Selbst Schuld?
In der Aufsatzsammlung „Über Frauen“ macht sich Susan Sontag Gedanken über Emanzipation, Feminismus und Faschismus und verrät dabei ihre Schwierigkeiten mit Frauen
Von Nora Eckert
Die 2004 verstorbene US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag gehört zu den prägenden intellektuellen Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie galt als moralisches Gewissen der USA, die mit ihren zahlreichen Essays die Debatten in der Politik und in den Künsten befeuerte. Kontroverse Themen waren ihr bevorzugtes Betätigungsfeld und meinungsstarke Argumentationen ihr Kennzeichen. Ihr schon frühes Interesse für Literatur richtete sich insbesondere auf jene der Alten Welt, weshalb sie sich selbst einmal als „europhil“ bezeichnete. Aber nicht nur das, Sontag hatte zudem vorzugsweise männliche Vorbilder, weshalb sie ihr Denken als „männlich geprägt“ beschrieb, dabei Hannah Arendt zitierend, die das ebenfalls von sich behauptete. Wie hätte das damals auch anders sein können?
Nun liegt ein Band mit hierzulande weitgehend unbekannten Essays vor, die sich in unterschiedlichsten Perspektiven dem Thema Frau widmen. Die Beiträge erschienen zwischen 1972 und 1975 in Zeitschriften und wurden jetzt mit einer Ausnahme erstmals ins Deutsche übersetzt. Um dies gleich vorwegzunehmen: Anders als die im letzten Jahr von Susan Sontags Sohn David Rieff herausgegebene Originalausgabe (erschienen beim Londoner Verlag Picador) fehlen der deutschen Ausgabe bedauerlicherweise editorische Hinweise beziehungsweise eine Einführung. In der englischen Ausgabe gibt es diese, verfasst von Merve Emre.
Die Frage ist nicht unberechtigt: Was kann uns Sontag in Sachen Feminismus noch sagen? Also die Frage der Aktualität oder die der Historizität. Greifen ihre Thesen noch, beobachten wir noch dieselben Alltagsphänomene? Denn weder stand die Zeit in den letzten fünfzig Jahren still mit einem erkennbaren gesellschaftlichen Mentalitätswandel noch ist der feministische Diskurs auf dem Stand der 1970er Jahre stehengeblieben, der längst pluralistisch geworden ist und mit den Gender Studies und dem Wissen um Intersektionalität in Fragen von Diskriminierung und Ungleichbehandlung neues Terrain beschritt. Wenn Sontag von Frauen spricht, hat sie allein die weiße Frau im Blick. Rassismus im feministischen Kontext kommt bei ihr nicht vor. Sie beschreibt eine reinweiße Gesellschaft.
Aber nicht nur das: Manche ihrer Beiträge klingen so, als sei der Fortbestand einer hierarchisierenden Geschlechterdifferenz durch die Frauen mehr oder weniger selbstverschuldet. Denn die Autorin gibt zu verstehen, dass sie mit ihrem männlich geprägten Denken keine Anschlussprobleme in einer männerdominierten Welt erfahre. Im Gegenteil, die Selbstbehauptung als Intellektuelle in einem Männerbetrieb ist bei ihr eine Selbstverständlichkeit. Aber war und ist das die Lösung – Anpassung?
Nun mag Selbstkritik nicht gerade ihre Stärke gewesen sein, denn als Ausnahme von der Regel blieb sie zum einen die Exotin und zum anderen schien es ihr an Selbstsicherheit immer dann zu fehlen, wo es unmittelbar um ihr ganz privates Frausein ging. Dass sie jahrelang mit der Fotografin Annie Leibowitz zusammenlebte, blieb beharrlich unterm Teppich. Emanzipation sieht wohl anders aus. Mag die Praxis bei ihr also nicht unbedingt der Theorie zu folgen, so enthält letztere nach wie vor richtige Gedanken:
Frauen sollten darauf hinarbeiten, dass keinerlei Stereotypisierung auf Basis der sexuellen Identität mehr stattfindet, ob positiv oder negativ.
Diese Forderung erhebt sie in dem Aufsatz Die Dritte Welt der Frauen von 1973 und zielt dabei auf die Befreiung von der sogenannten „Natur“ der Frau, aus der eine patriarchale Kultur die Geschlechterdifferenz ableitete, mit ihr die rollenspezifischen Geschlechterstereotypen, um sie als Sexismus zu zementieren. Dass die Befreiung am Ende Macht bedeute, ist für Sontag eine Tatsache, woraus sie eine kämpferische Radikalität ableitet:
Bewusstsein verändert sich nur durch Konfrontation, in Situationen, in denen Beschwichtigung keine Option ist.
Interessant auch der Hinweis, dass eine Gesellschaft, in der Frauen subjektiv und objektiv gleichberechtigt seien, „zwangsläufig eine androgyne Gesellschaft sein“ müsse. Eine Position, mit der der Queer-Feminismus unserer Tage viel, der genderkritische Radikalfeminismus hingegen nichts anfangen kann. Denn Letzterer beschwört förmlich die weibliche Natur und damit die Geschlechterdifferenz, um auf Geschlechter-Separatismus zu setzen. Ebenso interessant, weil konsequent gedacht, ist in diesem Zusammenhang Sontags Kritik an der „Kernfamilie“, die sie ein psychologisches und moralisches Desaster nennt und die in „der Chronologie eines Menschenlebens“ die erste „Schule für Sexismus“ bedeute.
In dem zitierten Text vergleicht Sontag die Frauenbefreiung mit der Sklavenbefreiung. Auch wenn es zutrifft, dass in beiden Fällen die Unterdrückung mit einer als Natur beschriebenen Ungleichheit gerechtfertigt wird, so irritiert doch eine Bemerkung wie diese: „[…] hinsichtlich ihrer psychologischen und historischen Konsequenzen scheint mir die Frauenbefreiung sogar noch bedeutsamer als die Abschaffung der Sklaverei.“ Nicht weniger irritierend, Männer als Kolonialherren und Frauen als Kolonialisierte zu bezeichnen.
In weiteren Texten beschäftigt sich Sontag mit dem Alter und mit der Schönheit, die mit Blick auf Geschlecht unterschiedlich bewertet werden. Frauen seien da permanent benachteiligt. Das mag 1975, als die Texte veröffentlicht wurden, in der weißen US-amerikanischen Gesellschaft Diskussionsstoff gewesen sein. Doch aus der Gegenwart betrachtet, sind kulturelle Verschiebungen nicht von der Hand zu weisen. Weiblichkeit nennt sie in diesem Zusammenhang eine Art Theaterspiel, was die Idee der geschlechtlichen Performanz aus den Gender Studies vorwegzunehmen scheint. Und wo es um die Frage geht, ob die Schönheit der Frau Herabsetzung oder Machtquelle bedeute, heißt es:
Es ist leicht, Frauen erst als Pflegerinnen ihrer ‚Oberfläche‘ zu definieren und sie dann für ihre Oberflächlichkeit zu verunglimpfen (oder zu vergöttern).
Doch so oder so, gerade in diesen Texten gewinnt man den Eindruck, es seien die Frauen selbst, die an ihrer Lage schuld sind, als stünden Geschlechterdifferenz und Sexismus nicht für ein tiefsitzendes kulturelles Problem.
Nicht unerwähnt sei zum Schluss der Aufsatz Faszinierender Faschismus von 1974, in dem die deutsche Filmregisseurin Leni Riefenstahl im Mittelpunkt steht. Sontag überführt sie als „Lügnerin“, die ihre Biografie und damit ihre Verstrickung mit dem Nazi-Regime schöngeschrieben habe. Denn „zur Debatte stand vor Gericht nicht ihre ‚Bekanntschaft‘ mit der Nazi-Führung, sondern ihre Tätigkeit als eine der führenden Propagandistinnen des ‚Dritten Reichs‘“.
Es sei naiv, so Sontag, nur von Dokumentarfilmen im Fall von Sieg des Glaubens (1933), Triumph des Willens (1935), Tag der Freiheit: Unsere Wehrmacht (1935) und schließlich Olympia (1936) zu sprechen. Es gehe in ihnen nicht um die Aufzeichnung der Realität, sondern darum, „die Realität überhaupt erst herzustellen“. Und das sei nichts anderes als Propaganda. Ein größerer Abschnitt in dem Aufsatz ist der Faszination von SS-Uniformen gewidmet, die dramatisch und bedrohlich zugleich wirken. Anlass für die Betrachtung ist ein Buch über SS-Regalia. Die Vermutung, man habe es hier mit einer sexuellen Fantasie zu tun, trifft es wohl auch:
Die Farbe ist schwarz, das Material ist Leder; der Anreiz ist Schönheit; die Rechtfertigung ist Ehrlichkeit; das Ziel ist Ekstase; die Fantasie ist der Tod.
Es sind immer wieder solche zugespitzten Einsichten, die den Reiz der Lektüre ausmachen und die Susan Sontag als streitbare und selbstbewusste Intellektuelle ausweisen, die Denk-Konventionen harsch anging. Einordnungen, wie sie Sontag für gesellschaftliche Themen in dem vorliegenden Band vornimmt, mögen zwar auch altern, und durch die geschichtliche Entwicklung von Fall zu Fall überholt werden, aber ihre intellektuelle Energie bleibt dennoch darin konserviert und fasziniert.
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