Kein Nobelpreis für Gustav Frenssen – Heinrich Detering und Kai Sina haben eine „Fallstudie zu Moderne und Antimoderne“ herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der christliche Glaube sagt: Die Geschichte des Volkes Israel ist die heilige Geschichte. Der Glaube der Nordmark sagt: die Geschichte des deutschen Volkes ist uns heiliger.“ Noch Fragen? Heinrich Detering zitiert diese erhellenden Sätze aus Gustav Frenssens Pamphlet „Der Glaube der Nordmark“ (1936) in seinem Aufsatz zu der Antimoderne und der Kunstreligion, die der zum Nationalsozialismus konvertierte frühere Pfarrer Frenssen in dem antisemitischen Buch entwickelte.

Zusammen mit Kai Sina hat Detering einen Sammelband zu jenem dithmarschener Schriftsteller herausgegeben, der einst mehr gelesen wurde als Thomas Mann und vor dem Ersten Weltkrieg beinahe den Nobelpreis gewonnen hätte. Wie der Titel der vorliegenden Publikation andeutet, kam es glücklicherweise nicht dazu. Nachdem seit Ende der 1990er Jahre einige kritische Publikationen zu Frenssen erschienen sind, den der Nachkriegs-Avantgardist Arno Schmidt in seinem längsten Funk-Essay 1963 noch als „Meister zweiten Ranges“ würdigen zu können glaubte, indem er dessen Roman „Otto Babendiek“ (1926) unter kompletter Verdrehung der Tatsachen als singulären Lichtblick hervorhob, plädieren nun Detering und Sina mit Schmidt dafür, Frenssen nüchtern als „1 Fänomen“ zu untersuchen und sein Schreiben differenziert „in seiner Epoche zu rekonstruieren“.

Der Band versammelt u.a. Beiträge von Helmuth Kiesel, Florian Krobb, dem ausgewiesenen Frenssen-Kenner Frank Trende und dem Schmidt-Forscher Christoph Jürgensen. Ohne genauer auf „Otto Babendiek“ einzugehen, fragt sich auch Jürgensen in seinem Aufsatz, ob dieser „abgeschlossene Fall vielleicht erneut aufgerollt und mit desinvolviertem Blick“ dahingehend überprüft werden solle, „ob er nicht immer noch unerledigt ist: und es einen modernen Klassiker ‚zweiten Ranges‘ zu entdecken gibt“.

J.S.

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Titelbild

Heinrich Detering / Kai Sina (Hg.): Kein Nobelpreis für Gustav Frenssen. Eine Fallstudie zu Moderne und Antimoderne.
Boyens Buchverlag, Heide 2018.
288 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783804214729

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