Die Ruhe nach dem digitalen Sturm

In die „Die Stille“ beschreibt Don DeLillo ein weiteres Mal das Verschwinden der Welt, wie wir sie kennen

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits in seinem 1997 erschienenem Roman Underworld thematisierte Don DeLillo einen der legendären Stromausfälle New Yorks, den „guten“ Stromausfall, wie Rachel Kushner im Epilog ihres Romans Flammenwerfer in Bezug auf Underworld schreibt, „als alle in den Slums sich vernünftig verhielten“. Auch der stetig größer werdende mediale Overkill unserer Gegenwart war wiederholt ein Thema in DeLillos Romanen, wie die Omnipräsenz des Fernsehens in Weißes Rauschen (1984) und die der Globalisierung geschuldete Digitalisierung der Finanzmärkte in Cosmopolis (2004). Und auch ein weiteres wiederkehrendes Element des (späten) DeLillo ist in seinem neuen Buch Die Stille offensichtlich: Ein im Alter verstärkt entdeckter Minimalismus, der wie ein Gegenentwurf zu seiner zuvor oft ausschweifenden Prosa wirkt, die in den fast 1.000 Seiten seines epischen Meisterwerks Underworld ihren Höhepunkt fand.

Jedoch waren die letzten Romane des heute 84-jährigen Autors nicht immer gelungen und fanden auch nicht mehr so viel Beachtung wie ihre Vorgänger, was erstaunt, gilt Underworld doch als einer der ganz großen Romane des späten 20. Jahrhunderts. War es bisweilen einfach schwierig, sich in die komplexen Handlungsgeflechte von Kurztexten wie Cosmopolis oder dem sträflich übersehenen, meisterhaften Point Omega hineinzudenken, so deutete sich beim 9-11-Roman Falling Man bereits an, was in Die Stille nun leider Gewissheit wird: Ein fataler Hang zur Banalität. Die Stille ist vielleicht sogar DeLillos schwächstes Buch geworden.

Der Plot ist schnell erzählt. Ein Paar sitzt im Flugzeug, wir schreiben das Jahr 2022, kurz vor Ende dieses transatlantischen Flugs gibt es Probleme, scheinbar ist der Strom ausgefallen und eine Landung erscheint nahezu unmöglich. Gleichzeitig sitzt ein anderes, älteres Paar mit einem befreundeten Physik-Studenten in einer New Yorker Wohnung und möchte das Super Bowl-Finale im Fernsehen anschauen. Wie man schnell erfährt, warten sie auf das Paar aus dem Flugzeug. Auch hier fällt der Strom aus. 

Ebenso schnell erfährt man, dass es sich offensichtlich nicht um einen schnöden Stromausfall handelt, wie man ihn in New York ja kennt und wie ihn DeLillo selbst, wie gesagt, schon einmal für einen Roman verwendet hat. Tatsächlich scheint die gesamte digitale Kommunikationsstruktur zusammengebrochen zu sein. Nur in New York? In den gesamten USA? Vielleicht sogar auf der ganzen Welt? Wir erfahren es nicht; bedenklich ist allerdings, dass auch das Flugzeug über den Wolken von diesem Ausfall betroffen war und selbst die Bordtechnik versagte. Was ist der Grund? Ein Hackerangriff steht ganz oben auf der Liste, vielleicht handelt es sich aber auch um eine postmoderne Form der biblischen Apokalypse.

Jedenfalls erreicht das Paar aus dem Flugzeug die Wohnung des anderen Paares trotz aller Schwierigkeiten. Wie immer bei DeLillo redet man viel, vor allem aneinander vorbei. Seine bewährte Technik, die Leser*innen mitten in Dialoge hineinzuwerfen, mit denen diese aufgrund fehlender Hintergrundinformationen und bewusst ausgelassener Charakterisierung der Figuren nur wenig anfangen können, funktioniert auch in Die Stille sehr gut, ebenso wie die Einarbeitung von Leitmotiven. Hier ist es vor allem das Starren auf Bildschirme und die neue Erkenntnis, dass es im Grunde egal ist, ob dort etwas zu sehen ist, oder eben nicht mehr.

Im Grunde beschreibt Die Stille, wie schnell ein Ende des Digitaloverkills die Welt, wie wir sie kurz zuvor noch kannten, vergessen lassen kann. Wie schnell sich Menschen an neue Gegebenheiten anpassen können und ihr Leben einfach in eine andere Richtung weiterleben, ohne allzu viel zu vermissen. Das kommt einem natürlich bekannt vor: Geisterspiele im Stadion, die Maske in geschlossenen Räumen, die Kommunikation über Zoom oder MS Teams. Letztlich ist alles in unserer momentanen Gegenwart, als sei es nie anders gewesen. Und trotzdem schwingt im Vergessen auch immer eine unterbewusste Angst mit, eine Angst vor dem Grund jenes Vergessens. Daher ist Die Stille natürlich auch ein Roman über die Pandemie, eine Allegorie auf unsere Gegenwart. Warum der deutsche Klappentext (Bezug nehmend auf den amerikanischen Verlag) behauptet, DeLillo habe das in den USA Ende Oktober erschienene Buch vor der Corona-Krise geschrieben, mutet etwas seltsam an, da er die Pandemie an einer Stelle des Buches kurz erwähnt, als einer der Protagonisten die „Stille“ mit ihr in Bezug bringt.Da das Manuskript offenbar im Juli eingereicht wurde, ist es allerdings denkbar, dass der Autor diesen Nebensatz aktualitätsgerecht noch nachtragen konnte. Das wäre nicht der Rede wert, doch schreibt sich das Buch so natürlich in die Reihe jener prophetischen (Underworld mit seinem berühmt gewordenen, mit etwas Phantasie 9-11 vorwegnehmenden Cover), oder angeblich prophetischen (Cosmopolis, das eine Allegorie auf 9-11 zu sein schien, bis DeLillo behauptete,d en 2003 erschienenen Roman vor den Anschlägen geschrieben zu haben) weiter.

Und trotzdem ist alles in diesem Text vorhersehbar und vor allem viel zu schnell auserzählt. Anders als die großen Romane dieses Autors – Die NamenWeißes RauschenUnderworld – birgt Die Stille kein Geheimnis, alles ist deutlich dargelegt. Auch wenn es DeLillo immer noch gelingt, die großen Selbsttäuschungen unserer Zeit schmerzhaft zu entlarven, so wirkt das Buch insgesamt müde und letztlich wie ein Selbstplagiat. Das ist bei dem wohl größten amerikanischen Schriftsteller seiner Generation immer noch aufregend, aber eben nicht aufregend genug.

Titelbild

Don DeLillo: Die Stille. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
115 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462001280

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