Unsicherer Kantonist

Band 6 „100 Schmäh- und Drohbriefe an Kurt Eisner 1918/19“ und Band 7 „Reden und Schriften“ der Kurt Eisner-Studien erweitern die Sicht auf den Sozialdemokraten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hass-Mails, Politiker-Bashing, Gewaltexzesse bis hin zur unverhohlenen Morddrohung? Was in den letzten Jahren als Problem der sozialen Medien gehandelt wird, ist ein altes Thema der Massengesellschaften und eben auch der Demokratien, wenn das alles nicht noch älter ist, „Dolch im Gewande“ eben hat ja klassische Traditionen. Das wird an einer Schnittstelle der politischen Geschichte erkennbar und an einer hübschen kleinen Publikation, die ihren Ort in der Kurt Eisner-Werkausgabe gefunden hat, die seit kurzem bei Metropol in Berlin erscheint.

100 Schmäh- und Drohbriefe an Kurt Eisner 1918/19 heißt das Büchlein, das in den Kurt Eisner-Studien immerhin schon den sechsten Band ausmacht. Und siehe, da sind sie schon alle da, die es gut mit Eisner meinen, ihm mal die Wahrheit sagen oder die Meinung geigen wollen, oder die, die ihm unverhohlen den Tod wünschen und androhen. Da sind sie, die Eisner als den landfremden Juden und Bolschewisten beschimpfen, der sich an den edelsten Gütern der deutschen Nation vergangen hat, am Geld, am Militär, am Generalfeldmarschall Hindenburg oder an der deutschen Kriegsschuld. Sehr einschlägig wird das alles, wenn der „stinkische Judenbub“ auch noch zum „dreckigen Stinkpreußen“ hinzuaddiert wird, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen.

Dass solche Briefe in den wenigen Wochen zwischen dem 8. November 1918 und dem 21. Februar 1919, in denen Eisner erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern war, aus der „bürgerlichen“, ja „demokratischen“ „Mitte“ versandt wurden, kann niemanden wundern, der die aktuelle Diskussion darüber verfolgt, ob die verbalen Hassausbrüche und Gewaltfantasien in der bürgerlichen Mitte angekommen sind. Es schreiben „Ein Bayer“, „Ein Neutraler“, „Tausende von Bürgern und Soldaten“, ja, sogar „Ein Mann mit Rückgrat“, der freilich nicht mit Klarnamen zeichnet. Bleibt man bei diesen 100 Schmäh- und Drohbriefen, dann war sie immer schon da, die Neigung, den politischen Gegner niederzumachen und ihm den Tod an den Hals zu wünschen. Und zwar in der politischen Mitte.

Wie man nicht zuletzt am Beispiel Kurt Eisner sehen kann, ist die böse Tat dem bösen Wort bald gefolgt. Was nicht nur den bekennenden Sozialisten Kurt Eisner getroffen hat, sondern eben auch andere Politiker, die vor allem der politisierten und militarisierten Rechten nicht gepasst haben, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, in späteren Jahren Walther Rathenau und Matthias Erzberger. Also kaum etwas Neues unter der Sonne, auch wenn sie mittlerweile über digitalen Welten scheint?

Nun vielleicht doch, denn wenngleich man amüsiert auf die historischen Hass-Brief- und Postkartenschreiber blicken mag, vergeht einem das Amusement dann doch schnell, wenn man berücksichtigt, was darauf folgte, nicht nur während der Räterepublik, sondern über die kommenden zwanzig Jahre hinweg, bis die sich Bahn brechende Gewaltkultur dann mal eben so einen weiteren Weltkrieg und einen rassistisch motivierten Massenmord anzettelt. Wir können von Glück sagen, dass das vorbei ist, und mit ein bisschen mehr Vernunft bleibt es auch dabei. Aber, wie wir alles wissen, gibt es genug Leute, die vom nationalistisch grundierten Unwesen immer noch nicht die Nase voll haben.

Kurt Eisner (1867-1919) ist heute vor allem wegen dieser wenigen Wochen zum Jahreswechsel 1918/19 und als politische Leitfigur bekannt. Dass er eben nicht nur ein vielleicht sogar charismatischer, in jedem Fall jedoch beredter und von der sozialistischen Sache überzeugter Politiker war, von der Möglichkeit einer friedlichen Revolution überzeugt, verschwindet hinter dieser wohl wichtigsten Position, die er in seinem öffentlichen Leben innehatte.

Man mag ihn als gescheitert ansehen, da er – wie sein Lieblingsantagonist, Erich Mühsam, nicht müde wird zu betonen – Kernelemente des sozialistischen Projektes nicht vorantrieb, also die Enteignungen und die Einführung der Räterepublik, möglicherweise sogar mit seinem offenherzigen Umgang in der Kriegsschuldfrage das Ressentiment der nationalistischen Gruppen massiv auf sich gezogen haben, aber das mindert weder seine Leistung noch wird seine Position damit suspendiert. Man wird auch einräumen müssen, dass er die Durchsetzung der Revolution nicht als machtpolitischen Prozess verstanden hat, wie eben die Bolschewisten in Russland, die damit erfolgreich waren. Eisner hat sich selbst explizit gegen das russische Vorbild gewandt. Aber all das sind Ansätze, die a posteriori aus dem Scheitern der Revolution zumindest in München das mangelhafte Konzept Eisners destillieren, was kaum weiterhilft.

Die von Frank Jacob, Cornelia Baddack, Sophia Ebert, Doreen Pöschl und Swen Steinberg im Metropol Verlag herausgegebenen und von der Rosa Luxemburg Stiftung geförderten Eisner-Studien fokussieren denn auch nicht auf die Zeit zwischen November 1918 und Februar 1919, sondern unternehmen den Versuch, Eisner umfassender vorzustellen, also vor allem mit Schriften, die zeitlich vor seine genuin politische Phase und inhaltlich nicht zu den Revolutionsreden gehören. Und in der Tat hat Eisner einiges zu bieten, denn er war nicht nur ein aktiver Politiker der unabhängigen Sozialdemokratie, was sich in seiner entschiedenen Kriegsgegnerschaft begründete, sondern ein äußerst aktiver Journalist und Schriftsteller.

Das geht weit über die immer wieder nachgedruckten Revolutionsreden hinaus – deren Bedeutung wohl niemand in Abrede stellen wird –, aber es war höchste Zeit eben auch den Politiker in den Blick zu nehmen, der sogar in der Lage war, ein einigermaßen lesbares Gedicht zu fabrizieren (was, wie zu erinnern ist, die Intellektuellen der Frühen Neuzeit generell auszeichnete). Das zeigen eben nicht nur die drei Bände des Pressedienstes Arbeiter-Feuilleton mit tatsächlichen (oder in einigen Fällen eben nur vermeintlichen) Texten Eisners, die Gegenstand der Eisner-Studien 2, 3 und 4 sind. Das lässt sich auch im siebten Band der Eisner-Studien sehen, in denen eine Auswahl der Reden und Schriften vorgelegt wird. Dabei fokussieren sich die Herausgeber auf wenige Reden aus der Zeit 1918/19 und eine Reihe weitergehender Schriften. Hervorzuheben ist, dass die Texte im Grundsatz bekannt sind, jedoch neu aus den verfügbaren Quellen heraus ediert wurden. Dabei wurde die Rechtschreibung zwar normalisiert, aber das sei als editorische Entscheidung schlicht hingenommen. Hinzu kommen ausführliche Kommentare, die es auch Leser*innen mit wenig Vorkenntnissen ermöglichen, die Texte angemessen wahrzunehmen.

Die Reden stellen Eisners Konzept einer neuen revolutionären Ordnung in den Vordergrund sowie seinen Versuch, die Offenlegung der deutschen Kriegsschuld offensiv für eine internationale Verständigung zu nutzen. Da dies auf der „Arbeiter- und Sozialistenkonferenz“ am 4. Februar in Bern geschah, gerät ihm diese Rede jedoch vor allem zu einem Abgrenzungsversuch gegen die übermächtige Mehrheitssozialdemokratie, die wegen ihrer Kriegszustimmung massiv unter Druck stand. Der Repräsentant der Sozialdemokratie auf dem Berner Kongress, Otto Wels, wurde dabei zum Antagonisten Eisners, erkennbar an den Zwischenrufen, die in der Rede dokumentiert sind. In den konzeptionellen Reden hingegen wird Eisners Ziel einer konsequenten aber friedlichen Revolution erkennbar, die vom zusammenbrechenden System und der Kooperationsbereitschaft auch eher konservativer Kräfte profitiert.

Aufschlussreich sind in diesem Kontext auch die beiden Faust-Vorträge und der Vortrag über den Kommunismus des Geistes, in denen Eisner nicht nur das Bildungssystem harsch attackierte, welches das Proletariat von Bildung systematisch fernhalte. Wie kontraproduktiv das sei, macht er an dem Umstand fest, dass neben einer kleinen bildungsbürgerlichen Gruppe es vor allem das bildungshungrige Proletariat sei, das sich der Hochkultur widme: „Die Arbeiter“, erklärte Eisner in Kommunismus des Geistes, einem Text aus dem Jahr 1908, „sind das beste Publikum für ernste Kunst geworden“, was mit einem Mal die These, dass die Kunst in der Arbeiterbewegung vernachlässigt worden sei, zumindest vorsichtig suspendiert.

Anwendung findet das in den beiden Faust-Aufsätzen, in denen Eisner eine frühen Fassung der Formel von der Absicht, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, vorlegt: „Die moderne Aufgabe: Wohnliche Erde für die Menschen zu schaffen.“ Dieser Ansatz findet sich auch in seinen späteren politischen Reden wieder, was den Ursprung und die Kontinuität seines politischen Denkens betont. Dass der zweite Teil der Auswahl von einer Übersicht über die Kriegserzählungen in der Kultur und Geschichte dominiert wird, mag vonseiten der Herausgeber konsequent abgeleitet zu sein. Immerhin gehörte Eisner zu den konsequentesten Kriegsgegnern der Sozialdemokratie, was zu seinem Engagement in der USPD führte, deren gemeinsamer Nenner vor allem in der Absage an die deutsche Kriegsführung bestand. Ziel Eisners, so die Herausgeber, war es, die Variationsbreite und Grausamkeit des Krieges darzustellen. Aus diesem Grund plante er eine Reihe von Nacherzählungen und Textpräsentationen aus dem Sujet, die aber weder im Arbeiter-Feuilleton noch als Band je zusammenhängend publiziert wurden. Dieser Teil der Edition erscheint allerdings doch eher als nachrangig, zumal die vorgestellten Texte anscheinend Auslassungen aufweisen, die von der historischen Textfassung abweichen. Aber Herausgeber müssen vielen Herren (und Herrscherinnen) gehorchen, denen sie es allemal nie recht machen können.

Titelbild

Cornelia Baddack / Frank Jacob (Hg.): 100 Schmäh- und Drohbriefe an Kurt Eisner, 1918/19.
Metropol Verlag, Berlin 2019.
147 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783863314958

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Titelbild

Kurt Eisner: Reden und Schriften.
Hg. von Cornelia Baddack, Sophia Ebert, Frank Jacob, Riccardo Altieri, Swen Steinberg.
Metropol Verlag, Berlin 2019.
242 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783863315047

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