Eine Jugend in Südkorea

Lim Chul Woo erzählt in „Das Viertel der Clowns“ über seine Kindheit

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Südkorea hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einer ernstzunehmenden Wirtschafts- und Technologiehochburg entwickelt. Längst muss sich das immer noch geteilte Land nicht mehr vor den Nachbarn wie China oder Japan verstecken. Im internationalen Vergleich besitzt das kleine Land sogar eines der besten Schulsysteme der Welt, immer mehr ausländische Firmen siedeln sich dort an. Vor knapp 30 Jahren hätte wohl niemand mit einer solch rasanten Entwicklung gerechnet.

Südkorea boomt! Technische und sogar kulturelle Exporte erreichen mittlerweile den Westen: K-Pop ist angesagt, koreanische Comiczeichner machen den japanischen Konkurrenz und selbst Literatur erreicht uns – zwar in einem kleineren Maße, aber immerhin. So findet sich als prominentestes Beispiel Han Kang in den Bestsellerlisten wider. Wir im Westen staunen nicht schlecht, wie rasant und reibungslos alles funktioniert. Aber letztendlich sehen wir nur die Sonnenseite dieses Umschwungs. Und die Schattenseiten? Eine hohe Selbstmordrate, bedenkliche Schönheitsideale (die kosmetische Chirurgie ist mittlerweile beliebtes To-Go-Produkt geworden), die anschwellende Altersarmut und die riesige Kluft zwischen Arm und Reich sind nur ein paar Beispiele für den langen Schatten, den die rasante Entwicklung wirft. Über genau diese Schattenseiten berichtet Lim Chul Woo in seinem Roman Das Viertel der Clowns.

Der Roman ist schon 1993 in Korea erschienen und erreicht uns erst im Jahr 2018. Der IUDICIUM Verlag bietet dem Leser dafür aber eine direkte Übersetzung aus dem Koreanischen und nimmt als Textgrundlage sogar die von Lim überarbeitete Version aus dem Jahr 2002. Lim erzählt in kleinen Episoden von der Jugend von Cheol, der mit seiner Mutter und seiner behinderten Schwester von der Insel Wando auf das Festland in die Großstadt Gwangju zieht. Die kleine Familie träumt von einem besseren Leben in der Stadt, nachdem der Vater die Familie für eine andere Frau verlassen hat, und diese nur noch sporadisch aufsucht. Das erhoffte bessere Leben entpuppt sich aber schnell als eine Seifenblase, Cheol muss mit seiner Familie in das Viertel der Clowns ziehen. Diese Bezeichnung ist die abschätzige Bezeichnung der Leute für das Wohnviertel, welches am äußeren Rand von Gwangju liegt und als Armenviertel gilt. Der Roman erzählt in einem Zeitraum von fünf Jahren die Erlebnisse von Cheol, seiner Familie und seinen Freunden und Nachbarn.

Interessant bei der Konzeption ist, dass es weniger einen roten Faden als vielmehr kleinere lockere Episoden gibt, die alle miteinander zusammenhängen. Am ehesten lässt sich der Roman mit Walter Kempowskis Deutscher Chronik vergleichen, die ebenfalls in mosaikhafter Form vom Walters Leben erzählt. So erfährt der Leser vom alltäglichen Leben im Armenviertel und von Freud und Leid der Familie. Der Kampf um die Existenz erscheint als durchgängiges Thema immer wieder, genauso wie der absente Vater, den Cheol kurzerhand zu einem reichen Kapitän verklärt, der die Familie irgendwann abholen kommt. Die Episoden kreisen um kindliche Späße, wie den Diebstahl von Unterwäsche der Nachbarin, um damit Fahnen zu bauen, oder ernsthaftere Themen, wie Leid, Tod und unglückliche Liebe – und davon gibt es im Clonwsviertel reichlich. So wird von der Frau des Nachbarn berichtet, die diesen verlassen hat, oder von einer ältliche Jungfer, die sich der Übergriffe und bösen Scherze eines Comicbuchhändlers erwehren muss. Lim erzählt in seiner eigenen charmanten Weise von den skurrilen, aber immer sehr bewegenden Geschehnissen, die einem westlichen Leser manchmal doch befremdlich erscheinen. Denn warum regt sich eine Frau über ein Modejournal auf? Die hohe Schamgrenze mag der Grund hierfür sein, etwas, was der westliche Leser nicht in einem solchen Maße besitzt wie die Koreanerin.

Der Roman spiegelt das pure Leben wieder, er pulsiert regelrecht davon. Das mag darin begründet liegen, dass Lim seine eigenen Jugend, wie er im Nachwort berichtet, in diesem Roman verarbeitet hat. Normalerweise ist für Lims Œuvre typisch, dass er sich mit politischen Themen befasst, wie der Niederschlagung des Studentenaufstandes durch die Militärdiktatur in Gwangju oder dem Koreakrieg und der Machtlosigkeit einzelner Menschen innerhalb dieser Geschehnisse. Das Viertel der Clowns sticht deshalb so prägnant hervor, da Lim eine Art Therapie in Romanform durchführt – es ist Trost, den er sucht und findet, und diesen findet nicht nur der Autor, sondern auch der Leser. Es bleibt zu hoffen, dass der Verlag noch weitere Romane von Lim ins Deutsche übersetzt, denn viele liegen leider nicht in Übersetzung vor. Es würde sich lohnen, noch weiter in die unbekannte Welt von Korea, besonders in seine Schattenseiten, einzutauchen.

Titelbild

Chul Woo Lim: Das Viertel der Clowns. Eine Jugend in Südkorea. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Jung Youngsun und Herbert Jaumann.
Iudicium Verlag, München 2018.
267 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783862055197

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