie zitiert Swedenborg und projiziert das bourgeoise Leben in der englischen Provinz in jenseitige Gefilde. Alle werden zu Engeln und Jesus zum persönlichen Freund. Neu bei ihr ist, dass sich Tiere im Himmel tummeln. Die westliche philosophische Tradition von Aristoteles über Augustinus, Thomas von Aquin bis Descartes hatte den Tieren keine rationale Seele zugetraut, weshalb sie auch als nicht unsterblich galten. Mit der Evolutionstheorie Darwins hatte sich die Sicht geändert. Nun war der Mensch nicht mehr so radikal und kategorisch vom Tier verschieden. Zudem spiegelte sich in der neuen Sicht die Tatsache, dass das Halten von Haustieren im 19. Jahrhundert augenfällig zugenommen hatte.

Im selben Jahrhundert kam eine neue Mode auf, die die Jenseitsauffassungen konkretisierte und ausmalte. Der Spiritualismus (ehedem: Spiritismus) ging davon aus, dass es ein Leben nach dem Tode im Sinne einer Fortsetzung des irdischen gab, dass der Himmel allen offenstehe und Kontakt mit den Verstorbenen aufgenommen werden könne. Ansätze dazu gab es in Swedenborgischen Kreisen schon zuvor, aber die Geschwister Fox, die 1848 über Klopfzeichen mit Geistern zu kommunizieren vermeinten, gelten allgemein als Initiatorinnen der spiritistischen Manie. Allenthalben wurden Séancen abgehalten, sie boten einen Kitzel und Unterhaltung und wurden als Herausforderung an die Wissenschaft gesehen. Der Spiritualismus war eine amorphe Bewegung, die auf dem zentralen Glaubensartikel beruhte, dass die Seele weiterlebe und die Lebenden mit den Jenseitigen parlieren konnten. Die Botschaften war oft trivial, abgedroschen und belanglos, was schon die Poetin Elisabeth Barret Browning (1806-61) pikiert festgestellt hatte. Nachdem die Wissenschaft zunehmend zum Schiedsrichter darüber wurde, was wahr und faktisch sei, wurde folgerichtig 1882 die Society for Psychical Research ins Leben gerufen. Sie machte sich die Prüfung mesmerischer, psychischer und spiritueller Phänomene zur Aufgabe. Sie forderte Evidenzen für die Existenz von Geistern und konnte diese nicht finden. Dafür wurde eine Unzahl von Scharlatanen, Pseudo-Medien und Trickserei aufgedeckt. Der Magier Harry Houdini (1874-1926) führte einen regelrechten Kreuzzug gegen betrügerische Geisterbeschwörer(innen). In einer späteren Passage verweist der Autor darauf, das Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) ein Apostel des Spiritualismus war und dessen Ideen zum Himmel als einem harmonischen Ort der Seelenverwandtschaften, in dem Aktivitäten wie Kunst, Sport, Reisen oder Wissenschaft nachgegangen werde, propagierte. Er glaubte an eine spirituelle Welt, die auch Feen einschloss. Er berief sich da auf ein berühmt gewordenes Foto, auf dem angeblich Feen abgelichtet seien und das im Buch als Abbildung zu finden ist. Die Welt der Faune und Feen und Magier lebte ja dann in Tolkiens Werk und mit Harry Potter fantasiereich wieder auf.

Im modernen Leben des 20. Jahrhunderts spielt die Eschatologie kaum noch eine Rolle. Der protestantische Theologe Jürgen Moltmann (geboren 1926) konstatiert, eschatologische Fragen seien „… verdorrt wie Fische in einem ausgetrockneten Teich.“ Karl Rahner (1904-84) spricht von der Erfüllung der Zeit in dem Sinne, dass die Ewigkeit völlig außerhalb der linearen Zeit liege. In der liberalen evangelischen und katholischen Theologie wurde das Leben nach dem Tode zu einem Postskriptum.

Außerhalb der Theologie kursieren nicht-christliche Ideen zu einem Fortleben über den Tod hinaus. Aldous Huxley (1894-1963) machte mit seinem gleichnamigen Buch die philosophia perennis bekannt, nach der die Essenz aller religiösen Traditionen über die Zeitläufte und Kulturen hinweg in der mystischen Erfahrung liege und diese führe zum Absoluten, das von allen lediglich unter verschiedenen Namen verkündet werde. Er beruft sich auf den „Neo-Advaita-Vedânta“ des Swami Vivekananda (1863-1902), nach dem die individuelle Seele (âtman) mit dem Universum/Gott/Allseele (brâhman) essentiell wesensgleich ist und erstere nach unzähligen Wiedergeburten in einer finalen Absorption im göttlichen Einen aufgeht. Im Abendland wurden ähnliche Denkfiguren in neuplatonisch-mystischen Heterodoxien tradiert. Die Reinkarnation galt in der indischen Tradition als ein Horror, aus dem man Befreiung suchte. Als der Westen die Idee der Wiedergeburt im 19. Jahrhundert neu aufgriff, verband er diese mit dem zeitgeistig vorherrschenden Fortschrittsbegriff. Helena Blavatsky (1831-91), Mitbegründerin der Theosophischen Gesellschaft, beruft sich explizit auf Darwins Evolutionstheorie. Reinkarnation bot nun die Chance für ein beständiges Lernen und geistiges Wachstum. Wurde man einmal als Mensch geboren, war ein Rückschritt in pflanzliche oder tierische Lebensformen – wie in der vedischen Überlieferung – unwahrscheinlich. Die Theosophen machten auch das Konzept des Karmas im Westen heimisch. Dieses universelle, natürliche Gesetz balanciert Gut und Böse aus und stellt keine Bestrafung dar. Die eigenen Taten und ihre Aus- und Rückwirkungen dienten der Erziehung und der spirituellen Weiterentwicklung.

Der spirituelle Fortschritt wurde zum Hauptthema des New Age. Eine frühe Proponentin, Marilyn Ferguson (1938-2008), erklärte, dass sich die ganze Menschheit vergeistige und mit einem Quantensprung ein neues Bewusstsein entstehe. Die katholische Variante wurde von Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) vertreten. Nach ihm ereigne sich die Emergenz einer Noosphäre, eines Allbewusstseins, einer Verbundenheit in einem mystisch-kollektiven Menschheitsbewusstsein. Jeder könne in einem geistigen Aufstieg zum Punkt Omega zum Christusbewusstsein erwachen. In einer kosmischen Evolution komme es zu einer mystischen Vereinigung (nicht Verschmelzung wie im „Advaita-Vedânta“) der Seele mit Gott/Christus.

Im 20. Jahrhundert flackern da und dort wieder apokalyptische Aussichten auf. Die haben historisch periodisch Konjunktur und Flaute. Die Hoffnung auf die imminente Wiederkehr Christi wird unter evangelikalen Christen gehegt. Die moderne Welt ist ent- und verzaubert zugleich, pluralistisch und polyphon.

Damit sind wir auf unserem Parforceritt am Ende des Buches angelangt, in dem alle hier flüchtig angeschnittenen Themenkreise minutiös mit Quellen und Zitaten belegt und garniert sind. Er soll auch von der Reichhaltigkeit des Inhaltes und der Gelehrsamkeit des Autors Zeugnis ablegen. Anzumerken wäre, dass je näher Almond der Gegenwart kommt, seine Auswahl an Zeitzeugen und Schriften arbiträrer und die Bestandaufnahme grobstrichiger wird und ab der Neuzeit eine Schlagseite Richtung angelsächsischem Raum erhält. Insgesamt bleibt seine Jenseitsgeschichte strikt auf Europa und die Neue Welt beschränkt. Er zeigt prägnant, wie sich die Jenseitsbilder dort in Abhängigkeit von gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen formierten und änderten und destilliert die vorherrschenden Motive der einzelnen Epochen heraus.

Als guter Wissenschaftler belässt Almond es bei einer akribischen phänomenologischen Beschreibung von Jenseitsvorstellungen, ohne diese gar auf Wahrheit/Falschheit hin zu taxieren. Er ist sogar so nobel, nirgends anzumerken, dass der ganze infernale Horrorgrusel, der Phobokratie – um einen Begriff von Peter Sloterdijk aufzunehmen – dienlich war. Damit ist die Regierung und Kontrolle der gläubigen Schäfchen per Furcht und Schrecken gemeint. Darauf verstehen sich ja alle Religionen, wenn auch in verschiedenem Ausmaß.

Im späten 20. und im 21. Jahrhundert ist der Verfasser nicht angelangt. Die neuen Unsterblichkeitsfantasien aus Silicon Valley sind nicht registriert. Dort träumen Technikgläubige davon, einst ihr Bewusstsein auf Computer überspielen zu können und damit Immortalität zu realisieren oder als human-maschinelle Hybride die Lebensspanne bis ins Unendliche verlängern zu können. Auch die Kryonik stammt von dort: Tiefkühlkonservierung des „Leichnams“ mit der Hoffnung, dieser könne in technologisch weiter entwickelter Zukunft wieder zum Leben erweckt werden.

Für säkulare Jenseitshoffnungen war gewiss das millionenfach verkaufte Buch „Leben nach dem Tode“ (1975) von Raymond A. Moody von entscheidender Bedeutung. Ein ganzes Forschungsgebiet (Circumthanatologie) hat sich um das Phänomen der Nahtoderfahrungen etabliert, was unerwähnt bleibt. Auch Erhebungen der empirischen Religionswissenschaften werden nicht zu Rate gezogen, mit denen gezeigt werden könnte, wie weit – oder vielmehr wie wenig weit – der Glaube an Weiterleben oder Himmel und Hölle in der heutigen Gesellschaft noch verbreitet ist. Welchen Einfluss rezente Bewegungen wie „neuer“ Atheismus, Neuroszientismus, Paganismus und die ganze Post-New-Age-Spiritualität auf die Jenseitserwartungen der Abendländer ausgeübt haben, ist gleichfalls nicht eingeholt. Aber das würde möglicherweise ein eigenes Buch füllen. Mit dem vorliegenden sind wir bestens bedient, wenn wir eine historische Aufarbeitung des Themas „Leben nach dem Tode“ und eine durchaus kurzweilige Analyse der religiösen Fantasie des christlich geprägten Raumes lesen wollen. Es sei allen empfohlen, die am Phänomen Religion interessiert sind – sei es aus theologischer, psychologischer, soziologischer oder religionshistorischer Sicht. Es ist eine Fundgrube und kann bei häretischer Exegese und mit ein wenig Arglist als ein ebenso kenntnisreiches wie unterhaltsames Lehrbuch der Spinnerei von Theologengarn gelesen werden.   

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Philip C. Almond: Afterlife. A History of Life after Death.
IB Tauris, London 2016.
236 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9781784534967

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