Ob auch Stefano Benni den Vollmond zu sich herunterziehen wollte?
Mit „Prendiluna“ schreibt der italienische Autor einen witzig-bösen Endzeitroman
Von Martin Gaiser
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePrendiluna wird sie genannt, seit sie in ihrer Kindheit nach dem Mond greifen wollte, der so nah schien und doch so fern ist. Gleich mit diesem Bild, das einerseits poetisch und märchenhaft ist, andererseits die ewige Sehnsucht des Menschen nach mehr als dem Bekannten, somit auch ein immerwährendes Scheitern beschreibt, zeigt Stefano Benni (geboren 1947 in Bologna) sein Bestreben, literarisch Gegensätze ausloten zu wollen. Das tut er in seinem neuen Buch auf ganz beachtliche Weise, die den Leser auffordert, sich auf einen Text einzulassen, der anspielungsreich, frei in der Form und deutlich in der Aussage ist.
Prendiluna ist eine alte Frau, die einsam mit ihren zehn Katzen am Waldrand lebt. Die ehemalige Lehrerin hat einen Traum oder eine Erscheinung, jedenfalls ziehen in Windeseile prägende Erlebnisse ihres Lebens an ihr vorbei und da kommt ihr die Erkenntnis: „Schlimme Sache, dieses Rückschauhalten, dachte Frau Prendiluna. Und ihr Herz stolperte zwei oder drei Male. O meine Kätzchen, ich glaube, ich sterbe.“ Doch soweit ist es noch nicht, vorher hat sie noch eine Aufgabe zu erledigen, die ihr Ariel, der Luftgeist oder auch „Stammvater der Miezekatzehn“ überträgt: sie muss die Welt retten, drunter tut es Stefano Benni nicht. Und wie das gehen soll, weiß er auch. Innerhalb von acht Tagen muss sie zehn Menschen finden, zehn gute und gerechte Menschen und diesen je eine ihrer „Miezekatzehn“ übergeben. Ist dies vollbracht und die Welt gerettet, wird sie sterben.
Kurioserweise wissen von dieser Aufgabe auch Dolcino und Michael (auch der „Erzengel“ genannt), denn sie haben beide zur gleichen Zeit eben davon geträumt. Da sie mit dem Schöpfer hadern (auch „Gütigergott“ genannt), wollen sie ihm die Leviten lesen oder ihn sogar verprügeln. Am ehesten treffen sie ihn, wenn ihre ehemalige Lehrerin Frau Prendiluna zu ihm gehen wird. Doch das ist nicht so einfach, da die beiden in der Klinik Rosengarten untergebracht sind, die sie selbst als Irrenanstalt bezeichnen. Sie müssen ausbüxen und verstecken sich fortan in der Universität Maxonia, die mittlerweile untrennbar verbunden ist mit dem benachbarten Kloster der Hannibalianer. Weltliches und Geistliches haben einander gefunden, um ihre Vermögen zu mehren und ihre Macht auszubauen. In den Kellern dieser düsteren Gebäude arbeitet der ehemalige Professor Lucano in einem sonderbaren Labor. Auch er ein ehemaliger Lehrer der beiden, Erfinder des „Systems unifizierter Blasphemie“, betreibt im Verborgenen die Aufrüstung einer Armee aus Insekten, weil er den Untergang der Menschen fürchtet, die von den Maschinen, den Computern übernommen werden. Weil Stefano Benni das noch lange nicht reicht, lässt er Michael und Dolcino auf ihrer Suche nach Frau Prendiluna von zwei Seminaristen des Klosters – dumpfe „Trumpianer“ – aufhalten, doch der „Erzengel“ zieht sein grausames Schwert.
So wird aus diesem überbordenden Roman unter der Hand und mit dem passenden Augenzwinkern auch noch ein Kriminalroman. Spannung gibt es ohnedies genug, denn Frau Prendiluna läuft die Zeit davon, eine ihre Katzen hat sie einem freundlichen Busfahrer überlassen, eine andere der Tochter eines ehemaligen Kollegen. Eine dritte will sie Clotilde, einer damals braven und fleißigen Schülerin geben, die mittlerweile einen florierenden Sexshop betreibt. Auf deren Frage „Wie haben Sie mich gefunden?“, antwortet unsere Heldin: „Fatzebuck.“ Das mag man etwas lahm und abgestanden finden, Benni überrascht trotzdem mit trockenem Humor und wildem Fabulieren. Prendiluna ist ein wilder Roman, von dem man nicht weiß, ob er die Wahn- und Traumgespinste einer alten, mit Katzen umgebenen und vielleicht schon etwas senilen Dame beschreibt oder ob Benni tatsächlich die Sorge um den Zustand der Welt, wie er sie sieht, dermaßen umtreibt, dass er die aberwitzigsten Ideen entwickelt, um doch noch Rettung zu erhoffen. Benni pflegt, zumindest literarisch, eine Abneigung gegen gewisse Menschen und die Welt überschwemmende Phänomene (zum Beispiel „Smartefone“). Daraus entsteht ein mal bissiger, mal witziger, immer aber kluger und anspielungsreicher Text, der uns allen auf verschmitzte Weise den Spiegel direkt vor’s Gesicht hält und uns mit unseren oftmals nicht mehr hinterfragten Gewohnheiten, Urteilen und Meinungen konfrontiert.
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