Wie penetranter Pronatalismus ein gutes Buch erodieren kann

In ihrem Werk „Sexismus“ zeigt Susan Arndt die Omnipräsenz dieser Diskriminierungsform auf

Von Verena BrunschweigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Brunschweiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rebecca Solnits Engagement gegen Alltagssexismus wird von Susan Arndt zu Beginn ihres eigenen Buches explizit genannt – als eine von drei Publikationslinien, an denen sie sich orientiert. Die beiden anderen sind Feminismusgeschichte und theoretische Abhandlungen über Macht und Herrschaft. Um letztere geht es auch gleich am Anfang: um Diskriminierungen unterschiedlichster Art, ergo um Intersektionalität, aber auch um Privilegien, in erster Linie um die weißer Männer: „Wenn Cis-Männer diesen Begriff für eigene Erfahrungen in Anspruch nehmen, ist das eine Aneignung des Begriffes ‚Sexismus‘, der dessen gewaltvolle Geschichte und (Omni)Präsenz verharmlost.“ Weiterhin: „Herrschaft kann sich nur aus Machtstrukturen heraus etablieren und wird dabei so entworfen, dass sie diese reproduziert.“ Das sind schon hinlänglich bekannte Wahrheiten. Auch so mancher historische Überblick hätte deutlich knapper gehalten werden können.

Arndt lehnt jegliche binäre Matrix ab, präferiert wunderbarerweise das Nordische Modell beim Thema Prostitution und zitiert die grandiose feministische Juristin Catherine MacKinnon, die bahnbrechende Erfolge im Kampf gegen Pornografie verzeichnen kann. Femizid, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, häusliche Gewalt – mit vielen Zahlen untermauert die Autorin die vielleicht nicht neuen, aber deswegen leider nicht weniger realen Zustandsschilderungen der sexistischen Welt, in der wir alle leben.

„Herrschaft kann überwunden werden, wenn deren Strukturen und deren Institutionen und Instrumentarien destabilisiert oder ausgetauscht werden können – etwa im Kontext von Revolutionen.“ Oder indem man die Zwangsmutterschaft ganz explizit als solche enttarnt und sich ihr verweigert, denn schließlich ist das Gebären der patriarchale Imperativ schlechthin. Aber gerade das ist die allergrößte Schwäche dieses Buchs, das sonst so viel Wichtiges und Richtiges beinhaltet, denn die Autorin schwelgt auf eine Art und Weise in ihrer eigenen vierfachen(!) Mutterschaft, die einem die Lektüre profund und wieder und wieder verleidet: „Noch nie hatte ich etwas Schöneres erlebt. Diese Magie der ersten Begegnung durfte ich vier Mal erleben, und es waren die glücklichsten Momente meines Lebens. […] Einerseits ist meine Mutterschaft das Schönste, was mir im Leben passiert ist.“ Das hat in einem Buch, das sich wissenschaftlich gibt, nichts verloren – das ist reinste pronatalistische Propaganda, die man überhaupt nicht sollte lesen müssen.

Ohne jegliche Ironie wird eine Seite weiter dargelegt, dass die überdurchschnittliche Gebärleistung von vier Kindern zu NS-Zeiten immerhin mit dem Mutterverdienstkreuz in Bronze honoriert wurde. Dazu passt, dass Adrienne Rich und ihr Konzept der Zwangsheterosexualität zwar Erwähnung finden, aber natürlich nicht die Radikalfeministin Janice Raymond und ihr Konzept der Zwangsmutterschaft. Auf der einen Seite wird gejammert, dass Feminismus implizit zu sehr von weißen Frauen ausging – dass es aber mittlerweile oft nur noch um die Bedürfnisse von Müttern geht, wird mit keinem Wort thematisiert, sondern mit der vielen Eltern eigenen exorbitanten Anspruchshaltung als selbstverständlich betrachtet.

Die kinderfreie Alice Schwarzer wird von Arndt dann auch gleich mehrfach diffamiert. So wird einerseits die Rassismus-Keule geschwungen, wenn es um die Hidschab-Debatte geht, andererseits wird dieser Vorwurf wiederholt, weil bei einem ihrer Kongresse 1999 nur zwei Teilnehmerinnen aus Afrika anwesend waren. Wörtlich wird ihr der „Schulterschluss mit der AfD“ attestiert. Dabei hat Frau Schwarzer die zentrale Forderung dieser Partei nach mehr deutschen Kindern nicht einmal erfüllt, die Autorin hingegen vier Mal, was gebetsmühlenartig auch noch immer wieder erwähnt wird, ob es nun passt oder nicht.

Arndt beklagt: „Fehlendes Verständnis für meine Mutterschaft von Frauen* gehört zu meinem täglichen Brot“ – ja, vielleicht weil es kinderfreien und kinderlosen Frauen reicht, ständig diskriminiert zu werden, nur weil sie nicht den ausgelatschtesten aller Pfade trampeln und sich reproduzieren? Weil sie es satthaben, mit welch provozierender Selbstverständlichkeit sich Eltern nicht nur alle Privilegien nehmen, sondern immer noch mehr fordern?

In einer Zeit, in welcher eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht ist, weil sich eine exponentiell wachsende Bevölkerung das Recht herausnimmt, nichtmenschliche Tiere so zu verdrängen, dass künftig noch viel mehr und ganz andere Viren von diesen auf uns überspringen werden, kann man die nonchalante Anmaßung von Menschen mit Kindern nicht mehr unterstützen. Vor allem dann nicht, wenn das replacement level bereits um zwei überschritten wurde.

Titelbild

Susan Arndt: Sexismus. Geschichte einer Unterdrückung.
Verlag C.H.Beck, München 2020.
384 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783406757976

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