Herrliche italienische Posse

Andrea Camilleri unterhält mit seinem schmalen Bändchen „Inschrift“

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Andrea Camilleri ist aus der italienischen Literaturszene nicht mehr wegzudenken und hierzulande besonders als Krimiautor bekannt: Sein sizilianischer Commissario Montalbano geht in die 25. Runde (einige Bände sind noch nicht übersetzt), aber auch darüber hinaus ist Camilleri überaus produktiv. Bereits 2015 legte er La targa vor, das nun in der deutschen Übersetzung von Annette Kopetzki erscheint.

Lang ist Die Inschrift nicht, sondern gerade recht für einen Sonntagnachmittag, an dem sich der Frühling noch nicht dazu durchringen kann, Sonnenstrahlen und sein blaues Band zu schicken, sondern der Winter mit Regen und Kälte eher an eine Tasse Tee oder ein Glas Rotwein denken lässt. Und mit Camilleris Bändchen kommt auch ein bisschen italienische Wärme dazu, aber nicht die von Goethes verherrlichtem Land, wo die Zitronen blühen, sondern eher die, mit der man mit Genugtuung die menschliche Unzulänglichkeit betrachtet.

Dabei geht Camilleri zurück in den italienischen Faschismus, bei Leibe keine Zeit, an die man gerne denken möchte und die wenig mit Wärme zu tun hat. Aber er zeichnet gekonnt nach, was totalitäre Systeme brauchen, nämlich eine Erzählung von Helden, von großen Taten, von Vorbildern, und er zeigt ebenso gewieft, wie schwer diese doch zu beschaffen sind, denn Helden, das wissen wir spätestens nach der Lektüre dieses klugen Büchleins, sind nie das, als was sie so strahlend erscheinen.

Persico, 97-jähriges Idol der Faschisten von Vigata, einem fiktiven Dörfchen in Italien, um das sich in der Realität eine eigene Posse rankt, stirbt während einer verbalen Auseinandersetzung mit Michele Ragusano. Umgehend – und ohne große Widersprüche – wird er als Märtyrer des Faschismus akklamiert: Eine Straße soll nach dem Lokalhelden benannt und seine bildschöne, 25-jährige Witwe mit einer Pension bedacht werden – immerhin war Persico ja bei dem Marsch auf Rom mit dabei gewesen.

Die schöne Witwe wird nun umworben und lässt sich nur zu gerne trösten. Dem verschmähten Liebhaber allerdings geht nicht aus dem Kopf, dass Michele Ragusano eine Andeutung über die Vergangenheit des verehrten Persico machte und so beginnt er aus Rache für seine Zurückweisung eigene Recherchen, die die Vergangenheit des hochverehrten Verblichenen betreffen. Natürlich wird er fündig und so kommt volta auf volta und in Persico wird mit jeder neuer Enthüllung Lokalheld und Schurke umso deutlicher, auch wenn er am Ende nur eines gewesen sein kann.

So, wie sich Persicos Vermächtnis ständig wandelt, wandelt sich auch die Inschrift an der zu benennenden Straße mit erklärenden Zusätzen, die mehr enthüllen als sie je verstecken könnten. Am Ende bleibt die sokratische Erkenntnis, dass die bürokratischen Faschisten über ihren verehrten Persico nichts wussten und das nun wenigstens auch einsehen, aber sich auf dem Weg zu dieser Erleuchtung herrlich im Netz ihrer eigenen Verwaltung verstrickt haben und dabei nur beweisen, dass der Mensch am leichtesten mit der Meute heult. Dem Leser liefert Camilleri noch eine zweite Erkenntnis: Sprache ist mehr als nur eine mächtige Waffe, die einen 97-jährigen zähen Faschisten mühelos umbringen kann, denn sie treibt auch so wunderbare Blüten wie den Straßennamen „Via Emanuele Persico – vorläufig gefallen für die Sache des Faschismus“; die Übersetzerin hat auf jeden Fall gute Arbeit geleistet.

Leichtfüßig und schwungvoll erzählt Camilleri – mit einem Augenzwinkern und dem überlegenen Blick des Altmeisters – und am Ende der kleinen absurden Posse möchte man mit Giuseppina Torregrossa ebenfalls sagen: „Ich lache, also geht es mir gut“, denn auf etwas weniger als 60 Seiten ist man herrlich unterhalten worden. Dazu hat man nach der Lektüre viel gelernt über (italienischen) Faschismus, über Heldenerzählungen und -verehrung und über kleinbürgerliche Verirrungen, vor denen uns wenigstens ‚der gesunde Menschenverstand‘ bewahren möge – vor allem anderen aber unbedingt auch.

Einzig der Preis des schmalen Bändchens von unter 100 Seiten (wenn auch im Hardcover) scheint trotz des klugen Lesevergnügens, das Camilleri uns bereitet, nicht ganz gerechtfertigt. Günstiger ist die E-Book-Ausgabe mit 9,99 €.

Titelbild

Andrea Camilleri: Die Inschrift. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Annette Kopetzki.
Kindler Verlag, Berlin 2018.
96 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783463406763

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