Kieferling und Teichenkopf
Hannes Bajohr hat das Sprachmodell GPT einem Romantest unterzogen, woraus der Roman „(Berlin, Miami)“ entstanden ist
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm November 2022 wurde der Generative Pre-Trained Transformer, Version 3.0, kurz GPT-3, vom Unternehmen Open-AI online geschaltet. Ein wichtiger Moment in der neueren Technologiegeschichte, auch wenn die Folgen noch nicht absehbar sind und der anfängliche Hype inzwischen etwas zu erlahmen scheint. Den Literaturwissenschaftler und Autor Hannes Bajohr, der seit vielen Jahren mit Text, Literatur und digitalen Verfahren experimentiert, reizte das potente Sprachmodell zu einem Versuch. Er schrieb damit einen 250-seitigen Roman.
Vergleichbare Versuche mit Textgeneratoren gab es früher schon. 2017 erschien in den Niederlanden im Rahmen der alljährlichen Aktion „Nederland leest“ ein Buch, Ik, Robot (Ich, der Roboter) von Isaac Asimov, das neben den neun bekannten Asimov-Erzählungen eine zehnte Geschichte präsentierte: De robot van de Machine is de mens (Der Roboter der Maschine ist der Mensch). Verfasst wurde die Geschichte vom Asibot, einem eigens programmierten Tool, das mit allerhand literarischen Texten, speziell denen von Asimov, gefüttert und trainiert wurde. Ihm zur Seite stand der Autor Ronald Giphart, im gemeinsamen Zusammenspiel verfassten sie die neue Robot-Erzählung.
Für sein Experiment benutzte Hannes Bajohr das bereits existierende Allroundtool GPT, respektive dessen zwei open source-Alternativen GPT-NeoX und GPT-J, die er mit vier Gegenwartsromanen fütterte und feintunte: Pixeltänzer von Berit Glanz, Flexen in Miami von Joshua Groß, Realitätsgewitter von Julia Zange sowie Miami Punk von Juan S. Guse. Im Unterschied zu Giphart, der eingriff, wenn Sätze oder Geschichte einen Dreh benötigten, hat Bajohr fast ganz auf eine moderate Steuerung seines Textexperiments verzichtet. Mit Hilfe der „next token prediction“ gab er jeweils nur ein Zeichen oder ein Wort vor, um dann die Maschine auf Grundlage der wahrscheinlichen Fortsetzung ganze Kapitel schreiben zu lassen. Während er den GPT also nur anstupste, ergänzten sich Asibot und Ronald Giphart in der Schreibarbeit. Das Ergebnis wirkt entsprechend. De robot van de Machine is de mens liest sich wie eine konventionell anmutende Geschichte, die einige originelle Motive erfindet, insgesamt aber deutlich an Asimov erinnert. Demgegenüber entpuppt sich Bajohrs experimenteller Roman (Berlin, Miami), so der Klappentext, „als bloßes Oberflächenphänomen, der irrwitzige Fiebertraum eines Sprachmodells, das Liebesgeschichten und Verschwörungsnarration simuliert“. Auf den ersten Blick ist das allerdings nicht leicht zu erkennen. Der generierte Text legt von Beginn weg kraftvoll los und erschließt im Gestus der überzeugenden Behauptung eine Welt, die ebenso schillernd wie mysteriös anmutet.
Als Kind hatte ich ein Gebiss, das eine unkonventionelle Einteilung zwischen einem Kieferling und einem Teichenkopf anzeigte. Der Kieferling war in der Kraft verwurzelt, der Teichenkopf durch eine äußerst schlanke Basis gefestigt, die den Kiefer in demselben Moment, als die Beine sich schüttelten, aus dem Kieferling herauszog.
(Berlin, Miami) entfaltet eine futuristisch anmutende Bilderwelt und erfindet autonom so obskure Figuren wie eben den Kieferling und den Teichenkopf – zu Bajohrs eigener Verblüffung. Erste Schwächen bezüglich Handlung und Aussage werden indes recht schnell manifest. Der Text erweist sich als undurchsichtig und schwer deutbar, indem er sich von der menschlichen Lebenserfahrung entfernt und eine disparate textimmanente Wirklichkeit entwirft, die weder dadaistischen Mutwillen noch sprachexperimentelles Konzept erkennen lässt. (Berlin, Miami) besitzt keine echte, schlüssige Narration. Ein anderes Sprachmodell, Claude, schreibt Bajohr im Nachwort, konnte keinerlei Inhaltsangabe herauslesen. Entsprechend führt der Roman die arglos interessierte Lektüre in immer schnelleren Intervallen an Punkte, wo Lesende sich fragen müssen: Wo stehen wir hier eigentlich, was geht hier vor sich? Der Text verknotet sich syntaktisch, seine Logik verkantet semantisch und kippt unvermittelt in dramaturgische Sackgassen. In dieser Form wirkt der quecksilbrige Text trotz akkurater Grammatik und Syntax schnell auch beliebig und inhaltsleer, eine wenig kohärente Aneinanderreihung von Worten und Bildern: „Die Worte schlurften ein, ein Bühnenläufer vermochte mir die Hand zu führen; ich hielt den ersten Satz, der kommunizierte, vor mich hin, um zu schauen, wie er reagierte“ – und darauf vielsagend: „Es war ein Satz, der so wenig damit zu tun hatte, was ich gerade erwartete“.
Bajohrs Experiment ist so faszinierend wie erhellend. Sein Potenzial liegt weniger im narrativen Verfahren als in der Herstellung von überraschenden Sprachbildern, wilden Metaphern und schrägen Wortschöpfungen. Nicht selten verführt der Text zu erfrischendem Lachen. Dabei markiert er deutlich die Trennlinie zwischen Komik und Witz, Zufälligkeit und Bewusstheit. In einem instruktiven, lesenswerten Nachwort beschreibt Bajohr sein Vorgehen bei diesem Experiment. Das Sprachmodell hat ihn selbst immer wieder überrascht. Dass dennoch keine richtige Erzählung daraus hervorging, erklärt er mit Hinweis auf den Literaturwissenschaftler Angus Fletcher. Dieser konstatierte, dass Sprachmodelle statistisch Korrelationen, nicht aber Kausalitäten berechnen können. Sprachmodelle lebten in einer „ewigen Datengegenwart, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Narration aber, so Fletcher, sei gerade das Management von Zeit über Kausalität“. Solche Kausalitäten sind zentral, wenn es darum geht, eine Erzählung so zu entwickeln, dass sie mit Spannung und Empathie nachvollziehbar wird. Für diese Aufgabe war beim Asibot der Autor Ronald Giphart verantwortlich, deshalb funktioniert deren Kurzgeschichte. Bajohrs Romanexperiment ist davon weit entfernt, weil der Autor nicht in die Textgenese eingegriffen hat.
(Berlin, Miami) ist so auf jeden Fall ein trefflicher Versuch, um die Diskussion über Sprachmodelle und ihre Potenzen wie Grenzen anzuregen. Erst am Schluss ist Bajohr doch noch aktiv geworden, denn Textgeneratoren finden von selbst zu keinem Ende. Indem er das System mit dessen eigenem Output fütterte, ließ er es degenerieren und letztendlich kollabieren: „_____________© To nut und lik tf Produktes Schoby Erziangift Sartrisch Grandios <|endoftext|>“
Wer aber, fragt sich abschließend, ist denn hier nun der Autor? Wenn Bajohr bloß als Anreger fungiert, gerät das traditionelle Urheberrecht an sein Limit. Um der Konvention im Literaturbetrieb zu genügen, hat Hannes Bajohr deshalb den eigenen Namen aufs Titelblatt gesetzt. Ein Buch braucht einen Autor. Der GPT fällt dafür aus, weil es ihm an literarischem Bewusstsein mangelt. So ist daraus ein ko-kreatives Werk entstanden, mit einem Titel in Klammern, weil auch die beiden titelgebenden Städte den ins Textkorpus eingearbeiteten Romanen entliehen sind.
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