Schöne, neue Welten
Spirou und Fantasio geraten in die Fänge eines rachsüchtigen Super-Computers und erkunden virtuelle Realitäten. Ein Doppelabenteuer um den ewig jungen belgischen Hotelpagen
Von Walter Delabar
Spirou und Fantasio sind in den letzten Jahren durch mehrere Hände gegangen, wie das Marsipulami auch, das gleichfalls einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die von Rob-Vel bereits in den 1930er Jahren erfundene Figur, der dann neben dem Eichhörnchen Pips auch noch der schlaksige Tolpatsch Fantasio, das ewig nervige Marsupilami und schließlich Steffanie beigesellt wurden, hat bis heute eine erstaunliche Langlebigkeit bewiesen und viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, auch von Zeichnern und Szenaristen. Emil Bravo etwa hat zwischen 2018 und 2022 vier Bände zur Kriegsgeschichte der beiden merkwürdigen Helden beigesteuert, während in der Hauptserie die Bände immer noch weitergingen. Nach einer Pause seit 2016 hat nun der Zeichner Olivier Schwartz mit den Szenaristen Sophie Guerrive und Benjamin Abitan zwei Bände vorgelegt, die es in sich haben, auch wenn das Konzept der Alben klar den Konventionen des Formats verpflichtet bleibt. Nur dann, wenn die Story entschieden zu eskalieren ist, brechen die Zeichnungen aus dem Schema der vierzeiligen Strips, die die Seiten dominieren, aus. Angesichts der Freiheiten, die sich Zeichner bis in sehr billige Formate hin mittlerweile nehmen, ist die Strenge der Komposition der Bände auffallend – und angenehm.
Die Stärken der beiden Bände liegen eben nicht in der zeichnerischen Extravaganz, sondern an anderer Stelle. Etwa bei den sehr offenen Verweisen und Anleihen, die die Autoren (um so allgemein zu bleiben) bei den Vorgängerbänden, aber auch bei Kollegen nehmen – bis hin zu Gaston, den Schlümpfen oder Lucky Luke. Dabei konnte das nunmehr für Spirou und Fantasio verantwortliche Autorenteam auf ein umfassendes Erbe zurückgreifen. Sie selbst stellen die neunte Generation von hauptamtlichen Spirou-Autoren, von denen Franquin der wohl bekannteste ist. Daneben gibt es eine Reihe von weiteren Zeichnern, die sich bereit erklärt hatten, einzelne Hefte oder Storys zu verantworten. Das ist eben nicht nur eine Menge Material, sondern auch ein schwer wiegendes Erbe, denn wer immer die Reihe fortsetzt, muss sich mit seinen Vorgängern messen, muss eigene Akzente setzen, dabei die Serie und die Figuren immer wieder weiterentwickeln, um ihre Leser nicht zu verlieren, und darf dabei nicht gegen die mittlerweile fest gefügten Erwartungen verstoßen. Ob dieser Seilakt Schwartz und Konsorten gelungen ist, muss wohl jeder selbst entscheiden. Was den Verfasser dieser Zeilen angeht, versteht sich die Antwort von selbst, auch wenn die Bände der Hauptserie eben nicht die Freiräume haben, die die Verantwortlichen der Einzelprojekte hatten und haben werden.
Die Story, die die Autoren über zwei Bände entwickeln, kann einige Aktualität für sich beanspruchen: Umweltschutz und Freizeitkultur, KI und Virtual Reality.
Spirou und Fantasio (und korrekterweise auch das Eichhörnchen Pips, das immer munter vor sich hinplappert und sich ein bisschen vernachlässigt fühlt) haben zwar Verpflichtungen: Die Stars des CarlsenVerlags sollen sein Jubiläum krönen, aber auf der Fahrt zum Verlag (die Welt in den Carlsen Comics ist eben sehr Carlsen-lastig, was aber in der Tat mit viel Ironie gestaltet ist) geraten sie einer merkwürdigen Umweltkatastrophe auf die Spur und in einer Unterwasserwelt namens Korallion. Die geriert sich als ökologisches Vorzeigeprojekt, in dem Touristen den Urlaub ihres Lebens, gern auch lebenslang, verbringen können. Was denn schon auf das Generalthema verweist, denn Korallion erweist sich als groß angelegte virtuelle Welt, die Touristen werden unter Drogen gesetzt, in Tiefschlaf gehalten und in eine Traumwelt versetzt (Matrix lässt grüßen), die sie von der Realität nicht mehr unterscheiden können. Das geht so weit, dass die Erinnerungen an die Simulationen angepasst werden, also auch das Bewusstsein schwindet, einen wenn auch abgefahrenen Urlaub zu verleben. Das nutzen Schwartz & Co. auch dazu, auf mehr als sechzig Jahre alte Episoden zurückzuverweisen, was für Neulinge im umfangreichen Anhang erklärt wird. Das motiviert eben nicht nur zu angestrengteren Bemühungen, intertextuelle Verweise zu finden, sondern auch dazu, die eigene Sammlung zu komplettieren (kann man alles kriegen, was angesichts dessen, dass die Alben mittlerweile beim 55. Band angekommen sind, aber schon Regalmeter in Anspruch nimmt).
Dass es einen 55. Band gibt, nachdem der 54. bereits im Titel bekannt gibt, dass es hier um den „Tod von Spirou“ gehen wird, verweist nun schon darauf, dass von einem toten Spirou nicht die Rede sein kann (es sei denn, Band 55 wäre als Retrospektive angelegt, ist er aber nicht). Stattdessen geht es nach der Exposition in Band 54 an die Auflösung in Band 55, wobei die Hauptrolle einer alten Bekannten von Spirou und Fantasio zufällt, die noch eine Rechnung vor allem mit Spirou offen hat. Auch Künstliche Intelligenzen haben ihre schwachen Seiten, zu denen nicht zuletzt die Rachsucht zählt. Und Tote leben gerade im Comic länger, als man denkt. Fragt man sich schon, worin denn der Vorteil der Künstlichkeit von Intelligenz liegt, außer darin, dass es den hohen Rechnerleistungen zu verdanken ist, dass weder Daten vergessen, noch dass sie übersehen werden.
Am Ende ist es eine der undisziplinierten und unvorhersehbaren, zugleich sehr eigensinnigen Eigenheiten Fantasios zu verdanken, dass die ganze Geschichte unter Druck gerät und Fahrt aufnimmt, die dann auch die Rechenleistung der betroffenen KI übersteigt. Bei aller Fiktionalität bleibt Korallion eine Unterseestadt, die sich auch mit den besonderen Umwelteigenschaften unter Wasser arrangieren muss (immerhin wenig freier Sauerstoff, den Spirou und andere zum Überleben brauchen). Und wenn jemand – dieser Jemand ist nun mal gewohnheitsmäßig Fantasio – mal einfach so ein Loch in die Wand schlägt, kann es eben sein, dass er damit die ganze Konstruktion unter Wasser setzt, was denn so nach und nach geschieht. Damit aber sind die cubicles, in denen die Besucher der Unterwasserstadt geparkt werden (um, auch das eine bekannte Referenz, Energie zu liefern), selbst gefährdet, der Rechner, auf dem die KI läuft, sowieso, und damit eben auch das Gesamtensemble. Also müssen Spirou und Fantasio schnell machen, um die Unterwasserstadt unschädlich zu machen. Das muss möglich sein. Und das ist wohl auch so.
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