Das unverbrüchliche Band zwischen Sohn und Mutter

Donald Sturrock gibt mit „Love from Boy“ die Briefe von Roald Dahl an seine Mutter heraus

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man sagt, dass die erste große Liebe eines Mannes immer die Mutter sei. Denn die Verbindung eines Sohnes zu seiner Mutter ist eine tiefgreifende und unverbrüchliche – wenn man die Beziehung von Roald Dahl zu seiner Mutter betrachtet, so mag dies stimmen. Dahl hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass seine Mutter eine wichtige Schlüsselfigur in seinem Leben war. Schon in seiner autobiografischen Erzählung Boy – Schönes und Schreckliches aus meiner Kinderzeit erscheint die Mutter als liebvolle und starke Frau, die recht früh den Tod des Mannes und einer Tochter zu beklagen hatte, aber trotzdem für die übrigen Kinder stark sein musste. Besonders Roald bekam von ihr viel Aufmerksamkeit. Der Grund hierfür mag darin begründet liegen, dass er der einzige Junge neben fünf Schwestern war. Man könnte vorschnell sagen, dass Dahl ein Muttersöhnchen gewesen ist, der sich nie von seiner Mutter lösen konnte, aber das wäre ungerecht und trifft die Beziehung der beiden zueinander nicht im Kern.

Roald Dahl war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Kampfpilot, Spion (er war beim militärischen Geheimdienst) und selbsternannter Schokoladenforscher. Er wurde recht früh auf eine englische Public School geschickt. Neben gemeinen Mitschülern, sadistischen Erzieherinnen und stocksteifen Schuldirektoren gab es dort auch freundliche Sonderlinge wie den Mathelehrer Corkers, der Zahlen hasst wie die Pest. Seine Jugend war nicht immer heiter und fröhlich, aber über allem wachte seine Mutter, die er mit Briefen aus seinem Alltag stets über alles unterrichtete. Sofie Magdalene Dahl, geborene Hesselberg, war, obwohl sie nie körperlich anwesend war, für ihren Sohn ein großes Vorbild: Ihre Interesse an Gartenbau, Möbeln, Malerei, Kochen, Tieren und Wein übertrug sich auf ihn – Roald bewunderte sie stets auch dafür, wie sie die Familie mit ihrer Kraft und Liebe über die schweren Zeiten hinweg brachte, besonders nach dem Tod des Vaters.

Donald Sturrock gibt nun erstmals mit Love from Boy die Briefe von Roald Dahl an seine Mutter heraus, die diese besondere Beziehung dokumentieren. Sturrock veröffentlicht allerdings nur eine Auswahl der Briefe, denn zu umfangreich ist die Korrespondenz zwischen Sohn und Mutter. Auch ist zu erwähnen, dass der Briefband nur die Briefe von Roald enthält und nicht die von Sofie, da diese nicht mehr erhalten sind. Dennoch ist der Umfang gewaltig: er umfasst die Jahre 1925 bis 1965, also bis zum Tod der Mutter. Stets hat er sie über alles informiert und an seinem Leben teilhaben lassen. Die ersten Jahre beleuchten die Internatszeit, die für Dahl schrecklich-fröhlich gewesen ist. Der Leser erfährt vieles über die kauzigen Lehrer und Mitschüler sowie über die Strenge, die dort herrschte. Aber auch manches Drama hat sich ereignet, so zum Beispiel. als ein geliebter Mitschüler das Internat wegen seiner homosexuellen Neigungen verlassen musste, was Dahl sehr mitgenommen hat.

Sein Leben war sehr ereignisreich, er ging nach Afrika und kämpfte im Zweiten Weltkrieg, danach widmete er sich seiner Kariere als Schriftsteller – immer dabei war seine Mutter. In seiner gewohnt schwarzhumorigen Weise erzählt ihr Dahl so manche Kuriosität oder so manchen derben Scherz. So spielte Dahl mit seinen Kameraden in Afrika gerne Darts – die Zielscheibe jedoch war ein Konterfei von Hitler. Die meisten Punkte konnte man erzielen, wenn man dessen Genitalien traf. Der Leser erfährt also allerhand Privates und Kurioses aus Dahls Alltag. Aber am wichtigsten sind jene Briefe, in denen der Autor über sein schriftstellerisches Schaffen berichtet. Hier wird vor allem die Bedeutung seiner Mutter deutlich: Sie war seine erste Leserin und schärfste Kritikerin. Ohne Frage, viele seiner Bücher wären nie erschienen, wenn seine Mutter ihn nicht beim Schaffensprozess unterstützt hätte. Dahl wiederum hat ihr ein Denkmal in seinen Mutterfiguren gesetzt.

Donald Sturrock hat den Briefband sehr liebevoll besorgt: Die Briefe hat er chronologisch in acht großen Blöcken angeordnet, wobei die Texte nie für sich alleine stehen, vor jedem Block findet sich ein größeres einleitendes Essay, das die Briefe in den biopgrafischen und historischen Kontext einordnet. Dort, wo es Unklarheiten in den Briefen gibt, bringt Sturrock Stellenkommentare. Daneben gibt es viele private Bilder und Faksimiles, die die Briefe lebendig werden lassen. Die Übersichtskarten lassen den Leser darüber hinaus die vielen Reisen Dahls mitverfolgen. Als kleines Gimmick hat Sturrock vor jedem Brief ein kleines Symbol angeordnet, sodass der Leser sofort weiß, von welchem Ort der Brief abgeschickt wurde. Sturrock hat sich große Mühe bei dieser Briefedition gegeben, was man dieser auf jeder Seite anmerkt.

Titelbild

Roald Dahl: Love from Boy. Roald Dahls Briefe an seine Mutter.
Herausgegeben von Donald Sturrock.
Übersetzt aus dem Englischen von Jan Schönherr.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
350 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783498013349

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