Die Sau, der Wald, die Prosa
Das Lebensbuch des Uwe Dick
Von Klaus Hübner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDen „Journullismus“ mochte er noch nie, am wenigsten das „Pfuilleton“ – wer dort seinen „Sülzrülps“ ablässt und womöglich sogar hundsgewöhnliche „Literatten“ gut findet, ist ihm per se ein verachtenswerter „Unterling des Zeitgeistes“. Uwe Dick, 1942 in Schongau geboren, aber weniger mit dem Lech als mit dem Inn verbandelt, gern zwischen Brannenburg, Rosenheim, Schärding und Passau unterwegs, im oberösterreichischen Sauwald wie im finsteren Bayerischen Wald daheim, möchte auf gar keinen Fall mit dem Zeitgeist konform gehen. Weshalb er seitenlange Schimpftiraden auf ihn niedergehen lässt und mehr als einmal erklärt, „warum ich mit der zeitgenössischen Literatur nicht das geringste zu tun habe“. Schließlich schreibe er nicht für „Herrn Kuckma und Frau Allesklar“, sondern, wie der Verlag etwas süffisant und durchaus nicht gendergerecht formuliert, für „jeden virtuosen Leser“. Seit den frühen 1970er-Jahren erweiterte und modellierte er seine Sauwaldprosa; 1976 erschien die erste Ausgabe, weitere folgten. Jetzt, zum Achtzigsten: ein roter Buchziegelstein, meist zweispaltig gedruckt, drinnen ein aus mehr als 1200 Textsäulen bestehender Prosa-Sauwald – die „unwiderruflich abgeschlossene“, die wirklich ultimative Edition dieses, wie der Autor selber sagt, „durch sechs Jahrzehnte heraufgewachsenen Lebensbuchs“. Ein Wahnsinn.
Prosa, ja. Auch Gedichte, Reportagen, Traumprotokolle, Briefe oder Aphorismen. Meistens in raffiniert ausgeklügeltem, rhythmisch schwingendem Wörtersound – „Rhythmus, in Zeit geschnittene Form“. Oft eher Hörtexte – lautes Lesen wäre angesagt. Worum es geht? „Mein Sauwald bedarf keiner Handlung“. Wie sich das liest? Manchmal sehr flüssig und die Erkenntnis ungemein fördernd, oft amüsant und zum Lachen reizend, manchmal recht zäh, denn „der Widerstand der Wörter ist beträchtlich“. Immer wieder driftet der Text ab ins Privat-Assoziative, auch ins schlechterdings Unverständliche. Bairisch sollte man schon können, denn, so der Autor, die Mundart entdecke oft, was Ideologien verbergen, und „dabresln“ sei nun mal aussagekräftiger als „zerdrücken“. Neologismen sollte man schätzen, Kalauer nicht nur missbilligen: Sachzwang? „Zwängs am Sach, gei?!“. Vor uferloser politischer Inkorrektheit darf man keine Angst haben – manche Bemerkungen zur Gewalt, zum Krieg oder zur Jagd könnten allzu zarte Seelen durchaus verletzen. Doch wer hat schon eine zarte Seele? „Die meisten hier sind Nazis. Sie wissen’s nur noch nicht mehr“. Wirklich? Uwe Dicks politischen Einlassungen, zum Beispiel den einer realitätsblinden Sehnsucht nach einem unzerstörten Ideal-Jugoslawien geschuldeten, alttestamentarisch wortgewaltigen Zornesausbrüchen, wird man kaum zustimmen können – was dem grundsätzlich besserwisserischen Autor der beste Beweis dafür sein wird, dass Rezensenten sowieso strohdumme Knechte des Zeitgeists sind. Und dass überall eh fast nur Volldeppen herumeumeln, „Zwerge“ und „Konsumwichtl“ – „Wos saan dees füa Gwax? – I woaß need, mia homs ausm Gartnzenta!“. Na ja, „Provinz ist, wenn man trotzdem lacht“, und die ist nun mal bevölkert von Vollidioten – außer Einem natürlich, der jedenfalls eines sicher weiß: „Das ganze Werden kulminiert in mir“. Weshalb ihm auch eine gesicherte Existenz zusteht: „Wenn ich schon kein Geld hab, möchte ich wenigstens gut leben davon“.
Der leidenschaftliche und oft auch leidende Autohasser und Dauerradler Uwe Dick, der „lieber frei als satt“ ist und inmitten einer als faschistoid empfundenen Umgebung unermüdlich gegen die „Zuviellisation“, den „Wachstumswahn“, die „Banalisierungsindustrie“ und das „Gephras der Nonsensokratie“ ankämpft, geht im Dagegen-Sein nicht auf. Bisweilen findet der Dichter, den der Freistaat Bayern übrigens 2007 mit dem Jean-Paul-Preis geehrt hat, Trost und Frieden im Bier und im Schnaps. Er kann sich aber auch grenzenlos der Musik hingeben, der russischen Moderne zumal, und vor allem kann er lesen ohne Ende. Was einen ja zu einem „Kollektiv von Personen verschiedener Jahrhunderte“ machen kann. Dass Uwe Dick seine enorme Belesenheit immer wieder triumphierend ausstellen muss, ist eine der Schwächen dieses Lebensbuchs. Trotzdem wird man auch daraus Gewinn ziehen. Zu seinen literarischen Hausheiligen, die in der Sauwaldprosa zum Teil fulminante Auftritte haben, gehören unter anderem Fischart und Grimmelshausen, Kraus und Canetti, Ortega und Camus, Günther Anders und Ludwig Marcuse, Paul Valéry und Jürgen von der Wense, Arno Schmidt und – Bildungsbürger aufgemerkt! – Heinz Erhardt. Nicht zu reden von im Sauwald heimischen Künstlern, Alfred Kubin oder Richard Billinger zum Beispiel. Auch hier: bloß kein Mainstream! Fortschritt? „Schritt fort und ward nicht mehr gesehn“. Doch verzweifeln müsse man deshalb nicht: „Dreh dich um, und da ist auch vorne“.
Uwe Dick möchte unsere Phantasie „für das Unvorstellbare“ erweitern, und partienweise schafft er das auch, im Sinne von Antje Rávik Strubels Diktum: „Das konventionelle Ich unseres binär strukturierten modernen Denkens wird über seine Grenzen geschickt“. Hier gelingt das immer wieder. „Billigtristik“ jedenfalls sieht anders aus. Auf ein Publikum, „dessen Gleichgültigkeit gegenüber der Bedeutung eines Wortes der Wurschtigkeit gegenüber dem eigenen Leben entspricht“, wird keinerlei Rücksicht genommen, und selbst Menschen, „die eine zur bloßen Informatik herunterstilisierte Sprache langweilt“, werden sich schwertun. Bekanntlich gibt es nur wenige Leser und noch weniger Leserinnen, zu deren Lieblingsbüchern Zettel’s Traum oder Finnegans Wake zählen. Immerhin, es gibt sie. Und genau die werden sich mit Freude und Genuss auch durchs Dick-Icht der Sauwaldprosa kämpfen. Für alle anderen gilt: Dieses Buch ist unlesbar. Deshalb muss man es lesen.
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