Buschfeuer und blaue Bohnen
In „Funkloch“ löst Garry Dishers Inspector Hal Challis seinen siebten Fall
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie beiden Killer, die ein Drogenboss aus Sydney zur Unterstützung eines Geschäftspartners auf die südöstlich von Melbourne gelegene Mornington Peninsula schickt, sind ihr Geld durchaus wert. Ohne zu zögern erledigen sie ihren Job. Und weil sie sich bei der Entsorgung der dabei angefallenen Leiche von einem zufällig des Weges kommenden Mann beobachtet fühlen, wird die Blutspur, die sie fern von Zuhause hinterlassen, noch ein bisschen länger. Zum Verhängnis aber wird ihnen schließlich eine achtlos aus dem fahrenden Auto geschnippte Zigarettenkippe. Denn „zundertrockenes Gras und leicht entflammbare Kiefern und Eukalyptusbäume“ scheinen nur auf das bisschen Glut gewartet zu haben, um sich mit Hilfe des beständig wehenden Windes binnen kürzester Zeit in eine Flammenhölle zu verwandeln. Und so kommt es, dass die beiden Totschläger nach getaner Arbeit in eine tödliche Falle geraten, für die sie selbst verantwortlich sind.
Funkloch – im Original bereits 2016 unter dem Titel Signal Lost erschienen – ist Garry Dishers siebter Roman rund um das Kriminalistenduo Hal Challis und Ellen Destry. Challis, seit ein paar Jahren Inspector der Westernport Region Crime Investigation Unit (CIU) am Polizeirevier Waterloo, und Destry, mit der er neuerdings zusammen ist und die, einst zu Hallis‘ Team gehörend, inzwischen die neue Abteilung für Sexualdelikte leitet, ermitteln in einer eher ländlichen, zum Bundesstaat Victoria gehörenden Gegend Australiens. Hier, wo früher hauptsächlich Farmland zu finden war, hat eine prosperierende Wirtschaft in jüngerer Zeit für eine Verdopplung der Einwohnerzahl gesorgt.
Gleichzeitig mit dem wachsenden Wohlstand eines Teils der Bevölkerung nahmen freilich auch soziale Probleme und die Kriminalität auf der Peninsula zu. So dass sich Dishers Helden über Mangel an Arbeit nicht beklagen können, geht ihr Ehrgeiz als Polizisten doch dahin, für die Sicherheit der Menschen in den kleinen Städten und Gemeinden rund um Waterloo zu sorgen. Allein Buschbrände zählen nur bedingt zu den Ereignissen, die augenblicklich die Kriminalpolizei auf den Plan rufen. Doch bei den Aufräumungsarbeiten nach dem von den beiden unvorsichtigen Städtern verursachten Brand findet die Feuerwehr nicht nur deren Leichen in dem völlig ausgebrannten Wagen, sondern nicht weit davon entfernt auch die Überreste einer Drogenküche in einem verlassenen Gebäude. Und das ist schon ein Fund, der die Polizei interessieren muss. Denn es gibt bereits seit geraumer Zeit Anzeichen dafür, dass sich das organisierte Verbrechen auf der Peninsula neue Drogenabsatzmärkte schafft. Also lautet die Devise: Wehret den Anfängen!
Nun wäre ein Roman von Garry Disher kein Roman von Garry Disher, wenn es in ihm nur um die Aufklärung eines einzigen Falles ginge. Da erwartet auch seine beständig wachsende deutschsprachige Fangemeinde inzwischen ein bisschen mehr. Und bekommt es natürlich in Funkloch wieder zuverlässig von dem 1949 geborenen und heute ganz in der Nähe von Hal Challis‘ Einsatzgebieten lebenden Australier geliefert. Schließlich laufen Probleme auch in der Realität nicht immer ganz geradlinig auf ihre Lösungen zu. Und weil Disher ein sehr genauer Beobachter der ihn umgebenden Wirklichkeit ist und sich also auskennt mit dem Land, den Leuten und deren Wünschen und Sorgen, gesellen sich bald zu dem Fall um die beiden bei ihrem mörderischen Job umgekommenen Auftragsmörder aus dem fernen Sydney weitere Ermittlungen hinzu.
Landmaschinen verschwinden über Nacht von den umliegenden Feldern und aus den Garagen der Bauern. Ein sechsjähriges Mädchen, dessen Mutter sich nicht sonderlich für das Kind zu interessieren scheint, wird vermisst. Eine Bürokraft hält nicht ganz dicht, so dass aus der kleinen Polizeistation Dinge nach außen dringen, die besser hinter verschlossenen Türen geblieben wären. Challis‘ Freundin Ellen Destry bekommt es bei ihrem ersten Fall im neuen Job gleich mit einem Serienvergewaltiger zu tun, der in die Häuser allein lebender Frauen einbricht, um dort brutal über seine Opfer herzufallen. Und als wäre das nicht schon genug Stress für die Polizistin, verspricht ein einschlägig vorbestrafter Mann ihrer Schwester zur selben Zeit das Blaue vom Himmel – nur die Bezahlung der Wonnen des von ihm in Aussicht gestellten Paradieses soll die allzu naiv sich auf ihre neue Liebe Einlassende dann bitte selbst übernehmen.
Garry Disher verknüpft all diese Fälle souverän miteinander, stellt Querverbindungen zwischen den einzelnen, mal kleinen, mal größeren Gesetzesverstößen her und präsentiert schließlich einleuchtende Lösungen. Sein Roman jongliert gekonnt mit mehr als einem Dutzend kräftig konturierter Figuren, Männern und Frauen, die alle ihre eigenen Probleme, Begierden und Eigenheiten mitbringen. Er lässt Challis die großen Herausforderungen seines Berufs meistern und ihn bei den kleinen Dingen des Alltags – einem langsam den Geist aufgebenden Auto, der Besorgung von Weihnachtsgeschenken oder den Avancen, die eine aus Melbourne in sein ländliches Idyll eine Prise großstädtischer Verruchtheit mitbringende Kollegin ihm macht – gehörig ins Schwitzen kommen. Das sorgt alles in allem dafür, dass auch der deutsche Leser sich schon nach ein paar Seiten in dieser fernen Welt wie zuhause fühlt, selbst wenn er froh darüber ist, dass Buschbrände, urplötzlich vor Autos springende Kängurus und gefährliche Giftschlangen (noch) nicht zu seiner Erfahrungswelt gehören.
Und was hat es mit dem titelgebenden „Funkloch“ auf sich? Es steht wohl für mehr als nur den für die Peninsula charakteristischen, permanenten Ausfall von Handy- und Internetsignalen, wie ihn der Vermieter einer der Romanfiguren schon bei der ersten Begegnung mit seinem neuen Mieter beklagt: „Kein Signal, der Strom fällt aus, sobald auch nur ein Blatt vom Baum fällt“. Garry Disher selbst hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass ihn darüber hinaus auch die fehlende Kommunikation innerhalb der australischen Gesellschaft zu virulenten Problemen der Gegenwart beunruhigt. Indem seine zentralen Figuren die existierenden Missstände – und ihre Auswirkungen auf die Kriminalität – sehr genau beobachten und den Problemen an die Wurzel zu gehen versuchen, sind die Bücher dieses Autors, ganz abgesehen von ihrer herausragenden literarischen Qualität, weit mehr als bloße, lediglich der spannenden Unterhaltung dienende „Krimis“. Sie sind kritische Kommentare zur Zeit.
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