Auch für Sonnenanbeter geeignet

Mit Petra Clamer auf Herz und Sinne erwärmender Nordlandfahrt

Von Günter HelmesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Helmes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im in der Tat weiten Feld der Reiseliteratur hat sich die Hamburger Journalistin, Schreibpädagogin und Ghostwriterin Petra Clamer mit dem 1. Band der geplanten Reihe Weltverliebt – er gilt dem Eintauchen in die Seelentöne des Nordens – ein vergleichsweise selten bestelltes Stückchen Acker ausgesucht. Dieses Stückchen Acker, als Querformat handliche 15×21 groß und mit knapp 120 Seiten von einer überschaubaren Anzahl an Furchen, zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur eine Frucht vorhält. Mit ca. 200 Farbfotos unterschiedlicher Größe und dazu getextetem Poetischem, Erzählendem, Informierendem und Ratgebendem betreibt er vielmehr so etwas wie eine biodiverse – lies: medien- und textsortendiverse – Mischkultur.

In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass Clamer nicht nur für die ansprechenden Texte und deren Vielfalt verantwortlich zeichnet, sondern auch für die professionell-aussagekräftigen Fotos, deren atmosphärische Dichte und raumgreifende Anschaulichkeit generierendes Arrangement und überhaupt für die ästhetisch einnehmende, bis ins Detail durchdachte Gestaltung des auf Hochglanzpapier gedruckten Buches. Das hätte dem Programm eines spartenspezifischen Verlags sicherlich gut zu Gesicht gestanden.

Sieben Stationen sind es, zu denen die Autorin einlädt: Lewis and Harris, Spitzbergen, Edingburgh, Barentsburg, Orkney, Nordkap und Heimaey. In Länder übersetzt geht es also um Schottland, Norwegen, Russland und Island, nicht aber um Dänemark, Grönland, Finnland oder Schweden. Da von denen gewiss auch klangvolle „Seelentöne des Nordens“ zu erwarten wären, fragt bzw. wünscht man sich, ob bzw. dass sich einer der nachfolgenden Weltverliebt-Bände dieser Länder annehmen wird.

„Sooo viel mehr als Tweed“ titelt das Eingangskapitel über Lewis and Harris, das wie die anderen, im Kern zwischen 12 und 16 Seiten langen Kapitel auch mit einem ganzseitigen Foto anhebt und endet. Dazwischen finden sich im Wechsel Seiten mit Fotos bzw. Fotocollagen einer- und mit einzelnen, typographisch hervorgehobenen Sätzen poetischen Grundtons andererseits. An diese Seiten, die den Kern eines jeden Kapitels ausmachen, schließen sich 2 Seiten Fließtext unterschiedlicher, aufs Ganze gesehen instruierender Art an. Eine Besonderheit: Während die Seiten mit Fließtext ganz gewöhnlich schwarz auf weiß daherkommen, sind die ‚sprachpoetischen‘ Seiten und deren Sätze durch komplementäre Einfärbungen auf den von der Autorin behaupteten Charakter der besuchten Orte abgestimmt. Eine weitere Besonderheit: Nur die Titelseite des jeweiligen Kapitels ist paginiert. Alle anderen zugehörigen Seiten weisen keine Seitenzahl auf.

Diese Befunde lassen sich dahingehend auslegen, dass Clamers unverhohlen als persönliches Erleben und Dafürhalten auftretender ‚Reiseführer‘ sowohl gelesen, als auch bedacht und auch angeschaut werden will. Angeschaut werden vielleicht sogar vor allem hinsichtlich seiner Bilderfülle nämlich, aber auch hinsichtlich seiner buchgestalterischen Attraktionen. Die deuten ebenso auf einen künstlerischen, einen auch auf (Tief-)Sinn ausgehenden Anspruch hin wie die den Fotos zugeordneten Sätze poetischen Grundtons. Zudem scheint es dem Buch und den einzelnen Kapiteln um Ganzheitlichkeit und Gleichzeitigkeit zu gehen, sowohl auf der Seite der zur einfühlenden Anschauung gebrachten Welt als auch auf Seiten des Betrachters. So jedenfalls könnte man, im Sinne einer ergänzenden Maßnahme, die sparsame Verwendung von Seitenzahlen verstehen, haftet durchgängiger Paginierung doch immer etwas Additives, Sukzessives und auch Trennendes an.

Von all dem her ist Weltverliebt. Eintauchen in die Seelentöne des Nordens kein Buch für den auf den raschen Erwerb möglichst vieler verwertbarer Fakten, auf konsumierendes Selegieren und auf Highlight orientiertes ‚Ausschlachten‘ ausgehenden Leser. Der, Tourist und kein Reisender, möge sich einen ordinären Reiseführer mit all dem ‚Was man weiß, aber nicht wissen müsste‘ zulegen. Es ist vielmehr ein Buch, das nach Muße und nach den verweilenden, der Welt ihr Eigenrecht lassenden Blicken eines Flaneurs verlangt. Und das, vorab von Verwertungsinteressen, als ein Ganzes genossen sein will.

„Sooo viel mehr als Tweed“, hieß es zuvor mit Blick auf das Kapitel über Harris and Tweed. „Der Atem der Vergangenheit“ (Spitzbergen), „Geisterstunde den ganzen Tag“ (Edingburgh), „Ab-wegig im wahren Wortsinn“ (Barentsburg) oder „Unbeständig, doch beständig schön“ lauten andere, Akzente setzende, Erwartungshaltungen weckende und Urteile andeutende Kapitelüberschriften. Diese Überschriften stimmen nicht nur auf die nachfolgenden Fotos ein, sie intonieren auch jene poetischen Sprach-Bilder, die mit den Fotos einhergehen.

Ohne Kommentar eine Auswahl dieser Sprach-Bilder, eine, die freilich nicht als Best-of zu verstehen ist: „Leuchtend gelb der stechende Ginster. / Hochmoore in Tarnfarben“ (Harris and Tweed), „Das Meer aus flüssigem Gold. […] / Düsterpastell das Land“ (Spitzbergen), „Trübsinniges Licht. Schwermütige Mauern. / Eine melancholische Liebe in Gestein“ (Edingburgh), „Verloren im sommerkalten Schatten der Welt“ (Barentsburg), „Land, das sich dem Irdischen entzieht. / Hinein in eine Weite aus Nichts“ (Orkneys), „Am Horizont nur Land aus Wolken“ (Nordkap), „Offensichtlich das Temperament aus Feuer. / Beständig das innere Brodeln“ (Heimaey).

Und die unterm Strich instruierenden, mit zwei Seiten wohldimensionierten Fließtexte? In ihnen, die mal sachlich und informativ, mal erzählend, plaudernd oder raunend, mal nachdenklich und mal scherzend, mal ehrfurchtsvoll und mal schnoddrig daherkommen, geht es in Summe um Vielerlei: um historische Geologie und geologische Gegenwart, um physische Geographie und Humangeographie, um Geschichte und aktuelle Entwicklungen, um Geschichten und Mythologie, um gegenwärtiges Erleben, Erfahren und um Erinnerungen, um Kultur und Alltagsleben, um Tipps und auch um Warnungen.

Apropos Tipps: Jeder Fließtext endet mit zwei ebensolchen. Die beziehen sich auf Museen, Speisen, zu Erkundendes, zu Erlebendes und – ja, auch auf Shopping. Aber keine Sorge. Auch in diesem Fall bleibt sich die Autorin darin treu, dass sie Reisende, nicht Touristen anspricht. Indem sie darauf hinweist nämlich, dass man bei einer Reise zum Nordkap weder dort noch „auf dem Weg dorthin“ „echtes Sami-Kunsthandwerk“ erstehen kann, sondern im gut 30 Kilometer entfernten Honningsvåg, und dass man auf Orkney keinesfalls versäumen sollte, „The Orkney Brewery“ aufzusuchen. Danke für diesen Tipp vor allem.

Eine bittere Medizin mit einem Teelöffel Zucker zum Abschluss: Für das freilich hochwertige produzierte, orthographisch leider nicht ganz fehlerfreie Buch wird als Print wie als E-Book ein stolzer Preis verlangt. Den zu zahlen, dürfte dennoch vor allem für diejenigen eine sinnvolle Ausgabe sein, die beabsichtigen, eins oder mehrere der vorgestellten Reiseziele zu besuchen. Oder auch für diejenigen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, damit begnügen, sich von Petra Clamer vielgestaltig und perspektivenreich in die nordische Welt entführen zu lassen.

Titelbild

Petra Clamer: Weltverliebt. Eintauchen in die Seelentöne des Nordens.
Band 1 (E-Book 10,99 Euro).
Books on Demand, Norderstedt 2024.
118 Seiten , 28,90 EUR.
ISBN-13: 9783759723598

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