Kein Fall, eine Ermittlung

Friedrich Ani sucht einen verschwundenen Erfolgsautor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man ist versucht, Friedrich Anis Roman Der Narr und seine Maschine als Parabel auf seine eigene Existenz zu lesen – wenn denn nicht Ani, im Unterschied zu jenem Georg Ulrich, alias Cornelius Hallig, ein auch heute noch erfolgreicher Autor wäre. Georg Ulrich ist jedoch nach sieben erfolgreichen Romanen und Jahren aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Und das schon so lange, dass sich auch der fast gleichaltrige Tabor Süden nur dunkel an ihn erinnert. Mittlerweile ein 64 Jahre alter und kranker Mann, verschwindet Hallig aus dem kleinen Hotel, in dem er seit Jahrzehnten wohnt. Alle, die ihn kennen, sind höchst aufgeregt. Wenn jemand derart aus seiner erstarrten Routine ausbricht, muss man zurecht annehmen, dass es ein letztes Mal sein soll, und danach kommt dann eben nichts mehr.

Und so ist es auch in diesem Fall. Cornelius Hallig taumelt mehr, als dass er durch seine Erinnerungen und die Orte seiner Kindheit geht, die Wohnung, in der er mit seiner Mutter lebte, die Näherei, in der sie arbeitete, der letzte Besuch des Vaters, die Straße, auf der der Vierjährige seinen Hund verlor – die Vergangenheit dieses Mannes ist trübe. Dafür ist recht klar, wohin es ihn treibt.

Das ist vielleicht unschön, aber hat Hallig, von dem wir schließlich erfahren, dass er todkrank ist, nicht das Recht dazu, über sich selbst zu entscheiden? Immerhin ist er niemandem verpflichtet, am ehesten noch dem Besitzer und den Leuten im Hotel, die ihn seit Jahren umgeben. Wenngleich er sich nach dem Tod seiner Mutter (die im Nebenzimmer lebte, keine Sorge) mehr und mehr zurückgezogen hat. Aus dem Autor ist ein einsamer Mann geworden. Nicht einmal mehr schreiben kann er.

Ein Verbrechen gibt es nicht, das wissen Leser schon nach wenigen Seiten. Aber warum sucht Süden dennoch nach diesem Mann, der sich anscheinend völlig zurückziehen will? Ganz sicher, weil er selbst auf dem Rückzug ist. Die Melancholie dieses Helden, die seinerzeit, als er noch aktiver Polizist war, in mehreren ZDF-Verfilmungen wunderbar herausgearbeitet worden ist (leider sind diese Filme völlig untergegangen), hat ihrerseits eine Tendenz zum Verschwinden.

In diesem Roman wird er dabei noch aufgehalten. Nach dem Fiasko seiner letzten Quest, bei der einer seiner Kollegen den Tod fand, löst Süden seine Wohnung auf und macht sich auf den Weg zum Bahnhof. Dort wartet er – worauf? –, bis ihn seine Chefin Edith Liebergesell aufgabelt und mit ihm trinkt. Sie bietet ihm einen Fall, den er nicht ablehnen kann. Zu groß sind die Parallelen zwischen diesem verschwundenen Autor und dem Ermittler, der bis dahin immer nach Verschwundenen gesucht hat und nun selbst dabei ist, zu verschwinden. Ein denkwürdiges Verhalten, zumal angesichts der gleichfalls abwesenden Väter von beiden.

Es wird viel getrunken in den Romanen Friedrich Anis – was jeden, der unter einer schwachen Leber leidet, mit einer Mischung aus Ekel und Bewunderung zurücklässt. Auch als Süden Hallig gefunden hat, woran nie ein Zweifel bestehen konnte, trinken die beiden, sie schweigen, sie reden, sie denken und sie trinken. Zwischendurch raucht Hallig auch eine Zigarette vor der Tür jener Wirtschaft, in der auch Süden vor Jahren ein und aus ging.

Männer, die so trinken, sind nicht zu retten. Sie wollen das auch nicht. So ist es kein Wunder, dass am Ende Süden wieder genau da steht, wo er am Anfang des Romans steht und schaut und dass Hallig, dessen Pseudonym, so profan es klingt, von einem der Großmeister des amerikanischen Hard-Boiled-Krimis abgeleitet ist, am Ende gleichfalls dort angekommen ist, wohin er von Anfang an wollte. Es ist nicht Südens Aufgabe, jemanden daran zu hindern, was er unbedingt will. Es ist seine Aufgabe, ihn zu finden – und die hat er erfüllt.

Ani ist einer der erfolgreichsten und produktivsten Schriftsteller seiner Generation. Das ist insofern verwunderlich – man möge die Despektierlichkeit verzeihen –, als Ani ja gegen die Grundprinzipien erfolgreicher Krimi-Autoren verstößt: Er hat (eigentlich) keinen Mord, in dem er ermitteln lässt, und auch Sex spielt eine untergeordnete Rolle. Suspense interessiert ihn nicht, und die Grausamkeitsspirale, in der sich etwa die skandinavischen Krimis gefangen sehen, hat er stets vermieden.

Das Verbrechen, dessen Hergang es zu lösen gilt, ist in vielen Fällen gar keins. Leute haben das Recht zu verschwinden. Und die Ermittlung, die Süden durchführt, spottet jeder „criminal investigation“. Dafür ist er viel zu melancholisch und zu eigensinnig – und dafür sind seine Ermittlungen auch viel zu langsam angelegt. Süden begleitet Ani und uns seit 1998 in über 20 Romanen. Es wäre schön, wenn das noch eine Weile so weiter ginge. Aber lange kann das mit Tabor Süden nicht mehr gut gehen.

Titelbild

Friedrich Ani: Der Narr und seine Maschine. Ein Fall für Tabor Süden.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
143 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518428207

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