Doch kein Dialog
In „Bot. Gespräch ohne Autor“ sind Auszüge aus dem Tagebuchwerk von Clemens J. Setz zu bestaunen
Von Christian Dinger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGesprächsbände mit Autor*innen sind eine sonderbare und nicht selten mühselige Angelegenheit. Die für gewöhnlich auf ein bis zwei Zeitungsseiten angelegte journalistische Textsorte des Interviews wird auf hunderte Seiten ausgedehnt, was die Befragten, die eigentlich in der Schriftsprache beheimatet sind, in die unangenehme Position versetzt, in spontaner Mündlichkeit Antworten auf tiefgründige Fragen zu finden, die sowohl den Informationshunger des lesenden Publikums wie auch deren Bedürfnis nach ästhetischem Lesegenuss befriedigen. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, ist auch dem Grazer Schriftsteller Clemens J. Setz aufgefallen. Als er sich mit der Lektorin Angelika Klammer traf, die bereits einen viel beachteten Gesprächsband mit Herta Müller herausgegeben hat, wollten die Worte nicht so fließen wie in seinen Erzählungen und Romanen, Gedichten und Essays. Seine Antworten erschienen dem Autor belanglos, die angestrebte Tiefe wollte sich im Dialog nicht einstellen. Etwas musste anders gemacht werden.
Ob sich Setz, von dem in den Feuilletons schon so einige eloquente und schlagfertige Interviewantworten zu lesen waren, bei dem Gespräch mit Klammer wirklich so ungeschickt angestellt hat, lässt sich mithin bezweifeln. Vielleicht waren die Hürden eines mehrtägigen Interviews auch einfach der willkommene Anlass, um ein Experiment zu wagen, das den Autor schon länger reizt. Bereits 2014 berichtete Setz in der Zeit (http://www.zeit.de/2014/28/androide-sprachfaehige-computer) von einem Forscherteam, das Philip K. Dick, den verstorbenen Autor des als Blade Runner verfilmten Romans Do Androids Dream Of Electric Sheep?, als Roboter nachgebaut hat. Die Sprachsoftware des Roboters griff dabei auf die zehntausende Seiten umfassenden Texte Dicks zurück. Die Nachbildung des Science-Fiction-Autors antwortete mit Auszügen aus seinen zu Lebzeiten produzierten Romanen und Interviewantworten und das so überzeugend, dass selbst Dicks Angehörige beeindruckt waren.
Diese kuriose Episode der KI-Forschung lieferte die Vorlage für den im Februar vorgelegten Band Bot. Gespräch ohne Autor. Auf die Fragen von Angelika Klammer antwortete nicht Setz selbst – zumindest nicht der gegenwärtige Setz –, sondern die „ausgelagerte Seele“ des Autors: sein umfangreiches und bisher nicht publiziertes Tagebuchwerk. Zu diesem Zweck wurden Setz’ Journale in eine einzige riesige Worddatei zusammengefasst und „durch eine simple Volltextsuche bestimmter zentraler Wörter innerhalb der formulierten Frage oder auch sinnverwandter Begriffe“ wurde der Tagebucheintrag ausgewählt, der als Antwort auf die von der Lektorin gestellte Frage fungieren soll. Auf diese Weise entstand ein Gesprächsband, das den lebendigen Autor nicht mehr braucht.
Beim ersten Eindruck überwiegt zunächst einmal die Enttäuschung. Keine ausgeklügelte Sprachsoftware, kein komplizierter Algorithmus, sondern eine schnöde Volltextsuche bei Word liegt dem Clemens-Setz-Bot zugrunde. Hinzu kommt, dass Setz’ „Antworten“ allzu deutlich als Tagebucheinträge erkennbar sind – spätestens die Datierung des Eintrags unter jeder Antwort zerstört die Illusion, der Text würde sich tatsächlich auf die vorher gestellte Frage beziehen. Hin und wieder gelingen Glückstreffer, in denen Frage und Antwort so gut zueinander passen, dass tatsächlich der Eindruck eines Dialogs entsteht:
Sie sehen C-Dur grasgrün, den Farbton einer Pause als feines Silbergrau – und sonst?
Ich bin ein Synästhet der selbst Demütigungen in verschiedenen Farben erlebt.
(Januar 2014)
Wenn man so etwas liest, dann freut man sich, weil das Spiel, das man so gerne mitspielen möchte, für einen Moment funktioniert. Aber für gewöhnlich erscheint Angelika Klammer als reine Stichwortgeberin, die zentrale Begriffe und Zitate aus dem Setz’schen Œuvre aufruft und diese dann später in eine Suchmaske eingibt. Die Textsorte des Journals lässt sich hier nicht verleugnen. Bei aller Bereitschaft zum Mitspielen ist man sich als Leser stets der Tatsache bewusst, dass man kein Interview liest, sondern ein Journal.
Aber was für ein Journal! Die Eindrücke und Reflexionen, die Clemens Setz in den letzten Jahren festgehalten hat, sind mit alldem gespickt, wofür ihn seine Fans lieben: kuriose Alltagsbeobachtungen, irreführende Lexikoneinträge, Zufallspoesie, anrührende Geschichten von einsamen Menschen oder Tieren. So wie die Geschichte von Batyr, einem Elefanten, der über Jahrzehnte alleine in einem kasachischen Zoogehege eingesperrt war und irgendwann anfing, einige russische Wörter zu erlernen und sie nachts in ständiger Wiederholung in die Dunkelheit hinein zu sprechen. „Die Wörter, die der Elefant wiederholte, waren sein Name (kurz und abgehackt intoniert), ‚Wasser‘, ‚guter Batyr‘, ‚böser Batyr‘, ‚Idiot‘, ‚Ja‘, ‚Geh‘, verschiedene umgangssprachliche Ausdrücke für ‚Penis‘ und ‚Gib her!‘“
Angesichts des grandiosen Inhalts verflüchtigt sich die Enttäuschung über die halbherzige Form recht schnell und man beginnt nach einigen Seiten die Tagebucheinträge als das zu lesen, was sie wirklich sind: Tagebucheinträge. Dabei fällt bald auf, dass der Untertitel Gespräch ohne Autor nicht ganz zutreffend ist, denn selten fühlte man sich als Leser dem Autor Clemens Setz so nah, wie in einigen seiner Einträge.
Aber im Ernst, es ist unerträglich und lächerlich, ich bin jetzt 31 und habe noch immer keinen Beruf. Ich bin als Entertainer im Land unterwegs. […] Heftiger Selbstekel auch beim Gedanken an den zu 85% fertigen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Schade, dass mein Roman Über die Natur nicht erscheinen kann, oder darf, was weiß ich. Weil dann alle entsetzt, Karriere aus, lol. Noch größerer Ekel später beim Gedanken an ein Autorenleben mit, let’s say, fünfundvierzig oder fünfzig. Immer noch um Stipendien ansuchen, auf Preise hoffen. Auftreten und witzig sein. Wir wollen es lieber gut sein lassen, dann.
Schon öfter hat Setz in Interviews davon gesprochen, dass seine Karriere als Autor vielleicht bald zu Ende sein wird. Das konnte man vielleicht noch als Koketterie abtun oder als schriftstellerische Larmoyanz. Doch in seinen Aufzeichnungen steht der Autor einem in so klarer und entwaffnender Aufrichtigkeit gegenüber, dass man alle Theorien zu schriftstellerischen Inszenierungspraktiken über Bord wirft und nichts anderes empfindet als eine tiefe und melancholische Verbundenheit.
Setz bezeichnet es im Vorwort zu diesem Band als „eine schwer zu verteidigende Eitelkeit, seine Notizbücher und Journale schon zu Lebzeiten zu publizieren“. Aber ist es das? Wieso sollte die Publikation eines Journals eitler sein als die eines Gesprächsbands, der ja ebenso ein Selbstzeugnis ist? Und gehören nicht einige zu Lebzeiten eines Autors publizierte Tagebuchwerke (die Tagebücher von Max Frisch etwa oder Wolfgang Herrndorfs Arbeit-und-Struktur-Blog) zu dem besten, was deutschsprachige Literatur zu bieten hat? Es gibt also keinerlei Grund für die falsche Bescheidenheit, die Textsortenzugehörigkeit der Setz’schen Aufzeichnungen zu verleugnen und sie in einer schmalen Auswahl von mageren 160 Seiten abzudrucken. Angemessen wäre vielmehr eine große Edition der Tagebücher von Clemens J. Setz, in Leinen, mit Lesebändchen, gerne auch mehrbändig im Schuber. Denn wir haben es hier – so viel verrät diese Auswahl bereits – mit einem großen Tagebuchwerk der Gegenwartsliteratur zu tun, einer Schatztruhe für Setz-Liebhaber, einer wahren Entdeckung.
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