Vom Urbedürfnis des gegenseitigen Erkennens
Stefan Ivanov geht in dem poetischen Essay „mit dir“ der Frage nach, wie wir ins Gespräch kommen und warum das nötig ist
Von Nora Eckert
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUnsere Kommunikation hat sich durch die Möglichkeiten des Internets und durch die Sozialen Medien nachgerade explosionsartig gesteigert, gekennzeichnet von einer nie dagewesenen Dynamik. Aber kommunizieren wir dabei wirklich? Oder wird nicht vielmehr Niklas Luhmanns Bemerkung, nicht der Mensch, sondern die Kommunikation kommuniziere, zur punktgenauen Diagnose des Problems? Der Kultur- und Medienwissenschaftlicher Joseph Vogl spricht in diesem Zusammenhang von einer „ballistischen Schnellkommunikation“. Was in den meisten Fällen zutrifft: Sie ist nicht wirklich ein Gespräch, eher etwas Monologisches. Oder zumindest kein Gespräch, wie es der bulgarische Philosoph, Kulturwissenschaftlicher und Dichter Stefan Ivanov sich vorstellt. Was zeichnet für ihn ein Gespräch aus?
Bei Ivanov ist das Gespräch zweier Menschen von Nähe geprägt, eingebunden in soziale Relationalität. Seine Vorstellung von Dialog ist gleichsam eine „soziale Vision“ und insofern auch etwas Politisches. Nun wissen wir längst, dass die politische Natur und die Sprachbegabung des Menschen eng zusammengehören. Denn damit sind wir in der Lage, soziale Beziehungen zu erkennen und über sie nachzudenken, indem wir sie sprachlich definieren. Auf dieser Ebene werden die menschlichen Verhältnisse ebenso verhandelbar. „Sprache besitzen heißt: sich im sozialen Raum bewegen und sich dessen bewusst sein“, lesen wir bei Charles Taylor in Das sprachbegabte Tier. Entscheidend ist aber nicht allein, dass wir miteinander reden, sondern wie wir das tun. Und hier meldet sich Ivanov mit seinen Beobachtungen, seiner Kritik und seinen berechtigten Bedenken zu Wort.
Er tut dies in Form eines Prosagedichts. Wie also sieht idealerweise ein Gespräch, ein Dialog aus? Ivanov stellt sich dabei zwei Menschen vor, die die Nähe nicht scheuen und vielleicht auch gemeinsame Werte teilen und – ganz wichtig – Vertrauen aufbringen. Hinter der Fassade der realen und sozialen Netze erkennt der Autor das Urbedürfnis nach „gegenseitigem erkennen und nach nähe“. Aus dem Gespräch entsteht zugleich das Wissen über uns und damit unsere Geschichte. Das hatte Friedrich Hölderlin in dem Gedicht „Friedensfeier“ so beschrieben:
Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch,
Doch die Kunst oder auch das Glück besteht darin, überhaupt eine Beziehung herstellen zu können:
das gespräch ist eine handlung
wie auch das freundliche Wort wie auch die umarmung
Im Internet hörte Ivanov eine Vorlesung und fand darin eine passende Erklärung:
das gute gespräch sei eine beziehung zwischen gleichen
und dass wenn du deine eigene finsternis kennst du auch die
finsternis des anderen sehen kannst
sowie die aussicht auf licht.
das gespräch ist im grunde nicht gerade eine rettung oder fürsorge
es ist kein allheilmittel
Wo wir es schaffen, eine Beziehung herzustellen und Nähe auszuhalten, wird immer auch das Erfordernis von Distanz und Grenzen sichtbar, so Ivanov. Also das, was menschliches Zusammenleben grundsätzlich braucht. Für ihn enthalten Gespräche die Möglichkeit des eigenen Kennenlernens. Neben der Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz sind ebenso Verhaltensregeln nötig, sozusagen als Grenzziehungen, wie etwa diese:
„so steckt man den finger auch nicht in die wunde oder die seele des anderen“
„mitleid ist eine form von herablassung und eine schwester der überheblichkeit“
„das verhör ist der böse zwilling des gesprächs“
„wenn ihnen jemand wichtig ist / sagen sie es ihm/ihr“
Das Gespräch ist also möglich unter Gleichen und findet immer, wie man gern sagt, stets auf Augenhöhe statt. Ivanov rät außerdem, sich gelegentlich zurückzunehmen, um sich auf einen anderen Menschen einzulassen:
es kommt vor dass sie ein loch im herzen haben
und durch dieses fliegen oft mehr krähen
als engel
helfen sie ihnen damit die zahl der engel steigt
das erfordert keine besonderen anstrengungen
es kommt von selbst sofern
es in ihrem leben jemanden gibt
der:die ihnen manchmal
zumindest für einen moment
wichtiger ist als sie
sich
selbst
Dieser lehrreiche poetische Essay über das sprachbegabte Tier namens Mensch hat Viktoria Dimitrova Popova mit lyrischer Eindringlichkeit aus dem Bulgarischen übersetzt. Man darf dieses kleine, handliche Heft wohl auch als Anleitung für soziales Verhalten verstehen und ebenso als Übung in Sprachsinnlichkeit.
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