Lachen am Limit

Ein Sammelband von Friedrich W. Block und Uwe Wirth erforscht Grenz-Fragen des Komischen

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wieso sollte man über alles lachen können? Wann wäre ‚Schluss mit lustig‘? Um die Grenzen der Komik zu bestimmen, muss man sich erst einmal mit dem Phänomen der Komik selbst befassen. Eine ihrer Grundeigenschaften ist es ja, Grenzen zu überschreiten. Mit diesen Fragen setzte sich das Kasseler Komik-Kolloquium in zwei Tagungen, über die „Grenzen des Komischen“ und über „Komik und Religion“, auseinander. Die Ergebnisse sind in einem Tagungsband zusammengefasst.

Die Herausgeber Friedrich W. Block und Uwe Wirth fassen ihr Thema programmatisch und systematisch. Block weist darauf hin, dass die Grenze in den Theorien zur Komik eine substantielle Rolle spielt. Das Komische macht einen Unterschied: zwischen Gemeintem und Gesagtem, als sozialer oder moralischer Rahmenbruch, als psychische Aufwandsersparnis, als alltagskommunikative Transgression, als politische oder religiöse Grenzüberschreitung.  Dabei offenbart sich das Komische selbst als Grenz-Phänomen. Es zeigt seine internen Grenzen, die es in Gattung, Form und Stil strukturieren. Und es erfährt seine eigene Grenze zum Ernst – und zum Schweigen – immer da, wo die Angemessenheit von Humor, Lachen und Komik fragwürdig ist, etwa in der literarischen oder filmischen Darstellung des Holocausts.

Uwe Wirth unternimmt den Versuch, das Komische „von der Grenze her“ zu denken. Am Beispiel des „komischen Barbaren“ zeigt er, wie das Lachen über den, der nicht am Wissen der Gebildeten teilhat, die „Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen“ markiert. Komik signalisiert hier also kulturelle Differenz in einem Deutungsschema, dessen Grenzen sich stets verschieben, auflösen und neu bilden können. Wo der Komik ein Deutungsrahmen gesetzt ist, sind die Grenzen dieses Rahmens veränderbar, gerade auch weil die Komik solche Grenzen, die sich durch Ressentiments oder Präsuppositionen verhärten, überwinden kann. Insofern ist das Komische in der Literatur und im Film besonders wirksam, weil es sein Gegenteil – Tragik, Erhabenes, Ernst – subversiv oder überaffirmiert auf die Probe stellt, mit anderen Worten: praktisch umwendet. Wirth zeichnet diese Rekonfiguration des Tragikomischen an Walter Benjamin Trauerspiel-Buch nach. Mit dem Intriganten sei, so Benjamin, die Komik ins Trauerspiel eingezogen: als seine Unterfütterung. Das Komische sei die „obligate Innenseite der Trauer“ (Benjamin), ein „inside-out-Phänomen“ (Wirth).

Die Beiträge sind reich an Einsichten. Sie beschäftigen sich mit Comedy-Shows (Verstehen Sie Spaß?), mit komischen Darstellungen des Holocaust, Hitler-Parodien, mit „Kitsch als Komik ohne Humor“ (Nils Jablonski), mit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen, mit der streng sanktionierten „Punk-Andacht“ der russischen Band Pussy Riot, mit den Humor-Reserven der biblischen Schriften, dem angeblichen „Spaßloch“ der altchristlichen Kirche (Roald Dijkstra und Christian F. Hempelmann) und mit komischen Grenzpraktiken im Lukas-Evangelium (Erwartungsdurchbrechung und Statusumkehr im Jenseits).

Humor hat man, Komik macht und entdeckt man, hat Robert Gernhardt gesagt. Das Entdecken ist dabei gar nicht so einfach, weil der Witz, Jean Paul zufolge, nicht die Kraft hat, seine eigene Beschreibung zustande zu bringen. Dem vorliegenden Sammelband gelingt es indessen fabelhaft, die Grenzen der Komik zu vermessen. So fabelhaft, dass man die doppelte Seite 93-94 (in der Ausgabe, die dem Rezensenten vorliegt) mit der Abbildung von Wolfgang Herrndorfs Meta-Karikatur „Kühe beim Nachstellen eines Gary-Larson-Witzes“ fast für einen Setzerwitz halten könnte. Ein erhellender und reflektierter Beitrag zur Komik-Forschung.

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Friedrich W. Block / Uwe Wirth (Hg.): Grenzen der Komik. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
392 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783849815950

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