Ein Traum verbrennt

Simone Buchholz legt mit „Mexikoring“ das achte Abenteuer ihrer unkonventionellen Anwältin Chastity Riley vor

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn in einem brennenden Auto im Hamburger Norden, am Mexikoring, ein Mann namens Nouri Saroukhan gefunden wird, eingeschlossen, durch K.O.-Tropfen wehrlos gemacht und kurze Zeit später im Krankenhaus sterbend, weiß die Polizei, in welche Richtung sie ermitteln muss. Denn die aus dem Nahen Osten stammende, patriarchal strukturierte Familie Saroukhan mischt an vorderster Front mit im Bremer Rauschgift- und Glücksspielgeschäft. Und sollte es einem wie Nouri, der mit Zustimmung der Seinen zum Jurastudium nach Hamburg ging und sich dann entschloss, das Studium aufzugeben und bei einer Versicherungsgesellschaft als Vertreter zu arbeiten, einfallen, aus der Reihe zu tanzen, ist ihm klar, was er zu erwarten hat. Denn wo nur die Familie zählt, der sich Söhne wie Töchter bedingungslos unterzuordnen haben, besitzen ein Einzelner und sein Leben keinen Wert.

Doch ganz so einfach, wie es zunächst scheint, liegen die Dinge nicht. Als Chastity Riley, Simone Buchholz‘ taffe Anwältin, vor dem eben von der Feuerwehr gelöschten Fiat steht, geht ihr auch als erstes die Frage durch den Kopf, ob die Saroukhans gerade dabei sind, ihren Einfluss auf Hamburg auszudehnen. Warum aber sollte ein krimineller Familienclan, der der Bremer Polizei schwer zu schaffen macht, gut vernetzt ist und absolut nicht abzuschrecken durch die deutschen Gesetze, plötzlich versuchen, seine gewohnte Umgebung zu verlassen und ausgerechnet da Fuß zu fassen, wo die Felle schon längst verteilt sind? Und wer ist die rothaarige Frau, die von einem Parkhausdach aus den Tatort beobachtet und schnell die Flucht ergreift, als sie sich entdeckt sieht?

Auch in ihrem achten Fall geht Chastity Riley, eine von Schlaflosigkeit geplagte Mittvierzigerin, gewohnt unkonventionell zu Werke. Inzwischen hat sie den LKA-Mann Ivo Stepanovic an ihrer Seite, der auch nicht gerade zu den pflegeleichten Zeitgenossen zählt, noch dazu promiskuitiv veranlagt zu sein scheint, aber dennoch gelegentlich einen gewissen Reiz auf sie ausübt. „Rechts ranfahren und rummachen“, wie er der Kollegin ab und an vorschlägt, ist aber schon allein aufgrund der Tatsache nicht drin, dass eine alte Liebe Chastitys ihre Zelte in der Türkei des überall Feinde witternden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan abgebrochen hat und zurück ist auf St. Pauli. Was den sonstigen Freundeskreis der ermittelnden Staatsanwältin betrifft, die bei ihren Vorgesetzten so beliebt ist wie der HSV am Millerntor, so hat sich da wenig geändert: keiner ohne Beschädigung, aber alle, vom Kneipenwirt bis zum Ex-Kriminaler, tapfer dabei, weiterzuleben.

„Bremen braucht Batman“, heißt es immer dann im Roman, wenn man wieder einmal am Schweigen und der dahinterstehenden, hasserfüllten Verachtung der Saroukhans verzweifelt. Aber die beiden übriggebliebenen Söhne des Patriarchen, nachdem Nouri das Haus verlassen hat und der Jüngste bei einem illegalen Autorennen sein Leben ließ, haben hieb- und stichfeste Alibis. In der Tatnacht befanden sie sich nach einer Massenschlägerei in Polizeigewahrsam. Also richtet sich die Aufmerksamkeit der Hamburger Ermittler auf die unbekannte Frau vom Tatort und den Kollegenkreis Nouris bei der AKTO-Versicherung, einen Haufen von Prämien und Boni getriebenen, dicke Schlitten fahrenden und ihr Ego rund um die Uhr mit Koks befeuernden Machos, von denen nur einer mit Saroukhan halbwegs befreundet war.

Der Leser von Mexikoring weiß da bereits mehr. Denn wie eine kleine Geschichte in der Geschichte hat ihm Buchholz ab der Hälfte des Romans und immer wieder unterbrochen von kurzen Kapiteln, in denen die Ermittlungsarbeit erneut in den Fokus rückt,  die Geschichte von Nouri Saroukhan und Aliza Anteli erzählt. Es ist eine Liebesgeschichte ohne Happyend. Eine Geschichte von zwei Menschen, die sich als Kinder kennenlernen und von da an unzertrennlich sind. Dass sie einmal gemeinsam fliehen wollen aus ihren familiär vorgegebenen Wegen, die ihnen keine eigene Freiheit lassen, gewaltgeprägt sind und gewöhnlich im Gefängnis enden, ist früh klar. Mexiko heißt ihr Sehnsuchtsland – „Mechiko“ wird das ausgesprochen, weiß Aliza Nouri zu beeindrucken. Doch ihre Flucht muss früher als die seine beginnen. Nachdem sie viermal den Schrecken der Zwangsverheiratung ihrer älteren Schwestern erlebt hat, setzt sie sich, um nicht das gleiche brutale Schicksal zu erleiden, nach Hamburg ab. Später wird Nouri sie dort suchen und finden. Doch der Traum vom gemeinsamen neuen Leben in Mexiko endet mit dem Tod des jungen Mannes am Hamburger Mexikoring.

Acht Bände umfasst die Reihe um die Hamburger Anwältin Chastity Riley bis dato.Der erste – Revolverherz – erschien 2008, die letzten drei seit Blaue Nacht (2015) allesamt im Suhrkamp Verlag. Der hat, seitdem er in die sprichwörtliche Suhrkamp-Kultur auch das Thriller-Genre integrierte, was anfänglich nicht unumstritten war, schon einige Perlen entdeckt. Buchholz gehört unbedingt dazu. Denn mit jedem neuen Abenteuer Chastity Rileys bestärkt deren Erfinderin den Leser in der Überzeugung, dass es in Deutschland mehr gibt als die immer länger werdende Reihe jener Bücher, die Krimis sein wollen, aber eigentlich in Reisebüros und Tourist-Informationen verkauft werden müssten.

Die Hamburgerin lässt nicht nach, sondern wird von Buch zu Buch besser. Knapp und prägnant ist ihre Diktion, gelegentlich das Lyrische streifend, immer auf den Punkt und ohne jegliches falsches oder auch nur schiefes Bild. Ich kenne keinen anderen deutschen Autor, keine andere deutsche Autorin von Kriminalromanen, die imstande wären, das Aufeinandertreffen zweier ehemaliger Geliebten mit diesen lakonischen Sätzen zu beschreiben: „Sie trägt einen Trechcoat, ein T-Shirt, eine Jeans, Stiefeletten. Er trägt statt des Trenchcoats irgendeine Jacke. Ihr fehlen diese Frauenaccessoires, eine Handtasche, eine Frisur oder so was. Ihm fehlt der rechte Arm. “

Dazu kommt, dass – wie ein Grundrauschen –  immer wieder brennende Autos im Text erscheinen. Zuerst jenes in Hamburg, dann scheint der Funke überzuspringen auf andere deutsche Städte, dann nach Europa, und schließlich brennen die Autos auch in Städten auf anderen Kontinenten. Der Schluss, der eine großartige Wendung bereithält, soll hier nicht verraten werden. Denn schließlich handelt es sich bei Mexikoring um Spannungsliteratur – auch wenn die so literarisch überzeugend nur selten daherkommt.

Titelbild

Simone Buchholz: Mexikoring. Kriminalroman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
250 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518468944

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