Im Hotel

Vicki Baums Endzeitroman „Hotel Berlin“ liegt in einer neuen Ausgabe vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Darf man daran erinnern, dass Vicki Baum ein Star war, der erste, den die deutsche Literatur jemals hatte? Also etwas, was eben kein Johann Wolfgang Goethe oder Friedrich Schiller, aber auch kein Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann zustande brachte, ein Star zu sein und nicht nur ein Genie: Geliebt von den (lesenden) Massen, dafür, dass sie Geschichten für sie schrieb, ohne ihnen je nach der Gesinnung zu schielen.

Mit ihrem stud. chem. Helene Willfüer aus dem Jahr 1928 wurde Baum in Deutschland bekannt, mit Menschen im Hotel wurde sie 1929 berühmt. Sie avancierte binnen kurzem zum literarischen Star, dessen Karriere von ihrem Hausverlag Ullstein sorgsam aufgebaut und gepflegt wurde. Baum war Repräsentantin einer engagierten Gegenwarts- und Unterhaltungsliteratur, immer nah an den Themen und Problemen, die ihre Zeit so hell in Aufregung hielten. 1927 veröffentlichte sie einen Roman über die Femegerichtsbarkeit in den Freikorpskreisen. In stud. chem. Helene Willfüer versuchte sich Baum an der Quadratur der weiblichen Emanzipation: Wie Kind, Liebe und Karriere miteinander verbinden? Und wie sich gegen Vorurteile und männliche Vorherrschaft durchsetzen?

In Menschen im Hotel gelang es ihr, auf engstem Raum die Widersprüche und Ansprüche der aus allen Fugen geratenen Gesellschaft aufzunehmen und vorzustellen. Das Buch war auf- und anregend zugleich. Und es prägte ihr literarisches Werk – von leichter Hand erzählte, gut durchkonstruierte, dabei im Sujet stets gewichtige Romane.

Auf den deutschen Erfolg folgte der internationale, soll heißen US-amerikanische Erfolg. 1931 erhielt Baum die Einladung, an der Verfilmung ihres Bestsellers in Hollywood mitzuarbeiten, 1932 siedelte sie in die USA um – 1933 wurden ihre Bücher prompt auf die Scheiterhaufen geworfen, die deutsche Studenten für die vorgeblich entartete Literatur einrichteten. Aus der großen Erfolgsautorin und Journalistin Vicki Baum war binnen kurzem eine verfemte und vertriebene Autorin geworden. 1938 wurde sie ausgebürgert und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Im Unterschied zu anderen Exil-Autoren wie Bertolt Brecht, Thomas und Heinrich Mann oder dem unglücklichen Max Hermann-Neiße schaffte Baum den Wechsel in die neue Sprache. In den USA publizierte sie in englischer Sprache, was eben dazu führt, dass der Roman Hotel Berlin aus dem amerikanischen Englisch ins Deutsche übersetzt werden musste.

Man wird nicht immer aufs Neue daran erinnern müssen, dass Deutsche im 20. Jahrhundert auf die Gastfreundschaft zahlreicher Länder angewiesen waren, egal ob sie aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen mussten. Dennoch haben sie ihr Land nie ganz losgelassen. So eben auch Baum. Denn mit Hotel Berlin, ihrem 1943/44 erschienen Roman über die letzten Kriegstage in einem Berliner Hotel, kehrt sie zu ihrem Erfolgsschauplatz, einem Hotel in Berlin zurück. Was freilich diesen Roman von Menschen im Hotel unterscheidet, ist, dass hier für Deutschland, wie es sich hier noch irgendwie selbst abfeiert, tatsächlich das letzte Stündlein geschlagen hat.

Nach Stalingrad war nicht nur der deutschen Führung klar, dass der Krieg verloren war. Es dauerte zwar noch zwei Jahre bis die Alliierten in Berlin einmarschierten, aber das Ende war derart absehbar, dass sogar das Offizierchor einen Putsch plante, der ‒ wie im Roman Baums – fehlschlug. Aber Baum unterstellt in ihrem Roman vor allem, dass es nun soweit ist.

In dieses Untergangsszenario platzierte Baum ihre Handlung um einen vor der Hinrichtung entflohenen Ex-Soldaten und Studenten, der sich in einem Berliner Hotel versteckt hält, das ausgerechnet von den schärfsten Gestapo- und SS-Schergen und größten Profiteuren des Regimes bevölkert wird. Mitten unter ihnen die Star-Schauspielerin Nazi-Deutschlands, Lisa Dorn, ein wenig naiv, gut situiert und von allen hofiert, mit einem General liiert, den das System abserviert. Dorn hat die Gunst Hitlers, was sie vor allem schützt, vor allem vor den Gestapo-Agenten, die das Hotel mit einem dichten Spitzelsystem überzogen haben. Genau in das Zimmer dieser Grande Dame gerät dieser Martin Richter, der eifrig von der Gestapo gesucht wird. Statt ihn aber umgehend an seine Verfolger auszuliefern, verliebt sich Dorn in Richter, wie es die gute Kolportage will, und verhilft ihm zur Flucht.

Es ist naheliegend eine der großen konzeptionellen und intellektuellen Aufgaben eines solchen Plots, genau die eine Möglichkeit zu eruieren, wie die Flucht gelingen kann, wenn sie unmöglich scheint. Und dass sie gelingen wird, davon kann man ausgehen. Denn Baum macht in ihrer kleinen Vorrede aus dem Jahr 1946 klar, dass es ihr nicht ums Drama, sondern um eine positive Sondierung gegangen sei. Sie habe sich auf die Suche nach jenen guten Deutschen machen wollen, von denen sie noch Anfang der 1940er Jahre glaubte, dass sie dieses verfluchte Land einmal ausgemacht hätten. Und sie fand sie: In den zahlreichen kleinen Widerstandskämpfern, die sich zum Ziel machen, Martin Richter bei der Flucht zu helfen, aber eben auch bei dieser Staatsschauspielerin Lisa Dorn, die sich – als sie sich zum ersten Mal eigene Gedanken machen muss – für das Richtige entscheidet. Das andere Deutschland hat viele Gesichter, auch in diesem Roman.

Und so schaut man mit großem Vergnügen dabei zu, wie sich die Repräsentanten des Regimes selbst als raffgierig, streit- und mordsüchtig gerieren, das nicht davor zurückschreckt, den Nächstbesten ans Messer zu liefern, wenn’s denn dem eigenen Fortkommen hilft. Nur dass in diesen letzten Kriegstagen für sie kein Fortkommen mehr ist. Sie sind in diesem Hotel gefangen, und auch wenn Baum weit weg davon ist, das zwei Jahre später tatsächlich eintreffende Ende des NS-Regimes und den Fall Berlins realistisch vorwegzunehmen, liest sich ihre Erzählung mit größter Spannung. Was sie offenlässt, lässt sich mit unserem Wissen spielend auffüllen, wo sie danebenlag, bleibt einfach unbeachtet.

Denn, was das angeht, ist Baum tatsächlich eine große Autorin: Ja, sicher, ihr Roman will zuviel, ihre Erzählerin weiß zu viel und – sorry ‒ quasselt zu viel. Der Roman signalisiert gerade in den Anfangspassagen, dass er sicher sein will, in diesem fatalen Szenario keinem etwas Falsches nachzusagen. So mutet Baum denn ihren Lesern mit aller Seelenruhe die Vorgeschichte ihrer Hauptpersonen zu – wir wissen schließlich viel vom General von Dahnwitz, vom Oberstleutnant Kauder, von der Prostituierten Tilli, vom Baron von Stetten vom Auswärtigen Amt, vom Gauleiter Plottke und erst recht von Lisa Dorn und Martin Richter. Viel mehr als wir müssten.

Dann aber nimmt der Roman auf einmal Fahrt auf und entwickelt seine Rettungsgeschichte im Untergang Berlins derart souverän und beiläufig, dass man sich mit einem Mal wieder als Leser wiederfindet, dem Stil und ästhetische Wahrnehmung vollends egal sind, Hauptsache es geht weiter im Text und man erfährt, wie es ausgeht. Es geht selbstverständlich schlecht für die Hotelgäste aus, aber Baum nimmt für uns Lisa Dorn und Martin Richter davon aus. Das ist Kitsch, aber angenehm.

Titelbild

Vicki Baum: Hotel Berlin. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Grete Dupont.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018.
285 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783803127990

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