Ein zeitloser Allegoriker des Rassismus wird neu aufgelegt

Über James Baldwins „Von dieser Welt“ und „Beale Street Blues“

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Welt der zunehmenden Vielfalt und Unübersichtlichkeit haben heute in erschreckender Weise Populisten Konjunktur, die einfache Lösungen anbieten und der Ausgrenzung und dem Rassismus das Wort reden – ein idealer Zeitpunkt, um James Baldwin (wieder) zu entdecken. Der 1987 verstorbene Autor, schwarz und schwul, hat in seinen zahlreichen Romanen, Erzählungen und Essays den allgegenwärtigen Rassismus und die Folgen für die Gesellschaft gnadenlos aufgezeigt, ohne dabei in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen. Er war dabei der festen Überzeugung, dass Geschichte immer in die Gegenwart wirkt und alle Beteiligten unentrinnbar in ihren Fängen stecken.

Nachdem vorletztes Jahr die großartige Filmbiographie I’m not your Negro von Raoul Peck für eine erste Renaissance Baldwins sorgte, hat sich nun der Deutsche Taschenbuch Verlag daran gemacht, ausgewählte Werke in neuer Übersetzung von Miriam Mandelkow herauszubringen.

Im Frühjahr dieses Jahres ist so bereits Baldwins autobiografisch grundiertes und im Original 1953 erschienenes Debüt Von dieser Welt erschienen. Acht Jahre quälte sich der 1924 in New York geborene und lange dort lebende Baldwin mit diesem Werk, bevor er es dann kurioserweise in dem kleinen Schweizer Bergort Leukersbad zu Ende brachte. Hierhin, wo man noch nie zuvor einen Schwarzen gesehen hatte und der Gegensatz des „Eigenen“ und des „Fremden“ kulminierte, zog er sich zurück – bewaffnet mit seiner Schreibmaschine und zwei Schallplatten von Bessie Smith. Mit ihrer Musik fand er hier in den Schweizer Bergen seinen Ton: Eine melodiös und kraftvoll dahin wogende Prosa mit Pathos und Schmerz.

In seinem Debüt erzählt Baldwin von der Identitätssuche des jungen John aus Harlem und zugleich auch die von Gewalt, Rassismus und Hoffnungslosigkeit geprägte Geschichte seiner Familie. John ist ein schwarzer, empfindsamer und blitzgescheiter Junge, von dem sein Vater sagt „er sei hässlich und habe das Gesicht des Teufels“. Alle gehen davon aus, dass John später einmal wie sein jähzorniger und brutaler Vater Prediger werden würde – doch John „hatte sich entschlossen nicht zu werden wie sein Vater oder seines Vaters Vater. Er wollte ein anderes Leben.“ An seinem 14. Geburtstag streift er durch die Weißen-Viertel – „Diese Welt war für ihn nicht vorgesehen“ – und besucht unter der Angst der ewigen Verdammnis zum ersten Mal ein Kino. Wie als Strafe für Johns Ausflug wird derweil sein Bruder Roy auf der Straße durch einen Messerstich schwer verletzt. In den Tagen darauf ringt John mit sich, welchen Weg er zwischen Gottesfurcht und Freiheitswunsch einschlagen soll. Das Ringen gipfelt in einem ekstatischen  Zusammenbruch während eines über viele Seiten hinweg geschilderten Gottesdienstes mit Gebeten, rhythmischen Gesängen und Tambourin-Klängen.

Auch wenn Von dieser Welt literarisch noch nicht vollständig überzeugen kann und dem Leser manche lange Passagen wie Johns zähes Ringen mit Gott heute fremd erscheinen, ist hier schon der Baldwin’sche Kosmos und sein Sound im Kern zu finden. Sein ganzes ausgereiftes Können zeigt Baldwin dann in dem 20 Jahre später entstandenen Beale Street Blues. Er erzählt hier eine klassische Romeo und Julia-Liebesgeschichte unter den Bedingungen von Gewalt, Polizeiwillkür und Rassismus. Die Beale Street ist eine Straße in New Orleans, wo Baldwins Vater und der Jazz geboren wurden. Doch „Jeder in Amerika geborene Schwarze“, so Baldwin in seinem Vorwort, „ist in der Beale Street geboren […]. Alle ‚Nigger‘ stammen aus der Beale-Street. Die Beale Street ist unser Erbe.“

Die Beale Street dieses Romans liegt so auch in New York und „New York ist garantiert die hässlichste und dreckigste Stadt der Welt. Mit den hässlichsten Häusern und den ekligsten Menschen. Und den schlimmsten Bullen. Wenn es einen schlimmeren Ort gibt, dann liegt der so nah an der Hölle, dass man riechen kann, wie die Menschen schmoren. Und ehrlich gesagt: Genau so riecht New York im Sommer.“

Hier leben die 19-jährige Ich-Erzählerin Trish und ihr etwas älterer Freund Fonny. Fonny ist dem Schicksal vieler seiner Altersgenossen auf der Straße entgangen und nicht dem Alkohol oder den Drogen verfallen und auch nicht kriminell geworden: „Er hat nämlich sich selbst gefunden, so richtig, innen drin. Und das hat man gemerkt. Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissen freien Land“. Und so gerät er in das Visier eines voller Wut und Minderwertigkeitsgefühlen steckenden irischen Cops, in dessen Augen man „bodenlose Grausamkeit, eine kalte, eisige Bösartigkeit“ entdeckt. Fonny kommt wegen des erfundenen Vorwurfs einer Vergewaltigung in den Knast, während Tish gleichzeitig erfährt, dass sie schwanger ist. Zusammen mit ihrer sie aufopferungsvoll unterstützenden Familie setzt sie alles daran, Fonny aus dem Gefängnis zu holen.

Beale Street Blues ist ein packend erzählter Roman über eine bedingungslose und vom Rassismus einer weißen Mehrheitsgesellschaft bedrohte Liebe. Es ist ein kämpferischer Roman voller herzlicher Wärme und eisiger Kälte, voller Poesie und Härte, voller Tragik und Pathos. Wie Romeo und Julia ist es ein zeitloser Roman und eine tief beeindruckende Allegorie über die offensichtlichen und auch ganz sublimen Mechanismen von Ausgrenzung, (Selbst-)Erniedrigung und Entfremdung.

Titelbild

James Baldwin: Beale Street Blues. Roman.
Mit einem Nachwort von Daniel Schreiber.
Übersetzt aus dem Englischen von Miriam Mandelkow.
dtv Verlag, München 2018.
221 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783423289870

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Titelbild

James Baldwin: Von dieser Welt. Roman.
Mit einem Vorwort von Verena Lueken.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englischen von Miriam Mandelkow.
dtv Verlag, München 2018.
320 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783423281539

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