Moderne und Handwerk

Michael Bies erzählt vom Handwerk in der Literatur und vom Handwerk mit der Literatur

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus dem Blickwinkel der Moderne- und Zivilisationskritik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gibt es keinen Zweifel am Niedergang des Handwerks, soll heißen am Untergang jener Fertigkeiten, mit denen große Teile unserer Lebenswelt erzeugt, errichtet, gewartet und repariert werden. (Versuchen Sie heute mal einen Handwerker zu bekommen!) Damit verbunden ist zugleich der Niedergang des mit dem Handwerk verbundenen sinnlichen und unverstellten Verhältnisses zur Welt. Statt der individuell gefertigten Gegenstände nur Serielles von der Stange, die uns dann, so der Ansatz, von Individuen zu austauschbaren Positionen machen – also, alles und alle gleich, und früher war alles anders und besser.

Vergleichbares lässt sich auch von anderen Lieblingsthemen der Kulturkritik sagen, Familie, Geschlecht, Ordnung. Sie sind für immer verloren, und mit ihnen die wunderschönen Zeiten, in denen noch alles stimmig und eins war, mit sich und mit anderen, zur Not auch natürlich.

Bereits für diesen Blick ist immer wieder festgehalten worden, dass neben der nachvollziehbaren Kritik an der Moderne, die mit solchen idealisierenden Vergangenheitsmustern herausgestellt werden soll, gleich ein gutes Maß an Geschichtsklitterung mitgeliefert wird, die Negativseiten konservativer bis nationalistischer Positionen, aus denen heraus diese Kritik an der Moderne formuliert wird, noch nicht einmal mitgedacht. Soll heißen, dass – auch wenn in der marxistischen Apotheose unentfremdeter Arbeit ein gutes Maß unhistorisches Ideal mit festgeschrieben wird – unter der Hand vor allem reaktionäre bis nationalistische Denkmuster mit der Modernekritik mitgeliefert werden. Und, unabhängig davon, welche soziale Formation mit der guten alten Vergangenheit verbunden und gegen die Moderne aufgestellt wird – Handwerk, Arbeit insgesamt, Familie, Ordnung oder auch unentfremdete Verhältnisse –, mit alledem war es in der Vormoderne nicht allzu weit her. Was nicht zuletzt darauf verweist, dass die Referenzverhältnisse der Modernekritik, die durch das Konzept „Handwerk“ geleistet werden soll, nicht aus einer idealen Vergangenheit stammt, sondern als Projektion einer idealen Gegenwart zu verstehen sind.

Michael Bies nun hat das Handwerk und eben nur das Handwerk in den Mittelpunkt seine Studie gestellt. Er macht dabei von Anfang klar, dass schon das Konzept, das sich mit dem Begriff verbindet, eine Erfindung der Moderne ist, alle Projektionen des Handwerks in die Vormoderne also ins Leere laufen, weil ihnen ihr Gegenstand schlichtweg entgleitet. Was da so zünftig zu finden ist, hat mit Handwerk nichts zu tun, auch wenn es – wie im Fall des Dürerschen Nürnberg – die gründlich zugerichtete Folie dazu hergeben muss. Die Moderne bedingt also keinen Niedergang des Handwerks, sondern erzeugt es erst. Und zugleich die Klage vom Niedergang des Handwerks, ist der Niedergang doch der eigentliche Grund für die Konstitution des Phänomens. Hinzu kommt, dass Bies zugleich betont, dass die Beständigkeit der Klage untrennbar zur Sache gehört – noch in Arnold Zweigs Roman Das Beil von Wandsbek (1943/1947, ein Text, der im übrigen in Biesʼ Studie nicht auftaucht), in dem der Schlachter Albert Teetjen zum Henker wird, weil ihn die Konkurrenz der Warenhäuser in den Ruin treibt, ist die verfluchte Moderne schuld, die unter der Hand sogar vom nationalsozialistischen Staat vorangetrieben wird, gegen jeden sonstigen Anschein.

Dass dabei die Transformationsprozesse des Handwerks (als Gewerbe) im Laufe der industriellen Revolutionen ignoriert werden, so Bies, versteht sich, bis hin zu dem Umstand, dass das, was wir Handwerk nennen, eben nicht untergegangen ist, sondern sich in jeder historischen Phase anders konstituiert, dass das Handwerk als selbständige und kleingewerbliche Tätigkeit schließlich eine enge Verbindung mit der Industrie eingegangen ist.

Kommt Biesʼ Studie damit auf den ersten Blick wie eine Begriffs- und Kulturgeschichte des Handwerks daher, zeigen sich Thema und Studie im nächsten Blick vielschichtiger und komplexer. Das erweist sich nicht an den Teilen von Biesʼ Arbeit, in denen er literarische Texte vorstellt, in denen Handwerker – Schneider, Tischler, Friseure, Uhrmacher, Bäcker (Kesselschmiede vielleicht noch, aber wohl nie Installateure oder Schlosser) – vorkommen. KfZ-Mechaniker sind wohl am ehesten in amerikanischen Roadmovies zu finden, wenngleich Die Drei von der Tankstelle (1930) oder Hans Richters Marga und die Automobile (1932) demonstrieren, dass solche Berufe auch diesseits des Großen Teichs medienfähig waren. Relevant daran ist allerdings nur, dass Handwerker Handlungsträger sind. Aber damit nicht genug, das Handwerk hat, wie Bies eben auch vorstellt, eine belastbare ästhetische Funktion, findet der Begriff sich doch auch in kunsttheoretischen Diskursen (oder deren sonstiger medialer Repräsentanz), in denen sich die Genieästhetik von der Poetiken der frühen Neuzeit abzugrenzen sucht, ohne dem höheren Dilettantismus zu verfallen, der mit dem Absehen vom Gelernten und Lernbaren eben auch gefährlich nahe liegt.

Denn der Begriff des Handwerks fasst eben nicht nur bestimmte Formen gewerblicher Tätigkeiten, sondern wird auch auf den erlernbaren und reproduzierbaren Teil künstlerischer Tätigkeiten übertragen, wenn denn vom „dichterischen Handwerk“ die Rede sein soll.

Biesʼ Handwerk der Literatur visiert mithin nicht nur Handwerk und Handwerker in literarischen Texten an, sondern eben auch die handwerklichen Teile der literarischen Produktion – ein Zusammenhang, der eben nicht nur dadurch konstituiert wird, dass auf der Handlungsebene kombiniert wird, was auf der ästhetischen ausgehandelt werden muss.

Solche doppelte Anlage führt freilich dazu, dass in Biesʼ Studie neben der Konstituierung und Durchführung von Handwerk in der Literatur und deren modernekritische Ausrichtung auch auf die kunsttheoretische Debatte verwiesen werden muss – und so nahe sich beide Themen auch sein mögen (vom künstlerischen Handwerk lässt sich eben erst dann sprechen, wenn es ein Handwerk gibt, das gegen Industrie einerseits und Kunst andererseits abgegrenzt werden muss), führt das dazu, dass Biesʼ Studie im Ganzen wenig fokussiert wirkt. Die Entscheidung, beiden Denklinien zu folgen und dies zudem in historischen Phasen getrennt zu tun, lässt ihn immer wieder unvermittelt zwischen beiden Ebenen wechseln. Wo eben noch vom biederen Handwerk die Rede ist, das sich gegen die Übermacht der Industrie erwehren muss, wird im nächsten Moment umständehalber von der Abgrenzung oder Integration von Kunst und Handwerk geredet. Modernekritik und Kunstdiskussion stehen damit, auch wenn sie sich terminologisch am selben Denkmuster nähren, einigermaßen unvermittelt nebeneinander, während die großen Linien, etwa die Emanzipation der Genieästhetik von der Regelpoetik oder der Abwehrkampf des Handwerks gegen die Moderne und deren jeweilige Wandlungen nicht durchgezogen werden.

Nun ist das als Kritik nicht wirklich essentiell, da der Gehalt der Arbeit zweifelsohne groß ist und ihre Lektüre lehrreich. Hinderlich ist freilich eine, sagen wir, handwerkliche Unsitte, die sich seit einigen Jahren in wissenschaftliche Studien und leider auch bei Bies findet, nämlich die Praxis, zuerst sagen zu müssen, was man im Laufe der Studie alles so machen und zeigen will, und am besten auch noch, wie man das tun wird, das dann im folgenden zu tun, um im Nachgang nochmal zu rekapitulieren, was man gerade gemacht und gezeigt und wie man es getan hat. Das mag dem Wunsch geschuldet sein, der intellektuellen Sprunghaftigkeit und methodischen Beliebigkeit, vielleicht sogar der rezipierenden Empfindsamkeit in den Literaturwissenschaften den Garaus zu machen (all das ist aller Ehren wert), gängelt aber in der Konsequenz – ins Extrem getrieben – die Leser solcher Studien, denen gleich mehrfach auf die Nase gebunden werden muss, was sie da vor sich haben, nicht, dass sie irgendwas falsch oder gar nicht verstehen. Warum muss jemand sagen, was er tun wird etc., statt es einfach zu tun? Damit er oder sie es am Ende selber glaubt? Besser nicht. Um eben auch diesen Text lesbarer zu machen,
hätte er also eine konzise Straffung verdient (durch ihn selbst oder durch wen auch immer), nicht zuletzt, weil es sich hier im Kern um eine aufschlussreiche Abhandlung handelt, mit der sich einiges anfangen lässt.

Titelbild

Michael Bies: Das Handwerk der Literatur. Eine Geschichte der Moderne 1775-1950.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022.
442 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783835352421

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