Open the Black Boxes!

Iris Cseke untersucht die Bilderwelt von Protest, Kunst und Theater auf YouTube

Von Vanessa RennerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vanessa Renner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was haben Politik, Kunst und Theater mit dem Internet gemeinsam? Hier wie dort inszenieren Menschen ihr Handeln, ihre eigene Person, ein politisches oder persönliches Anliegen. Hier wie dort geht es darum, Öffentlichkeiten zu schaffen, Kommunikationsräume zu erobern oder neu zu entfalten. Dabei überlagern sich Online- und Offlinewelten – Diskurse und Debatten im Internet werden offline weitergeführt und vice versa.

Iris Cseke wirft in ihrer Dissertation die Frage auf, welche Auswirkungen YouTube-Videos aus den Bereichen Protest, Kunst und Theater auf die Öffentlichkeit inner- und außerhalb des Internets haben. Dabei nimmt sie sowohl Videos, die Teil einer Kunst- oder Theaterperformance sind als auch politische Protestvideos in den Blick und untersucht sie unter ästhetischen Gesichtspunkten wie auch hinsichtlich der Anschlusskommunikation, die diese Videos zunächst online über die Kommentarfunktion, also die Interaktion mit den Internetusern, auslösen. Die Analyse der Autorin verbindet damit theaterwissenschaftliche und empirisch kommunikationswissenschaftliche Methoden.

Die Videos, die Cseke als Fallbeispiele für die Inhaltsanalyse, ihre Untersuchungsmethode, auswählt, reichen von einer Aktion der Organisation Greenpeace über Protestvideos der ungarischen Theaterszene bis hin zu Live Performances der Tate Modern in London sowie einer Installation des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei. Entscheidend für ihre Analyse ist hierbei, dass Cseke im Rückgriff auf die Akteur-Netzwerk-Theorie des Soziologen Bruno Latour das Internet nicht ausschließlich als technisches Medium, sondern YouTube neben den Protestakteuren, den Künstlern und Internetusern ebenfalls als Akteur mit verteilter Autorschaft klassifiziert. Das mag vielleicht auf den ersten Blick irritieren, ist aber bei längerem Nachdenken über die (Handlungs-)Macht von Technologie durchaus einleuchtend.

Den Fallbeispielen ist eine relativ breit angelegte Klärung des Öffentlichkeitsbegriffes vorangestellt, die dessen Komplexität und Vielschichtigkeit geschuldet ist. Verschiedene ideengeschichtliche Konzepte werden vorgestellt, eingeordnet und auf ihre praktische Anwendbarkeit hin überprüft. Dabei macht die Autorin keinen Halt vor den Grenzen der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern nimmt eine interdisziplinäre Perspektive ein, indem sie Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft, der Politikwissenschaft und vor allem der Soziologie heranzieht. All das liest sich nicht gerade leicht und erfordert einige Konzentration – was bei einer Dissertation aber keine Überraschung sein dürfte. Wer sich die Mühe macht, Cseke in die Tiefen der „Netzwerke aus Inszenierung und Öffentlichkeit“ zu folgen, dem eröffnet sich ein spannendes Forschungsfeld mit interessanten Ergebnissen. Deren Relevanz sind unbestritten, betrachtet man die Digitalisierung als eines der großen Themen unserer Zeit.

Das Internet ist kein einfacher Forschungsgegenstand. Das liegt vor allem an seiner Schnelllebigkeit. Hier ist alles in stetem Wandel. Kommentare können zurückgenommen oder gelöscht werden. Debatten verzweigen sich, werden in anderen Foren fortgesetzt, wo sie neue Themenfelder und Diskurse mit neuen Diskussionsteilnehmern anstoßen. So werden aus lokalen Ereignissen globale Themen, die ebenso schnell wie sie auftauchen wieder von der Bildfläche verschwinden. Hier greift das Bild vom Netzwerk, das permanent weitergesponnen wird, und dessen Entgrenzung: Verschiedene Teilöffentlichkeiten, in diesem Fall die Kunst-, Theater-, Stadt- und politische Öffentlichkeit, berühren sich und verschmelzen miteinander. An genau dieser Stelle wird allerdings zugleich ein limitierender Faktor wirksam, den Cseke als die subjektive und relative Position des Forschers bezeichnet. Forschungsergebnisse werden zu Momentaufnahmen, zu einem kurzen Öffnen der „Black Box“, aber zu einer im Falle von Csekes Arbeit umso gewinnbringenderen.

Titelbild

Iris Cseke: Netzwerke aus Inszenierung und Öffentlichkeit. Protest, Kunst und Theater auf Youtube.
Das Buch erscheint in der Reihe INTERVISIONEN – Texte zu Theater und anderen Künsten (Band 13) Herausgegeben von Christopher Balme unter Mitarbeit von Andreas Backoefer.
epodium Verlag, München 2018.
469 Seiten, 48,40 EUR.
ISBN-13: 9783940388667

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