Die Komik haftet am lebenden Bild

Der expressionistische Lyriker Ernst Blass war in den 1920er Jahren als Filmkritiker aktiv. Seine Filmtexte sind jetzt in einer Auswahl erschienen, mit einem betörenden Bekenntnis: „in kino veritas“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ernst Blass, 1890 geboren, 1939 gestorben, spielt in der Literatur der Weimarer Republik keine auffallende Rolle. Als expressionistischer Lyriker bekannt, folgte er aber seit 1924 einer arg entfremdeten Leidenschaft – dem Kino – und schrieb zahlreiche Filmkritiken. Erschienen sind sie zwischen 1924 und 1929 vor allem im Berliner Tageblatt, daneben aber auch im Börsen-Courier, in der Literarischen Welt und im Montag Morgen. Seinen letzten Filmtext publizierte er noch 1933 in der Literarischen Welt, allerdings machte sich Blass mit seinen Filmpublikationen seit 1929 eher rar, vielleicht aus gesundheitlichen Gründen. Die Häufung seiner Kritiken in den späten 1920er Jahren führt dazu, dass Blass vor allem als Kritiker des entwickelten Stummfilms aufgetreten ist.

Den Tonfilm hat er mit Skepsis betrachte, wie eine Bemerkung aus dem Jahr 1930 erkennbar macht, in der er bezweifelt, dass der Tonfilm je an den Stummfilm herankommt: „Für den Tonfilm wird es sehr schwer sein, eine dem stummen Film ebenbürtige Form zu finden – und fast unmöglich, ähnlich zu bezaubern.“ Dabei hatte er einiges an Stummfilmen zu bemängeln, gerade weil er der Gattung zugestand, dass er aufgrund der fehlenden Sprache „geladen“ gewesen sei. Der Tonfilm biete statt dessen erst einmal nur Lärm. Was ihn am Stummfilm faszinierte, ist vielleicht das, was uns heute eher anachronistisch erscheint, die überzeichnende Gestik und der starke Ausdruck, die dem Mangel an Sprache abzuhelfen hatten. Die Möglichkeit auch, tief in die Seele der Figuren zu blicken und Zuschauer daran teilhaben zu lassen.

Der Filmkritiker Blass ist – vielleicht wie der Lyriker – empfindsam. Er verlässt das Kino ergriffen, und er will ergriffen sein. Von einer Schauspielerin ist er begeistert, wenn sie „als vornehme Dame anmutig und lieblich, im Menschlichen und Weiblichen taktvoll“ ist – Gender ist hier noch weit weg. Blass will Größe, das Schöne, das Erhabene, das Glück, die Freundschaft, das Schicksal – und trifft nun auf Leser/innen, die knapp 100 Jahre später schon etwas anderes darunter verstehen.

Besonders fasziniert zeigt sich Blass vom Tierfilm und hier ganz besonders von einer Reihe, die die Abenteuer eines ausdrücklich deutschen Schäferhunds namens Rin-Tin-Tin schilderten (Älteren vielleicht noch aus der US-Serie der sechziger Jahre bekannt, allerdings aus naheliegenden Gründen mit einem anderen Hund gedreht). Blass begeisterte besonders, dass der Film in die Seele des Hundes schauen ließ, seine „geheimnisvolle und wahre Liebe“ zeigt, kurz „ein herrliches Tier“.

Heutige Leser werden solche Neigungen vielleicht etwas ratlos machen, und sie werden sich vielleicht auch ein wenig am Duktus Blass’ stören. Sie werden aber von seinen immer wiederkehrenden stilistischen Perlen mehr als entschädigt: Eine Formel wie „in kino veritas“ lässt einen ein wenig an der Besoffenheit teilhaben, die eben auch im Kinobesuch gesucht wird. Es sind natürlich „gesunde und vernünftige Neigungen“, im Kino Kurzweil, Illusionen, Romantik und Abwechslung zu suchen. Dem ist nicht zu widersprechen. Wer ins Kino geht, will nicht mit Wahrheit angeödet werden, sondern für sie bestenfalls fasziniert werden. Und dafür braucht es eine spezifische Kunst, in der unter anderem Buch, Handlung, Regie und Schauspielerei zusammenwirken müssen, damit sie wirksam wird.

Zur wahren Größe aber wächst Blass, wenn er sich über die verhunzten und verstiegenen Plots der Filme hermacht, die einem – teilweise gar mit hohen Vorschusslorbeeren – vorgesetzt werden. Vernichtend ist, wenn er solche beiläufigen, unwahrscheinlichen und aufgeladenen Handlungselemente als „Privatsache“ des Regisseurs abkanzelt. So möchte man nicht verrissen werden. Auch nicht posthum, wie das Exempel Hedda Gabler zeigt, einem Film nach einem bis heute immer wieder aufgenommenen Stück Henrik Ibsens, den Blass anscheinend furchtbar fand. Nebenbei: bis auf die Darstellerin Asta Nielsen. Der Protagonistin wirft Blass genau das vor, was wir immer wieder am Stück schätzen, ihre Suche, ihre Gier nach Schönheit, nach Poesie, was sie übersehen lässt, dass nicht die Welt oder auch ihre Umgebung schön sein, sondern wir selbst das Schöne sehen müssen: Nicht die andren  müssten poetisch sein, meint Blass, sondern wir: „Das Leben ist zwar oft wie ein Buch, das wir schreiben, tiefer noch ist es ein Buch, das wir lesen. Es aber als Buch aufzufassen, das wir rezensieren, ist durchaus nicht poetisch.“ Womit auch das eine oder andere über die Filmkritik gesagt ist.

Titelbild

Ernst Blass: in kino veritas. Essays und Kritiken zum Film. Berlin 1924-1933.
Ausgewählt, mit einem Nachwort versehen und herausgegeben von Angela Reinthal. Mit einem Geleitwort von Dieter Kosslick.
Elfenbein Verlag, Berlin 2019.
285 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783961600083

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch