Ein bisschen bi schadet nie

Christine Weder rekonstruiert die Ästhetik und Theorien der Sexualität um 1968

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die rebellische Zeit, als deren „Chiffre oder Gesichtszeichen“ sich die Jahreszahl 1968 etabliert hat, wollte nicht nur den sich in tausend Jahren unter den Talaren der universitären Honoratioren angesammelten Muff wegblasen, sondern war stets auch mit dem assoziiert, was sich als „sexuelle Revolution“ verstand, die ihre Personifizierung in den eine offene Paarbeziehung lebenden KommunardInnen Uschi Obermaier und Rainer Langhans fand. Dass die ‚sexuelle Revolution’ mit der angestrebten politischen nicht nur verknüpft war, sondern auch in ein gewisses Spannungsverhältnis geraten konnte, brachte ihr ebenfalls in der berühmten Kommune 1 lebender Mitkommunarde Dieter Kunzelmann zur Sprache. Ihm wird das Bekenntnis nachgesagt, der Krieg in Vietnam interessiere ihn herzlich wenig, solange er an Orgasmusschwierigkeiten leide. Eine damals nicht ganz unbeliebte Klage der Herren.

Uschi Obermeier wiederum zeigte, zumindest in ihrer Rolle als Peggy in Rudolf Thomes das spannungsreiche Verhältnis der Geschlechter aufs Korn nehmendem Spielfilm Rote Sonne (1970), dass die ‚sexuelle Revolution’ den Geschlechterkampf keineswegs beendete, sondern ihn vielmehr mit der im Zusammenhang damit langsam einsetzenden sexuellen Selbstbestimmung der Frauen zuspitzte. Peggy lebt nämlich in einer nunmehr rein weiblichen Kommune, deren Bewohnerinnen sich bei Bedarf einen Mann ins Haus holen, der, nachdem sein Nachtwerk getan ist, an einem Morgen der nächsten Tage liquidiert wird. Das geht solange gut, bis sich Peggy dummerweise in einen von diesen Männern verliebt. Ein Missgeschick, das tödlich nicht nur für die beiden endet.

All das war in den damaligen Theorien zur sexuellen Revolution natürlich keineswegs vorgesehen. Und auch mit der sexuellen Selbstbestimmung der Frauen war es – bis auf wenige Ausnahmen wie eben Uschi Obermaier und der einen oder anderen ‚namenlose’ Kommunardin auch in der Provinz – ausgesprochen schlecht bestellt. Erwarteten die Herren Revolutionäre doch ganz nach dem Motto „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, dass jede von ihnen sich sofort und anstandslos in des jeweiligen Mannes Bett schleppen ließ.

Den damaligen Theorien zur ‚sexuellen Revolution’ geht Christine Weder nun in ihrem Buch Intime Beziehungen nach, dem auch die eingangs zitierten Worte entnommen sind. Dabei verknüpft sie die Überlegungen der VordenkerInnen der sexualrevolutionären Bestrebungen mit der „konstruktiven Beteiligung von Literatur und Ästhetik an jenen Debatten und an der vielgestaltigen Hervorbringung dessen, was um 68 Sexualität hieß“. Besagte VordenkerInnen waren – wohl nicht nur, was den Quellenkorpus des vorliegenden Bandes betrifft – mit Ausnahme Susan Sonntags tatsächlich zunächst fast ausschließlich männlichen Geschlechts, was sich selbstverständlich auch in den damals gängigen Theorien und den ihnen folgenden praktischen Versuchen niederschlug. Ganz allein auf weiter Flur stand Susan Sonntag mit ihrem Beitrag zum Sexualdiskurs allerdings nicht. Genau 1968 erschien etwa die kleine Schrift The Myth of the Vaginal Orgasm der amerikanischen Radikalfeministin und Mitbegründerin der New York Radical Women. Spätesten mit der Übersetzung von 1975 gewann sie auch hierzulande eine enorme Bedeutung für den von Weder unter Verweis auf vorliegende Forschungen überhaupt allzu vernachlässigten feministischen Sexualdiskurs. So wird Koerds Text in der vorliegenden Untersuchung denn auch nur recht beiläufig im Kontext mit Günter Amendts Buch Sexfront erwähnt.

Die Autorin hat einen „historisierenden Zugang“ zum Thema gewählt, der „die enthusiastische Rede von der ‚sexuellen Revolution‘ […] nach der jeweiligen Ausgestaltung, Wirkung und strategischen Funktion befragt“. Dabei verweist sie nicht nur wiederholt auf inhaltliche Bezüge zur „Sattelzeit“, das heißt zum Übergang zwischen Früher Neuzeit und Moderne um 1800, sondern stellt wohl nicht ganz zu Unrecht fest, dass die „Erfindungen eines ‚neuen freien Menschen‘“ der 1960er und 1970er Jahre „Impulse der Lebensreformbewegungen“ um 1900 „aufgenommen“ haben und die sexuelle Revolte daher als „langer, freilich nicht kontinuierlicher Prozess“ gedacht werden kann, „der sich um 1968 lediglich in spezifischer Weise verdichtete“. Handfeste Nachweise solcher Bezugnahmen auf die Ansätze der Lebensreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bleibt sie jedoch schuldig.

Das wundert allerdings nicht, wurden in den Jahren der „sexuellen Revolution“ doch nicht etwa die Werke des um 1900 in den Kreisen der Münchner Bohème und der „barfüßigen Propheten“ (Ulrich Linse) des Monte Verità agierenden Psychoanalytikers, Anarchisten und Promiskuität predigenden Womanizers Otto Gross  massenhaft als Raubdrucke neu aufgelegt, sondern vielmehr die des vornehmlich einige Jahrzehnte später tätigen „querschlägerischen Psychoanalytiker“ und Kommunisten Wilhelm Reich, an Hand derer sich die SexualrebellInnen der 1960er und 70er Jahre zu Beginn der Revolte ganz wesentlich orientierten.

Da den ‚68erInnen’ Wissen an sich schon als emanzipatorisch respektive befreiend galt und alleine schon das „Zur-Sprache-Bringen“ sexueller Nöte als „revolutionärer Akt“ angesehen wurde, gewannen einschlägige Texte für die damaligen „Aufbruchsbestrebungen“ eine „enorme Bedeutung“. In ihnen dominierte die in eine „omnipräsente Repressionsthese oder -hypothese“ eingebettet Auffassung, „der ‚Sexualtrieb‘“ werde von jeher oder zumindest ab einem bestimmten historischen Zeitpunkt, jedenfalls aber schon lange „in entscheidender Dimension unterdrückt“. Mehr noch, 1968 wurde „das Herz der diagnostizierten Repression im Unterleib verortet“, wie Weder in ihrer nicht selten leicht ironisierenden Art formuliert. Da „die kritisierte Repression“ nicht nur in einschlägigen Gesetzen wie dem Kuppeleiparagraphen, dem Abtreibungsverbot und der Strafbarkeit männlicher Homosexualität ausgemacht, sondern „letztlich in den Denk- und Wertkonventionen verortet“ wurde, zielten die „Befreiungsprogramme“, der Sprüche wie „ein bisschen bi schadet nie“ klopfenden SexualrebellInnen auf eine „Totalrenovation der Sitten“. Dabei ging es darum, sich die angenommene und uneingeschränkt positiv gedachte ‚natürliche’ Sexualität wieder anzueignen und auszuleben, um so das ‚bürgerliche Individuum‘ hinter sich zu lassen.

Schon der 1956 verstorbene Wilhelm Reich, der zum postumen Mentor der um 1968 angestrebten „sexuellen Revolution“ werden sollte, hing Weder zufolge einem „gänzlich optimistischen Bild des sexuellen Triebs“ an. Zwar übte Reich, so die Autorin weiter, denn auch heftige Kritik an der „‚Zwangsfamilie‘ und an der trotz ‚morsch‘ gewordenem Verhältnis fortgeführten ‚Zwangsehe‘“. Dennoch blieb ihm „letztlich die heterosexuelle monogame Beziehung das Ideal“, und es galten ihm „weitgehend die althergebrachten ‚Perversionen‘ für unnatürlich“.

Ebenso wie schon Reich hielten es die späteren SexualrebellInnen für befreiend, ihre ‚natürliche’ und, wie sie meinten, darum freie Sexualität auszuleben, doch wurde diese von ihnen schon bald nicht wie noch von Reich als primär genital gedacht, sondern, einen Ausdruck Freuds aufgreifend, als „polymorph pervers“. Susan Sonntag kritisierte die von Reich und seinen AdeptInnen vertretene „Idee einer natürlich-guten Sexualität“ allerdings bereits früh als „anthropologische Verharmlosung“.

Christine Weder fällt es denn auch leicht aufzuzeigen, dass Reichs „Befreiungsprogramm“ an einigen „paradoxen Momenten“ litt und seine „Regeln für die neue freie Sexualität ihrerseits nicht zwanglos“ waren. Derlei repressive Momente in den untersuchten sexualrevolutionären Texten nachzuweisen, gelingt ihr selbst noch bei Günter Amendts Sexfront (1970). Denn auch sein für viele überaus befreiend wirkendes Büchlein übt „im besten befreiend-aufklärerischen Gestus“ noch „normativen Druck“ aus, in einer Hinsicht zumindest: Die durch das Buch „den Onanisten genommene Angst“, fürchtet Weder, könnte nun auf dem von Amendt so genannten „Spätzünder“ lasten.

Reichs „gänzlich optimistische Bild des sexuellen Triebs, der von ‚Natur‘ aus je freier desto besser erscheint und lediglich durch kulturelle Repression gefährlich werden kann“, wurde zwar nicht von allen, aber zunächst doch von etlichen 1968erInnen wie Reimut Reiche aufgegriffen, die allerdings versuchten, ihre eigenen Vorstellungen von den „paradoxen Momenten“ des Reich’schen „Befreiungsprogramms“ zu reinigen. Doch fuhren Reiche und viele andere bald mehr „im theoretischen Fahrwasser“ Herbert Marcuses als demjenigen Reichs. Denn Marcuse propagierte anders als dieser „eine ‚Erotisierung der Gesamtpersönlichkeit‘ durch ‚Reaktivierung aller erogener Zonen‘, d.h. durch ein ‚Wiederaufleben der prägenitalen polymorphen Sexualität‘“. „Behauptet und beklagt“ wurde von ihm also nicht mehr die Unterdrückung von Sexualität überhaupt, sondern vielmehr gerade, dass die „‚genitale Funktion‘ zum ‚Primat‘ erhoben und gefördert, ja gefordert werde“. Zudem entwickelte er die These einer den Kapitalismus stabilisierenden „repressiven Entsublimierung“ der Sexualität.

Die Autorin konstatiert für den Untersuchungszeitraum, den sie etwa von der frühen Mitte der 1960er Jahre bis hin zum Ausgang des nachfolgenden Jahrzehnts angelegt hat, sowohl eine zunehmende „Politisierung der Sexualität“ als auch eine „Sexualisierung der Politik“. Darüber hinaus beachtet sie den Einfluss der zeitgenössischen Literatur auf den Sexualitätsdiskurs. Eine unter diesem Gesichtspunkt „kontexutalisierte Lektüre“ könne „die diffus-universelle Präsenz der Sexualitätsdebatten jener Zeit in ihren literarischen Reflexionen“ konkretisieren und zugleich „die konstruktive Beteiligung von Literatur und Ästhetik an jenen Debatten und an der vielgestaltigen Hervorbringung dessen, was um 68 Sexualität hieß“, aufzeigen. Indem sie dies tut, arbeitet Weder komplexe „Austauschverhältnisse“ zwischen Literatur, Ästhetik und Sexualitätsdiskurs heraus.

Die Anordnung von Weders Untersuchungskorpus richtet sich weniger nach der Chronologie der Entstehung oder Publikation der Texte, sondern orientiert sich vorwiegend an „thematischen oder formalen Zentralmomenten“. Als Quellenkorpus dienen der Autorin, die ihr Augenmerk nicht nur auf die „etablierten ‚Achtundsechziger‘-Autoren“ richtet, neben einigen literarischen Werken vor allem theoretische Texte namentlich von Wilhelm Reich, dem „Zukunftsbeschwörer“ Herbert Marcuse und seinen ihm weder familiär noch theoretisch nahestehenden Namensvetter Ludwig, Theodor W. Adorno, Peter Gorsen und schließlich Roland Barthes. Die herangezogenen theoretischen Quellen reichen also von den 1920er Jahren bis zu den ausgehenden 1970er Jahren und somit über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus.

Die praktischen Versuche im Namen der ‚sexuellen Revolution‘ interessieren Weder hingegen nicht. So werden denn auch die einschlägigen Passagen des Versuchs der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums (1969) der für ihren experimentellen Charakter berüchtigten Kommune 2 nicht in Augenschein genommen. Auch nicht die 1972 publizierten Sexpol-Protokolle der Gruppe Sexpol-Nord (Westberlin). Sie waren von den AutorInnen als „Erfahrungsmaterial“ gedacht, „an dem die ‚theoretischen‘ Artikel zu Sex und Politik zu messen sind“. Zudem sollten sie „Klassenbewusstsein anschaulich machen, auch dann, wenn von Sexualität gesprochen wird“. Weder erwähnt nur einen einzigen Erfahrungsbericht, nämlich Ulrich Enzensbergers „rückblickende Innenperspektive“ aus dem Jahr 2004 auf die Kommune 1, aber auch das nur in einer kurzen Fußnote.

Am nächsten kommt Weder den praktischen Unternehmungen zur sexuellen Befreiung der Zeit in ihrer Analyse von Günter Amendts „Meta-Ratgeber“ Sexfront, der für Hunderttausende junger Menschen das vermutlich wichtigste Buch dieser Zeit überhaupt wurde. Der mit Farbfotos, Karikaturen, Comics und anderem reich illustrierte Band war mit einem Preis von nur fünf Mark für alle erschwinglich und erreichte in den ersten drei, vier Jahren eine sechsstellige Auflagenzahl. Amendt arbeitete intensiv mit der „künstlerischen Sphäre“, jedoch nicht derjenigen der ‚Hochkultur‘. Vielmehr erwies er „lieber Genres wie Pop Art, Comic Fotostory und Trivialroman die Referenz“. Auf sinnvolle und dankenswerte Weise hat Weder einige der Abbildung in ihr Buch aufgenommen, ohne die sich die Lesenden kein adäquates Bild des sich selbst immer wieder ironisierenden Sex-‚Ratgebers‘ machen könnten. Dessen oft selbstbezüglicher Spott verkommt nie zum „bloßen humorigen“ oder gar anzüglichen „Augenzwinkern“, sondern steht immer im Dienst der sexuellen Befreiung und sein „integrierter Schalk“, so die Autorin, „schmälert“ keineswegs die „Ernsthaftigkeit“ des Anliegens.

Amendt thematisiert „seitenweise Homosexualität, kindliche Sexualität – übrigens klar getrennt von Pädophilie – und natürlich Onanie“, wohingegen der „heterosexuelle fortpflanzungsorientierte Geschlechtsverkehr auf die Drittelseite des Schlusswortes  beschränkt“ wird, in welcher die ironisierende Art des Buches, Ernstes zur Sprache zu bringen, wunderbar hervortritt. Weder zitiert Amendt mit den Sätzen:

Sollten Mann und Frau beim Geschlechtsverkehr ein Kind zeugen wollen, dann ist folgendes zu beachten: Die Frau nimmt keine Antibabypille mehr. Mann und Frau benutzen beim Geschlechtsverkehr kein Verhütungsmittel. Sollte sich nach mehrmaligem Versuch keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft zeigen, dann empfiehlt es sich für Mann und Frau – wohlgemerkt für beide –, einen Arzt aufzusuchen und mit ihm zu beraten, wie sie ihren Wunsch nach einem Kinde verwirklichen können.

Amendt setzte, in Erinnerung an die von Herbert Marcuse entwickelte und über Wilhelm Reich hinausgehenden These zu der den Kapitalismus stabilisierenden „repressiven Entsublimierung“, den Begriff „sexuelle Revolution“ stets in Anführungszeichen, denn, so seine von Weder zitierte Begründung, es solle „nicht der Eindruck erweckt werden, dass diejenigen, die vögeln, es schon geschafft haben“. In dem beliebten ‚Städteführer‘ Subkultur Berlin war übrigens bereits 1969 (also ein Jahr vor dem Erscheinen von Sexfront) zu lesen, dass „die orgastische Befriedigung nicht mehr subversiv“ sei. Schon bald nach dem Erscheinen von Amendts Aufklärungsbuch verlangte das Sozialministerium von Rheinland-Pfalz vergeblich die Indizierung des seiner Ansicht nach „zynischen Verführungsbuches“.

War Amendts Buch sexualpraktisch das wahrscheinlich wichtigste für Schüler, Studierende und, wie es damals hieß, „Lehrlinge“, so übte Peter Gorsens 1969 erschienener Band Das Prinzip Obszön. Kunst Pornographie und Gesellschaft kaum minder großen Einfluss auf die Sexualvorstellungen der Zeit aus. In die Thesen des Bandes war eine „Vielzahl verschiedenster Sexual- und Kunsttheorien“ eingearbeitet. „Der große Vernetzer“ Gorsen reflektierte nämlich nicht nur die „Verschränkung“ zwischen Sexualtheorie und Ästhetik, sondern hatte selbst „entscheidend“ an ihr teil, indem er Weder zufolge „die kunst-erotischen Beziehungen auf eigene und engste Weise knüpfte“. Als einzigen „Schönheitsfehler“ seines Konzepts des Obszönen, zu dessen oft zweifelhaften Helden der Initiator der 1970 gegründeten AAO-Kommune und später wegen Päderastie und Vergewaltigung verurteilte Sexualstraftäter Otto Mühl zählt, moniert die Autorin, dass es der von ihm „favorisierten Hässlichkeit nicht gerecht“ werde.

Abschließend geht Weder auf Roland Barthes’ „erotische Fragmente einer Theorie der Text-Erotik“ in dessen Fragments d’un discours amoureux (1977) ein, mit der sich ihrer Einschätzung zufolge Ende der 1970er Jahre ein „allmähliches Verebben der intensiven Sexualisierungstendenzen in den ästhetischen Diskussionen“ ankündigt. Barthes’ Begriff der Perversion gebe die „Verortung von Lust“ gänzlich auf und gehe über frühere Vorstellungen wie etwa derjenigen von der polymorph-perversen Sexualität hinaus, indem er Lust ganz von „gewissen Körperzonen“ löse. Ebenso wenig sei Lust an „bestimmte Inhalte oder Themen von Texten“ oder in künstlerischen Darstellungen gebunden, vielmehr entspringe sie dem französischen Theoretiker zufolge aus „einem immer wieder neu entstehenden Zwischenraum der ‚intermittence‘“, der von ihm nicht als „Ort“ gedacht werde, sondern als „Bewegung des Enthüllens und Verbergens“. Gleichwohl sehe er in der Literatur ein „privilegiertes Medium einer erotischen Weise des Sein“. So beanspruche sein eigener Text, nicht nur über Lust zu theoretisieren, sondern diese zugleich selbst zu evozieren. Ein Anspruch, den Amendts Sexfront wohl mit mehr Recht hätte erheben können. Jedenfalls dürfte die Lektüre des Ratgebers nicht nur wegen seines Inhalts weit mehr Menschen Lust bereitet haben als die des sperrigen Werkes von Barthes.

Christine Weder legt die komplexen und teils untereinander widersprüchlichen Sexualtheorien nachvollziehbar dar, fasst sie pointiert zusammen und legt ihre offenen Flanken bloß. Dabei ist sie nicht selten fein ironisierend, ohne dass die Genauigkeit ihrer Analyse und Argumentation darunter leidet.

Titelbild

Christine Weder: Intime Beziehungen. Ästhetik und Theorien der Sexualität um 1968.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
410 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835319479

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