Afrikanische Dinge

Constant Kpao Sarè über die „(post) kolonialen Potentiale materieller Kultur“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wahrnehmung und Bewertung von Texten seit dem 18. Jahrhundert hat im Kontext postkolonialer Studien einiges verändert. Hintergrund ist, dass in literarischen Texten, selbst wenn sie offen und tolerant daherkommen, die Unterwerfung anderer Kulturen nachhaltige Wirkungen haben kann, was bislang nicht oder wenigstens nicht in der heutigen Schärfe wahrgenommen wurde. Die Diskussionen um die Grundlagen der Kant’schen Philosophie haben etwa hohe Wellen geschlagen. Die Bach’schen Kaffeekantate (1734) etwa ist ohne den zeitgenössischen Sklavenhandel und die koloniale Ausbeutung nicht denkbar. Was Fragen aufwirft, die bislang so nicht gestellt worden sind.

Nun ist die neue Karriere der afrikanischen Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die einerseits mit der beginnenden Dekolonialisierung, andererseits mit dem Aufstieg der Populärkultur zusammenhängt, eng verbunden mit der Rezeption afrikanischer Kunst, und hier vor allem afrikanischer Skulpturen in den Avantgarden. Die Rezeption in den Avantgarden ist dabei möglicherweise nur als Variante des Exotismus zu sehen, der die fremde Kunst immer auch als besonders ursprünglich und durch den Zivilisationsprozess unbeeinflusst sieht. Was das angeht, ist es fast beliebig, ob Indien, China oder Afrika im Zentrum des Interesses steht. Allerdings steht durch die Geschichte der transatlantischen Sklaverei Afrika heute verstärkt im Mittelpunkt des Interesses.

Constant Kpao Sarè nun stellt in seiner bei Transcript erschienenen Studie die Behandlung der „afrikanischen Dinge in der deutschsprachigen Literatur“ in den Vordergrund. Nicht also Fragen der Benennung von Schwarzen, der rassistischen Menschenbilder und der hierarchischen Denkmuster werden von ihm direkt aufgenommen, sondern das mit Afrika verbundene Ding, also Gegenstände, im weiteren eigentlich die Dingwelt, in die deutschsprachige Texte ihre Handlung (soweit es sich im fiktionale Texte handelt) stellen. Das kann auch anderen Personen umfassen, was am Ende die Fokussierung auf die Dingwelt ein wenig aufweicht. Sarè macht freilich stark, dass es ihm immer um die literarische Modellierung von Dingen in den Texten gehe, und zwar immer um solche, die dem kolonialen Zusammenhang zugeordnet werden können. Sarè schreibt diesen afrikanischen Dingen dabei ein kritisches, postkolonial konnotiertes, damit insbesondere gegen die Vereinnahmung durch das koloniale Denken widerständiges Potential zu. Verknappt lässt sich damit das afrikanische Ding in Gegensatz zum afrikanischen Personal denken, das immer kolonial überformt wird. Das afrikanische Personal von Texten ist mithin stets dem kolonialen Zugriff unterworfen, während das Ding diesen Zugriff unterläuft. Das lässt sich vielleicht ein bisschen erzwungen mit der Rezeption afrikanischer Kunst in den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts unterlegen, das – trotz seiner Konnotation als ursprünglich – die Unterwerfung afrikanischen Personals unter den abschätzigen europäischen Blick vermeidet.

Der in Benin lehrende Constant Kpao Sarè folgt im folgenden einen umfassenden und beeindruckenden Kursus von deutschsprachigen Texten vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, von Herder über Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Peter Altenberg, Balder Olden, Klaus Mann bis in die Gegenwartsliteratur mit Uwe Timm und Hans Christoph Buch. Die Auswahl ist gelegentlich unerwartet, kann aber in der Sache überzeugen. Die umfassenden Lektüren zeigen die Breite der Behandlung afrikanischer Themen in der deutschsprachigen Literatur, auch wenn Sarè immer wieder den Charakter seiner Dinge ausweitet. Aber das ist jeweils dem Umgang in den Texten geschuldet. Sarè trennt dabei kolonialkritische und postkoloniale Ansätze. Die kolonialkritischen sind mithin bis in die Ausläufer der Kolonialzeit in der (zweiten) Nachkriegszeit angesiedelt, die postkolonialen gehören in die jüngere Vergangenheit, etwa seit der Jahrhundertwende, in der postkoloniale Positionen mehr und mehr in den Mittelpunkt der akademischen Diskurse rücken. Dabei spielt die vergleichsweise kurze Phase, in der das Deutsche Reich als Kolonialmacht auftrat, nur eine geringe Rolle, da die spezifische Haltung – hier die der kolonialen Erfassung der nichteuropäischen Länder – auch den deutschsprachigen Texten eingeschrieben sind. Die vermeintliche kulturelle Überlegenheit der Europäer, die die Unterwerfung der kolonisierten Areale mit einem Erziehungsauftrag legitimiert, während die Kolonien vor allem machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen zu dienen hatten, ist auch in der deutschen Gesellschaft und damit in den deutschsprachigen Texten dominant. Insofern ist das Argument, die deutsche Literatur sei qua Scheitern der Kolonialmacht Deutschland exkulpiert, kaum haltbar, weil zu kurz greifend. Denn bei aller Differenzierung ist das koloniale und rassistische Denken tief ins westliche Bewusstsein eingeschrieben: Die Benennung von Schwarzen mag schwankend sein, ihre terminologische Abgrenzung freilich geht nicht zuletzt auf ein bestimmtes Afrika- und Menschenbild zurück, das zumindest in Grundzügen hierarchisch bestimmt ist.

Allerdings sind einige einschränkende Bemerkungen zur Studie geboten. Dazu gehört nicht zuletzt, dass Constant Kpao Sarè seine These in den literarischen Texten vor allem über die Auswertung der Sekundärliteratur und über eine knappe Paraphrase herauszuarbeiten versucht. Plot, Figuren und Dingausstattung sowie die Durchführung von Handlung werden in seiner Studie bestenfalls angerissen, nie aber so vorgeführt, dass seine These aus den Texten herausgearbeitet würde.

Das lässt sich etwa an dem Abschnitt zu Claire Golls Roman Der Neger Jupiter raubt Europa aus dem Jahr 1926 vorführen: Der Roman wird als Kritik Golls an der „bisweilen wohlwollenden und bisweilen heuchlerischen Schwärmerei für afrikanische Dinge“ positioniert. Zu diesem Zweck präsentiere Goll in dem Text afrikanische Dinge „auf kritische Art“ als afrikanische Ausstattungen, um die „primitivistische Vereinnahmung Afrikas“ vorzuführen. Die Idee des „authentischen Afrikaners“ solle ad absurdum geführt werden, zugleich wolle sie die Idee eines homogenen afrikanischen Kulturraums suspendieren. Dass Goll dies über die fatale Liaison des (schwarzen) französischen Kabinettchefs Jupiter Djibuti mit einer weißen, blonden jungen Schwedin namens Alma Valery erzählt, wird in der Studie bestenfalls erwähnt, nicht aber ausgewertet. Die Präsentation afrikanischer Dinge – etwa dem Foto der Mutter des Protagonisten – wird in die Handlung eingebunden bis hin zum Mord Jupiters an Alma, die ihn mit einem schwedischen Gesandten betrogen hat. Es hätte also nahegelegen, die Engführung afrikanischer Dinge und Ausstattungen mit der letal endenden Handlung vorzuführen und die Kritik Golls daraus abzuleiten. Darauf verzichtet Sarè allerdings hier und auch in anderen Fällen, was die Studie in ihrem Wert deutlich beeinträchtigt.

Sarè unterlaufen zudem unverständliche Flüchtigkeitsfehler: etwa die Charakterisierung des Kunsthistorikers und Publizisten Carl Einstein als „Ethnologen“. Dessen 1915 unter dem Titel Negerplastik bis heute nachwirkende Studie zur westafrikanischen Plastik hat Sarè anscheinend nur in der zweiten (Nachkriegs)Auflage wahrgenommen.

Fragen wirft auch der Ansatz Sarès auf, im zweiten Teil von fiktionalen Texten abzugehen und verstärkt die journalistische Berichterstattung in den Blick zu nehmen. Sicher, Texte wie die Hans Christoph Buchs spielen mit den Übergängen zwischen Literatur, Reportage, Bericht und politischem Handeln. Aber warum die Studie sich weg vom Fiktionalen hin zum Sachtext bewegt, wird nicht ganz plausibel.

Der Wert der Studie besteht also vor allem darin, auf zahlreiche Texte hinzuweisen und sie in einen ungewohnten Zusammenhang zu bringen, mithin die Ausstattung von Texten vor ihre Protagonisten zu stellen und ihre Ausarbeitung anders zu wenden, als dies in der Regel geschieht.

Titelbild

Constant Kpao Sarè: Afrikanische Dinge in der deutschsprachigen Literatur. (Post-)koloniale Potentiale materieller Kultur.
Transcript Verlag, Bielefeld 2023.
278 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783837670332

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