Der Tod. Ein lebendiger Begriff
Dieter Birnbachers interdisziplinäre Auseinandersetzung überzeugt
Von Sascha Mangliers
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.“
Folgt man dieser Auffassung des antiken Philosophen Epikur, ist ein Nachdenken über den Tod sinnlos. Ist der Tod nämlich eingetreten, haben wir kein Bewusstsein mehr, um ihn wahrzunehmen. Warum also über den Tod nachdenken, wenn wir ihn doch nie erleben werden? Eine klare Antwort auf diese Frage bietet Dieter Birnbacher in seinem neuen Werk Tod an.
Dort gibt der Düsseldorfer Philosoph nicht bloß einen Überblick über existenzielle Fragen zu den Themen Tod und Sterben, sondern bezieht auch bei sensiblen Fragen nach Suizid, Sterbehilfe und dem Umgang mit Schwerstkranken eine erfreulich klare Stellung.
Bereits auf den ersten Seiten seines Buches betont Birnbacher die historische Bedeutsamkeit einer Auseinandersetzung mit dem Tod, die bis heute tief in der Praxis philosophischen Denkens verankert ist: „Der Tod ist nicht nur ein stets wiederkehrendes, sondern auch ein übergreifendes Thema der Philosophie. Es berührt nahezu alle philosophischen Einzeldisziplinen […].“ Ebenso wie die Zeitgenossen Epikurs sind sich auch die Menschen heutzutage bewusst, dass ihr Leben endlich ist. Dieses Bewusstsein wirft notwendigerweise Fragen auf. Neben paradigmatischen Fragen wie „Was passiert mit meiner Seele nach dem Tod?“, oder „Muss ich den Tod fürchten?“ rücken, so Birnbacher, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt stets neue Perspektiven auf den Tod in den Vordergrund des gesellschaftlichen Interesses.
Birnbacher macht dabei deutlich, dass der Begriff des Todes einem permanenten Wandel unterliegt. Durch die rasante Entwicklung in kurativer und palliativer Medizin und die Ablösung von religiösen Vorstellungen zugunsten des Wunsches des Menschen nach Selbstbestimmung werden bezüglich des Todes gänzlich neue Kategorien von Fragen aufgeworfen.
Mit chirurgischer Genauigkeit verdeutlicht Birnbacher, dass längst sichergeglaubtes Wissen aus heutiger Perspektive alles andere als sicher ist. Noch bis ins mittlere 20. Jh. galt eine Person dann als tot, wenn ihre Atmung und Herzschlag stillstanden. Doch was ist mit Menschen, die künstlich am Leben gehalten werden? Und wie beurteilt man den als „Hirntod“ bezeichneten Zustand eines Menschen? Anhand einiger solcher Beispiele gelingt es Birnbacher zu zeigen, dass obige Definition aufgrund von Grauzonen zwischen Leben und Tod unzureichend ist. Dem Leser wird beispielhaft vor Augen geführt, wie verschiedene Auslegungen ein und desselben Begriffs unterschiedliche Folgen im praktischen Umgang mit dem Tod bewirken würden.
Der Tod ist ein sensibles Thema, mit dem jeder Mensch einen anderen Umgang bevorzugt. Einige Menschen nähern sich dem Thema Tod mit wissenschaftlichem Interesse, andere meiden eine Auseinandersetzung, und wiederum andere beschäftigen sich erst im Angesicht eines Trauerfalls oder einer eigenen schweren Erkrankung mit dem Tod. Es scheint nicht weniger als eine Sisyphos-Aufgabe zu sein, all diesen Motiven in einem Buch über den Tod gerecht zu werden. Doch wer wie Birnbacher seinem Werk den globalen Titel Tod gibt, scheint sich zumindest implizit auf diese Aufgabe einzulassen. Und er löst sie mustergültig! Sicherlich sieht sich Birnbacher als renommierter Vertreter im Bereich der Medizin- und Bioethik in erster Linie einem fachwissenschaftlichen Interesse am Thema „Tod“ verpflichtet. Dabei betrachtet er das Phänomen des Todes aus der Perspektive unterschiedlicher philosophischer Disziplinen, kontrastiert in beeindruckender Klarheit Unterschiede zwischen konkurrierenden Positionen, wie z. B. den Gegnern und Befürwortern eines liberalen Sterbehilfegesetzes, und lädt den Leser immer wieder zu Exkursen zu den klassischen Philosophen wie Hume, Nietzsche oder Schopenhauer ein. Auch seine Begriffsanalysen grundlegender Termini wie „Tod“, „Selbstbestimmung“ und „Furcht“ sind alles andere als Wortklauberei. Durch sie eröffnet Birnbacher dem Leser erst die Möglichkeit, eine andere Perspektive gegenüber verschiedenen Phänomenen einzunehmen und unseren derzeitigen Umgang mit ihnen kritisch zu hinterfragen.
Zudem gelingt es Birnbacher eindrucksvoll, auch lebenspraktische Fragen in Bezug auf den Tod zu berücksichtigen. Zentralen Fragen wie „Ist Todesfurcht angemessen?“ oder „Wie könnte der gute Tod aussehen?“ werden eigene, gut übersichtliche Kapitel gewidmet, in denen der Leser seine eigenen Intuitionen in die Waagschale werfen, oder sich auch einfach einen verständlichen Überblick verschaffen kann.
Nicht zuletzt gelingt dem Autor etwas ganz Entscheidendes, worauf es auch bei Veröffentlichungen zu anderen schwierigen Themen wie Abtreibung, Tierethik oder Religion ankommt: Birnbacher trifft den richtigen Ton. Wohlwissend, dass beispielsweise für nicht wenige Menschen die Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod eine elementare Bedeutung hat, analysiert er auf diesem Terrain höchst sachlich und mit angemessenem Respekt dem Thema gegenüber.
Dieses Buch bietet jedoch weit mehr als eine Deskription dessen, was unter dem Begriff „Tod“ verstanden wird. Zwar geht Birnbacher in der Tat sehr minutiös auf unterschiedliche Explikationen zentraler Begriffe ein und beschreibt Intuitionen, die wir gegenüber verschiedenen Aspekten des Todes haben, jedoch bringt er seine Position diesbezüglich an passenden Stellen immer wieder ein und geht damit den Schritt, den einige andere Philosophen sich zu gehen scheuen.
Insbesondere dort, wo es um Fragen nach dem medizinischen Umgang mit sterbenden und sterbewilligen Personen geht, macht Birnbacher seine liberale Haltung gegenüber medizinisch begleitetem, selbstbestimmtem Sterben deutlich. Auch auf Missstände im gegenwärtigen Umgang mit Sterbenden macht er dabei aufmerksam: „Auch das Ideal des guten Sterbens, so scheint es, ist nicht dagegen gefeit, zu paternalistischer Fremdbestimmung missbraucht zu werden“. Mit erfrischend nüchterner Betrachtung der Dinge gelingt es Birnbacher auch in Bezug auf das Thema Suizid den alten religiösen Dogmen der Unverfügbarkeit über das eigene Leben den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne dabei einen bedenkenlosen Liberalismus stark zu machen: „Eine Pflicht, ein ungeliebtes Leben bis zum bitteren Ende zu leben, lässt sich ebenso wenig begründen wie eine Pflicht, alles zu tun, um so lange wie möglich zu leben“.
Dabei beweist Birnbacher, dass aus tiefgehenden philosophischen Untersuchungen durchaus intuitiv einleuchtende und lebenspraktische Thesen resultieren können.
Was aber ist denn nun der Tod genau? Die zentrale Antwort Birnbachers ist, dass der Tod ein Begriff im Wandel der Zeit ist. Es gibt nicht den einen Tod, der in jeder Kultur, in jeder Zeit und in jedem Kontext als eindeutig angesehen wird. Das bedeutet jedoch nicht, wie Birnbacher glasklar darstellt, dass es nicht mehr oder weniger plausible Antworten auf diese Frage gäbe, anhand derer sich Handlungskriterien im Kontext der Medizin und des Umgangs mit Sterbenden und Verstorbenen ableiten lassen. Mit diesem Buch schafft Birnbacher somit nicht nur einen weitreichenden Überblick über die Kontroversen, die es in Bezug auf praktische Fragen des Todes gibt, sondern evaluiert überdies zahlreiche Argumente und gibt punktuelle Ausblicke, welche Richtungen der Diskurs über den Tod sinnvollerweise einschlagen sollte.
All denjenigen, deren Interesse an diesem Buch geweckt ist, sei vorher aber eines gesagt: Dieter Birnbachers Werk Tod fordert etwas vom Leser. Es fordert, dass man es immer wieder aus der Hand legt und über die dargestellten Argumente nachdenkt. Lässt man sich aber auf diesen Umgang mit dem Buch ein, fordert es einen mit doppelter Kraft auf, weiterzulesen und sich einem der spannendsten Phänomene des menschlichen Daseins, dem Tod, philosophisch zu nähern. Tod ist für den philosophisch belesenen, wie für den „unvorbelasteten“ Leser gleichermaßen eine absolute Empfehlung!
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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