Poesie und Politik

Nora Bossongs Gedichtband „Kreuzzug mit Hund“ ist eine Reise – durch die Zeit und von Deutschland bis in den Nahen Osten

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer nicht den Mut oder die Möglichkeit hat, die Welt und den Nahen Osten zu bereisen, dem gibt Nora Bossong mit ihrem neuen Gedichtband Kreuzzug mit Hund die Möglichkeit, zu erfahren, welche Wunden der Konflikt seit dem Palästinakrieg von 1948 in Israel gerissen hat, wie die Strahlkraft der Religionen ausgenutzt werden kann und welche Ketten die deutsche Bürokratie ihren Bürgern anzulegen vermag. Kreuzzug mit Hund ist eine Reise durch die Zeit, durch die Mythologie – zu Robespierre, zu Kreuzzügen, den Hugenotten und zu Europa, der Geliebten von Zeus – und eine Reise durch Deutschland, Israel und den Iran.

Charakteristisch für die Gedichte ist die Verdichtung der Emotionen und Assoziationen. In knappen, reimlosen Versen verbergen sich Anspielungen an das Pogrom an französischen Protestanten im Jahr 1572 ebenso wie an Hans von Trothas romantische Gartenträume. In wenigen Worten steigen die Verse tief in historische und politische Zusammenhänge ein. Dabei entsteht aber keineswegs ein Eindruck von Sprunghaftigkeit und Hektik, sondern vielmehr reift ein Bild, das sich aus Erfahrungen und Erfindungen, Erlebtem und Erfühltem zusammensetzt. Deutlich ist die Kritik am Iran, die den Abschluss des Buches bildet. Bossong kritisiert Zensur und Werbung „für das Jenseits“ durch die Regierung und wird im titelgebenden Gedicht „müde vom Smog / und all den Mysterien“ in Teheran. Tschadorschatten, ein Bild von Khomeini, von Propheten in Teheran – das Resümee des lyrischen Ichs scheint allgemeingültig: „Was wussten sie schon, was Gott will. Wüssten wir nur, / was jemand will, wüssten wir viel.“

Nur scheinbar provinzieller und beschaulicher geht es im ersten Teil des Gedichtbandes zu. In ihm gibt die Autorin dem typisch deutschen Hochmut gegenüber der Beamtenbürokratie Raum. Es gehört scheinbar zum guten Ton, sich über stempelschwingende Steuerverwalter lustig zu machen. Obwohl der Blick auf Krisenherde, Unterdrückung und korrupte Verwaltungen in vielen Staaten dazu führen müsste, die effiziente Verwaltungsstruktur in Deutschland zu loben, stimmt Bossong mit ihren Gedichten zur Sachbearbeiterin K und der Anlage 4, die für „Ihre Existenz / nicht zuständig nicht vorgesehen“ ist, in den inhaltsleeren Katzenjammer einer satten Gesellschaft ein. Denn die Konflikte, die sich zwischen Bildschirm und Locher abspielen und beispielsweise die Qualität des Kaffees im Büro thematisieren („wer will / die verkalkte Plörre trinken“), belegen nur, wie gut es Deutschland geht. Stellt sich in Israel die Frage, wann der nächste Raketenangriff die Nacht zerschneiden wird, ereilt den deutschen Bürger, der sich lebenslang um die Verwaltung seines Besitzes kümmert, lediglich die „Registrierung“ durch eine Sachbearbeiterin, „Entgeltgruppe acht neununddreißig Stunden die Woche“. Voller Ironie und Melancholie berichtet Bossong von „Neubauriesen“, in denen kaum noch jemand von hellen Wiesen träumt: Wer „träumt je nur aus dem Hofkarree hinaus?“

Zugleich entwickelt sich Europa zu einem bürokratischen Moloch, der die größte Gefahr für die Akzeptanz und die Legitimation europäischer Instanzen geworden ist. Kreuzzug mit Hund, das den Band einleitet, ist mit dem Stoßseufzer „Ach Europa“ überschrieben und kritisiert „Verwaltungschaos“ und ein „Panoptikum aus Irren und Ehrenbürgern, / Bagatellen und bösen Geistern“. Zwar endet das Gedicht mit der Hoffnung, „dass es einmal gut ausgeht“ mit Europa. Das ist poetische Politik. Die Hoffnung schmälert die radikale Kritik nicht. Regelungswut, radikale Alternativen und unzureichende Informationen bildeten die Grundlage der wilden Brexit-Diskussionen im Vereinigten Königreich. Ob es der Politik gelingt, pragmatische Lösungen wie die Schaffung eines „Europäischen Währungsfonds“ und die Konzentration auf wesentliche Grundlinien umzusetzen, bleibt abzuwarten. Dem Leser des Gedichtbandes sollte insbesondere kurz vor der Europawahl im Jahr 2019 klar sein, dass Europa das Spannungsfeld unterschiedlicher Ideen souveräner Einzelstaaten ausmacht.

Diesen weiten Bogen zu spannen, gelingt Bossong auf sehr ungewöhnliche Weise. Sie schafft es, sich schreibend in Konflikte einzumischen und kritisch zu reflektieren, ohne parteiisch zu wirken. Das Politische in ihrer Lyrik kann außerdem über den konkreten Gegenwartsbezug hinaus bestehen, ohne Aktualität zu verlieren. Bossongs Thesen sollten Debatten über Missverhältnisse und die Rolle von Religionen im 21. Jahrhundert auslösen. Denn alle Demokraten wissen: Von allein geht es nicht „einmal gut aus“ mit Europa. Dazu muss man sich wenigstens an Wahlen beteiligen.

Titelbild

Nora Bossong: Kreuzzug mit Hund. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
107 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783518428184

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