Das Bild verkauft die Zeitung

Eine Reise durch die Gebrauchsgraphik seit den Anfängen des Buchdrucks

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Bilder Aufmerksamkeit für Nachrichten erzeugen, ist keine neue Entwicklung. Vielmehr gibt es seit Beginn des Buchdrucks einen breiten Strom von Produkten, die die Lust des Publikums auf möglichst prägnante, ja sensationelle Bilder befriedigen sollen – zunächst vor allem Holzschnitte, später Kupferstiche und Lithographien, die sich an ein breites Publikum richteten. Aber selbst im Zeitalter des Fotojournalismus hat sich die „Gebrauchsgrafik“ einen Platz bewahrt, vor allem in der politischen Karikatur – also in dem, was die Fotografie als Medium, das die Dinge zeigen soll, „wie sie sind“, angeblich nicht kann. Es gibt eine Aufgabenteilung, ohne dass das Sensationelle der Nachrichtenbilder auf der Strecke geblieben wäre.

Dass sie von einem aktuellen Medium sprechen, betonen Leonore Koschnick und Benjamin Mortzfeld mit ihrer Ausstellung Gier nach neuen Bildern: Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip, die 2017/18 im Deutschen Historischen Museum stattfand und von einem üppigen und lesenswerten Katalog begleitet wird. Der Bogen führt dabei von drastischen Pro-Luther-Flugblättern der Reformationszeit, in denen in die Tiara des Papstes gesch… wird, bis zur ikonischen Spiegel-Karikatur des letzten Jahres, die Donald Trump mit dem abgeschlagenen Haupt der Freiheitsstatue zeigt. Und nicht umsonst spielen Koschnick und Mortzfeld wiederholt auf die bekannte Zeitung mit den vier Buchstaben an, die Max Goldt ein „Organ der Niedertracht“ nannte. 

Der Band beginnt mit knappen, aber informativen Einführungen zu den wichtigsten Verbreitungsformen sowie zu Herstellung und Vertrieb. Interessant ist, dass auch die wichtigsten Herstellungsorte genannt werden. Diese Grafik wurde nicht überall hergestellt; es gab regelrechte regionale Schwerpunkte, in Deutschland vor allem Augsburg, Nürnberg, Frankfurt im Main und Neuruppin, naheliegende Zentren wie London und Paris, aber auch Épinal und Wissembourg in der französischen Provinz. Gelegentlich wurde die Herkunft selbst zum Gütesiegel, wie bei den berühmten Münchner Bilderbögen. Dass sich viele Grafiken gleich für ein internationales Publikum gedacht waren, zeigt sich in mehrsprachigen Titeln und Legenden. Etwas rätselhaft bleibt, warum es zusätzlich einen Artikel von Jutta Scherrer zum „Bilderbogen aus russischer Perspektive“ gibt, denn die Ausstellung zeigt zwar einige – historisch wertvolle – Exponate aus dem Zarenreich, einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden sie aber nicht. Der Schwerpunkt liegt selbstredend auf dem 16. bis 19. Jahrhundert, weil spätestens nach 1900 die Fotografie zur Übermittlung von Nachrichten zum wichtigsten Medium wird. Nicht nur, weil sie vermeintlich wahrheitsgetreuer, sondern auch weil sie schon bald billiger und schneller zu haben war als Lithografie und Holzschnitt.

Solche mediengeschichtlichen Ausführungen hätte man sich gern etwas umfangreicher gewünscht, aber schließlich handelt es sich um einen Ausstellungskatalog. Daher liegt der Schwerpunkt auf den thematisch geordneten Exponaten. Allerdings fällt die quantitativ wichtigste Säule der Flugblattproduktion von vornherein unter den Tisch, nämlich das theologische „Andachtsblatt“ – vielleicht, weil es auch die „Bildergier“ der Ausstellungsbesucher am wenigsten befriedigen würde. Stattdessen sind die über 150 Stücke nach Themenkomplexen geordnet, die unter den Überschriften Sensationelle Neuigkeiten, Propaganda und politische Satire sowie Bildung und humorvolle Unterhaltung zusammengefasst sind. Das ist natürlich ein rein heuristisches Raster; viele Exponate hätten sich genauso gut einem der anderen Felder zuordnen lassen. Und auch innerhalb dieser drei Bereiche sind die Bilder nicht strikt chronologisch, sondern nach Themenkomplexen geordnet. Das ist ein Gewinn wegen der überraschenden Nachbarschaften, etwa zwischen einer Zeittafel des Achtzehnten Jahrhunderts von 1847 und einer ähnlich strukturierten Grafik des Comiczeichners Mawil, auf der er die Toten des Jahres 2016 von Umberto Eco bis David Bowie Revue passieren lässt. Französische und deutsche Grafiken zum Ersten Weltkrieg werden einander gegenübergestellt und Pablo Picasso findet sich in der Nachbarschaft französischer Karikaturen aus dem Krieg von 1870/71.

Eine Überraschung sind auch die betont volkstümlichen ‚Lubok‘-Holzschnitte in grellen Farben, mit denen Kasimir Malewitsch und Wladmir Majakowski 1914 für die russische Seite stritten, bevor der eine in der Malerei, der andere in der Lyrik zu den führenden Avantgardisten wurden. Hier wäre der eigentliche Platz für Jutta Scherrers Ausführungen gewesen. Da der Katalog die Bilder vor allem zeigen, nicht erklären soll, gehen die Informationen meist nicht über eine halbe Seite hinaus. Wo Grafiken aber tatsächlich ausführlicher erläutert werden, wie bei dem Bilderbogen Im 20. Jahrhundert von 1894, der die alternativen Konsequenzen einer „Judenherrschaft“ und ihrer (zutiefst antisemitischen) Alternative in Deutschland zeigen soll, ist das ein großer Gewinn. Und natürlich führt die Konzentration auf thematische Nachbarschaften umgekehrt dazu, dass Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Genres, Techniken und Einzelmedien vernachlässigt werden. Auch hätte man gern mehr außereuropäische Grafik zeigen können – aber das gaben wohl die Bestände des Deutschen Historischen Museums nicht her, die das Rückgrat der Ausstellung bilden.

Lobenswert ist, dass die Kuratoren nicht nur die Grafiken, sondern auch ihre Herstellung und Verbreitung zeigen. Das geschieht – was naheliegt – anhand von Grafiken, die Papiermacher, Drucker, Bänkelsänger und Fliegende Händler bei der Arbeit zeigen, aber auch von materiellen Objekten wie einer speziellen Presse für Kupferstiche oder einem hölzernen Guckkasten, durch den man gegen Zahlung eines Entgelts speziell dafür gefertigte Bilder betrachten konnte. Mehr noch: Bänkelsänger und Bildhändler gibt es sogar als Porzellanfiguren, die sich wohl an den finanziell besser gestellten Teil des Publikums richteten. Mortzfeld weist zu Recht darauf hin, dass man über die Adressaten der Gebrauchsgrafik noch immer zu wenig weiß – im Vergleich zu den Auflagen, die gerade in der Frühen Neuzeit um ein Vielfaches höher liegen konnten als bei Bücher, haben sich nur wenige Exemplare erhalten. Und die stammen eher von Stadtbürgern und Adligen als von Bauern und Handwerkern, die wohl das Gros der Käufer ausmachten.

Etwas oberflächlich wirken die Exponate zum Comic, die das Buch abschließen. Sicher führt, wie gezeigt, ein Weg von Wilhelm Busch zum amerikanischen Strip um 1900. Diese Verbindung wird deutlich, wenn sich Zeichner Rudolph Dirks ab 1897 unmittelbar bei ihm bedient – seine Katzenjammer Kids, der älteste heute noch laufende Comicstrip, sind direkte Kopien von Max und Moritz. Unverständlich bleibt aber, warum dann der mindestens ebenso wichtige Rodolphe Töpffer fehlt, der im frankophonen Raum als Begründer des Comics gilt. Was sonst noch gezeigt wird, die unvermeidliche Micky Maus, Rolf Kauka für den westdeutschen, Hannes Hegen für den DDR-Comic der Nachkriegszeit, wirkt recht beliebig und geht auf die eigenständige Entwicklung des Comics zur „Neunten Kunst“ in den letzten Jahrzehnten überhaupt nicht mehr ein.

Insgesamt ist Gier nach neuen Bildern sehr zu empfehlen – nicht jedes Bild ist sensationell, aber was zu sehen ist, ergibt ein fantastisches Panorama der (gebrauchs)graphischen Kunst. Die Ausstellung hat zwar am 8. April ihre Tore geschlossen, aber wer will, kann die Exponate nun in Ruhe betrachten, und das zu einem recht günstigen Preis – zu Hause oder in der Bibliothek Ihres Vertrauens.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Deutsches Historisches Museum Berlin (Hg.): Gier nach neuen Bildern. Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2017.
255 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783806236385

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