Von Brüdern, Freunden, Knast und Krieg

Jens Eisels eindrucksvoller Romanerstling „Bevor es hell wird“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Jahre sind mittlerweile vergangen, seit Jens Eisels tolle Erzählungen Hafenlichter erschienen sind und zu Recht sehr gelobt wurden. Jetzt erscheint mit Bevor es hell wird, sein Romandebüt. Alex ist die Hauptfigur, die zu Beginn des Buchs aus dem Gefängnis entlassen wird. Norman, sein Freund und fast so etwas wie ein Halbbruder, holt ihn von dort ab. Bei ihm kann Alex vorerst bleiben; auf dem Gelände von Normans Autowerkstatt steht eine alte Segeljacht, die ihm als Wohnung dient. Norman bietet ihm an, in seinem alten Job bei ihm zu arbeiten, er ist also gleich wieder Teil in einer funktionierenden sozialen Struktur. Bevor es hell wird erzählt cirka zehn Jahre aus Alexs Leben. Nach vielen Umzügen kommen er, sein älterer Bruder Dennis und seine Mutter 1996 in Hamburg an. Sie mieten eine kleine Wohnung, haben kaum Geld, aber immerhin einander. Und obwohl die Gegend nichts Besonderes ist, sie immer nur kleine Sprünge machen können, glauben sie, angekommen zu sein. Alex ist gut in der Schule, sein Mitschüler Norman eher nicht. Alex hilft ihm, sie werden Freunde. Dennis beginnt eine Lehre als Koch und alles scheint sich zu fügen. Doch Jens Eisel baut Brüche in die Biografien ein, nicht, weil er ein Pessimist ist oder harte Prüfungen für erstrebenswert hält, nein, es geht ihm wohl eher darum, zu zeigen, wie Beziehungen geartet sind: Ob sie halten, wenn es ganz hart kommt, wie stark Solidarität ausgeprägt ist, wer wann zu helfen bereit ist und wer unter zu schwerer Last zu zerbrechen droht. Die Mutter der beiden Brüder, die schnell mit ihrer neuen Arbeit im Baumarkt zurechtkommt und zu einer angesehenen Kollegin wird, stirbt überraschend an Krebs. Das kurz erlebte Glück als kleine Familie löst sich jäh auf. Normans Vater erklärt sich bereit, Alex bei sich aufzunehmen, da dieser noch minderjährig ist und bei ihm eine Lehre anfangen kann. Dennis hingegen kommt mit der neuen Situation gar nicht klar. Eisel beschreibt das emotionale Chaos eher ruhig, vor allem aber sehr knapp; der Leser kommt den Protagonisten zwar durchaus nahe, doch es entsteht keine Gefühlsduselei. Sehr gekonnt wechselt er auf etwas mehr als 200 Seiten und in zwölf Kapiteln die Zeiten und lässt die Geschichte und ihre Nebenstränge auf diese Weise immer weiter wachsen, einzelne Bilder fügen sich allmählich zu einem ganzen. Wäre das Buch chronologisch erzählt, wäre es sehr wahrscheinlich länger geworden, aber auch vorhersehbarer und dadurch vielleicht langweilig. Dennis bekommt doch noch die Kurve, findet eine Freundin und meldet sich zum Wehrdienst – er hat auf einmal wieder Pläne, eine Zukunft. Er muss nach Afghanistan – als Leser denkt man gleich: „Das muss jetzt doch echt nicht sein, Mann, lass ihn doch noch ein bisschen glücklich sein!“ Und ja, Dennis kommt wohlbehalten zurück, die Brüder haben wieder ihre alte Verbundenheit, es läuft gut. Eine Zeit lang eben.

Bevor es hell wird ist eines der Bücher des Jahres, ein Roman, der auch qualitativ in der Tradition von Richard Yates steht. Eisel versteht es großartig, Locations zu schaffen und zu beschreiben, Stimmungen aufzubauen und die Fragilität menschlicher Interaktionen darzustellen. Er braucht oft nur wenige Worte, angedeutete Situationen reichen ihm, um eine Szene im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Außerdem gelingen ihm trotz all der Schicksalsschläge und harten Episoden ruhige Passagen: ein Spaziergang, ein Ausflug auf’s Land, ein gemächlicher Kneipenabend.

Man darf sehr gespannt sein, was dieser hoch talentierte Autor als nächstes machen wird, seinen Namen sollte man sich merken!

Titelbild

Jens Eisel: Bevor es hell wird. Roman.
Piper Verlag, München 2017.
207 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057684

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