Die Grande Dame der schwedischen Literatur

Kerstin Ekman zum 90. Geburtstag

Von Holger WolandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Holger Wolandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 27. August 2023 wird Kerstin Ekman 90 Jahre alt. Sie wird die Huldigungen zu diesem Jahrestag fachkundig zu würdigen wissen, denn zum 200. Jubiläum der Schwedischen Akademie im Jahr 1986 veröffentlichte sie eine detaillierte Studie über die Antrittsreden („inträdestal“), die 176 Akademiemitglieder bei der Festversammlung am 20. Dezember im Beisein des (meist gelangweilten) Königshauses in der Börse in der Stockholmer Altstadt auf ihre im Regelfall im selben Jahr verstorbenen Vorgänger gehalten hatten, ein großformatiges Buch mit rosa Schutzumschlag mit dem Titel Mine herrar. Om inträdestalen i svenska akademien („Meine Herren. Über die Antrittsreden in der Schwedischen Akademie“).

Kerstin Ekman wurde 1978 auf Stuhl Nr. 15 (von 18) der Schwedischen Akademie gewählt, nach Selma Lagerlöf und Elin Wägner als erst dritte Frau – daher der ironische Titel ihrer Monografie. Sie hielt eine Rede auf ihren Vorgänger Harry Martinson, den ersten sogenannten Arbeiterschriftsteller Schwedens, der Mitglied der Akademie geworden war. Er hatte Selbstmord begangen, nachdem ihm seine Kollegen den Nobelpreis verliehen hatten: Er hatte die allgemeine Häme nicht ertragen.

Kerstin Ekman schreibt in ihrer Studie zur schwedische Literatur- und Geistesgeschichte, dass ein Drittel der Akademiemitglieder – Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Historiker, Bischöfe, Juristen und Ärzte – als Pfarrerssöhne zur Welt gekommen waren. Auch Selma Lagerlöfs Großvater väterlicherseits übte diesen Beruf aus. Ekman führt weiterhin aus:

Viele kleine Jungen aus den höheren Gesellschaftsschichten waren sicher noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts zweisprachig. Schwedisch war wie Jiddisch, eine Mameloschn- oder einfach nur Dienstbotensprache. In adligen oder hochbürgerlichen Familien lernte man Französisch vor der Muttersprache, in Gelehrtenfamilien Latein.

Kerstin Ekman gehört zu den wenigen, die in Schweden in der Schule Latein lernten. Am städtischen Gymnasium in Katrineholm.

Etwa dreißig Bücher und unzählige Essays, u.a. über die Kolleginnen Victoria Benedictsson, Selma Lagerlöf, Astrid Lindgren und Sara Lidman, machen Kerstin Ekman zu einer der produktivsten AutorInnen der schwedischen Literatur. August Strindberg, 63 Lebensjahre, bringt es allerdings in der „Nationalupplaga“ auf 72 Bände. Hjalmar Söderberg, 72 Lebensjahre, schrieb hingegen nur vier Romane, u.a. Doktor Glas.

Im Jahr 2009 veröffentlichte Ekman den kleinen virtuosen Roman Tagebuch eines Mörders (wie auch ihre anderen Bücher, so nicht anders vermerkt, übersetzt von Hedwig M. Binder) über einen – fiktiven – Arzt, der für Söderberg, den sie hier als Romanfigur auftreten lässt, zum Vorbild für seinen Doktor Glas wird. In einem Interview mit Svenska Dagbladet sagte sie damals:

Ich führe ein Gespräch mit Söderbergs Roman, und das ist für mich ganz natürlich. Gelebtes Leben und gelesenes Leben sind für mich gleichwertig. Es ist für mich überhaupt nicht seltsam, mich in ein Buch zu begeben, als wäre es ein tatsächliches Erlebnis.

Ekmans Werk ist außerordentlich vielfältig. Mit Der Wald. Eine literarische Wanderung legte sie 2007 ein Buch über Bäume und Wald vor, noch bevor dieses Thema (siehe u.a. Peter Wohlleben und Zora del Buono) wieder einmal in Mode kam. In diesem Buch beschreibt Kerstin Ekman ihre erste Begegnung mit den riesigen Kahlschlägen, die Schwedenreisenden überall begegnen und für die Schweden sehr kritisiert wird: „Ich hatte das starke Gefühl, in einer Zivilisation des Todes zu leben. Dieses Gefühl wurde ich nie richtig los.“

Ihr vermutlich meistgelesenes Buch, der Roman Geschehnisse am Wasser von 1993, gehört neben den Romanen von Maj Sjöwall und Per Wahlöö zu den Klassikern der Kriminalliteratur.

Mit seiner Verfilmung, u.a. mit Rolf Lassgård, Pernilla, Asta und Alba August, wurde Kerstin Ekman in Schweden, aber auch in Deutschland, in diesem Jahr wieder einmal nachdrücklich in Erinnerung gebracht. Auch schon nach seinem Erscheinen sorgte dieser Roman für Wirbel, und Kerstin Ekman erhielt dafür sowohl den Augustpreis, den wichtigsten schwedischen Literaturpreis, als auch den Literaturpreis des Nordischen Rats, den wichtigsten Preis Nordeuropas. Der Roman beschreibt „Das Land der Verlierer“, so der Titel eines auch auf Deutsch in der Anthologie Unter Mördern und Elchen von ihr erschienenen Essays von 1999. Dieses Land, die nordschwedische Provinz Jämtland, war zwei Jahrzehnte die Wahlheimat der Autorin. Im Handbuch Skandinavische Literaturgeschichte (herausgegeben von Jürg Glauser, Metzler 2006) vergleicht Antje Wischmann Geschehnisse am Wasser mit Peter Høegs, Fräulein Smillas Gespür für Schnee, einem anderen Bestseller der 1990er Jahre:

Die deutschen Leser wurden durch diesen Roman zwar mit den begehrten dunklen nordischen Seelenlandschaften beliefert, doch werden sie zudem kritisch auf ihre eigene Projektion von Wunschbildern aufmerksam gemacht. Auch das Konzept der einheitlichen Ethnizität und Ursprünglichkeit wird durch die Darlegung des Zusammenwirkens von saamischen, schwedischen, norwegischen und finnischen ‚nationalkulturellen‘ Elementen nachdrücklich hinterfragt. In Bezug auf das Ethnizitätsthema sind sowohl Høegs als auch Ekmans Roman durch eine postkoloniale Perspektive geprägt.

Neben vielen Literaturpreisen erhielt Ekman 1998 die Ehrendoktorwürde der Universität Umeå und 2007 die der schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (Sveriges Landbruksuniversitet).

Zu ihrem Geburtstag erscheint in Schweden im Albert Bonniers Förlag mit 425 Seiten ein weiteres Großwerk: Min bokvärld (Meine Bücherwelt). In ihrem deutschen Verlag Piper ist rechtzeitig vor ihrem runden Geburtstag die Übersetzung ihres jüngsten Romans Wolfslichter erschienen. In diesem Roman, der 2022 zum Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert und von Dagens Nyheter zum besten Buch des Jahres erklärt wurde, kehrt Kerstin Ekman ins „Land der Verlierer“ zurück. Der Ich-Erzähler ist der pensionierte Forstmeister und Jagdleiter Ulf Norrstig, der seit fast fünfzig Jahren mit der Lehrerin Inga verheiratet ist. Er feiert seinen 70. Geburtstag. An diesem Tag, an dem auch die Jagd auf die Wölfe freigegeben wird, sieht er einen Wolf. In diesem sehr dichten Text geht es Kerstin Ekman um das Verhältnis des Menschen zur Natur und um das Altern.

Kerstin Ekman kam als Kerstin Lillemor Hjorth 1933 in Risinge in Östergötland zur Welt und wuchs in Katrineholm in Södermanland auf. Ihre Mutter war Hausfrau, aber zuvor Haushälterin beim Landmaschinenhändler Kullberg, dem reichsten Mann der Stadt, der Vater Metallarbeiter, später Besitzer einer eigenen Fabrik. Mit 17 schrieb Ekman einen Sommer lang für die Lokalzeitung Katrineholmskuriren.

Den an Eisenbahnknotenpunkten entstandenen Kleinstädten Schwedens wie eben Katrineholm setzte Ekman mit einer mit Hexenringe (1974) beginnenden Romantetralogie über das fiktive Vallmsta ein Denkmal. Es war ihr erstes großes, hochambitioniertes Romanprojekt und bescherte ihr gleichzeitig ihren Durchbruch. Ekman beschreibt darin das Leben der Frauen seit der Industrialisierung und Urbanisierung Schwedens. Zentrale Gestalt ist Tora, deren minderjährige Mutter bei ihrer Geburt stirbt. Sie ist bei einer Vergewaltigung gezeugt worden, der Vater ist unbekannt. Im zweiten Band Springquelle engagiert sich die Lehrerin Magnhild Lundberg für das Frauenwahlrecht, und der Bäcker Konrad, der Sohn von Toras bester Freundin Frida, verliert als Gewerkschaftsmitglied seine Arbeit. In Das Engelhaus, dem dritten Band, der so heißt wie das Haus, in dem Tora inzwischen lebt, geht es u.a. um die Jahre des Zweiten Weltkriegs. Durch Vallmsta rollen Züge mit deutschen Soldaten, und aus Finnland kommen evakuierte Kriegskinder in die Stadt. Es sind aber auch die Jahre, in denen in Schweden die krassen Klassenunterschiede nivelliert werden. Das sogenannte „folkhemmet“ entsteht. Im letzten Band, Stadt aus Licht, sind wir in Kerstin Ekmans damaliger Gegenwart (den 1970er Jahren) und beim Niedergang der Industrie in der schwedischen Provinz und von Kleinstädten wie Katrineholm angekommen.

Kerstin Ekman studierte von 1953 bis 1957 in Uppsala Literaturwissenschaft mit den Schwerpunkten Poetik und Antike in denselben Jahren wie Lars Gustafsson und Per Olov Enquist, zu denen es jedoch keine Verbindung gab. Ihren Magister machte sie in nordischer Literaturgeschichte und Deutsch. Laut einem Interview mit der dänischen Pfarrerin Doris Ottesen, die 2009 im Kopenhagener Gyldendal Verlag eine große Ekman-Monografie vorlegte, träumte Kerstin Ekman von einer akademischen Karriere, aus der aus Rücksicht auf ihren Mann jedoch nichts wurde. Kerstin Ekman hatte keine Lust, Lehrerin zu werden, was auch der Wunsch ihres Mannes gewesen wäre, sondern arbeitete als Autorin und Produzentin für die Filmproduktionsgesellschaft Artfilm.

Bei den Dreharbeiten von Meisterdetektiv Blomkvist lebt gefährlich in Trosa, betrank sich der nette Polizist des Films und versetzte der Frau von der Maske einen Schlag, sodass sie ein blaues Auge davontrug. Ich begann mich danach zu sehnen, mich friedlicher mit der Illusion zu beschäftigen. In dem auf dieses Abenteuer in Trosa folgenden Sommer schrieb ich meinen ersten Krimi.

Ekmans erster, 1959 erschienener Roman spielt in der Welt des Films: 30 meter mord (Der Tod filmt mit, 1962 von Adolf Schütz übersetzt). Die Kamera läuft versehentlich weiter: Auf den 30 Metern Film ist ein Mord zu sehen. Es folgten fünf weitere Krimis, die sich durch intelligente Intrigen auszeichnen und weitaus weniger brutal sind als alles, was später aus Schweden international Furore machte. In den ersten beiden ermittelt der Polizist Viggo Bredberg. Anschließend wechselt die Personengalerie bei jedem Buch. Die Hauptfiguren sind keine Polizisten mehr. Sehr lesenswert ist Die drei kleinen Meister (ebenfalls übersetzt von Adolf Schütz) von 1962, in dem es um einen vermeintlichen Selbstmord im Gebirge in Lappland an der finnischen Grenze geht. Der Kunstlehrer einer sogenannten Nomadenschule, eines Internats für die Kinder der Sami, das nur mit dem Boot quer über einen See zu erreichen ist, liegt im Winter tot im Schnee. Im darauffolgenden Sommer besucht sein Freund die Schule, um die näheren Umstände aufzuklären. Ekman arbeitete später selbst an einem Internat, allerdings einem für bereits erwachsene Schüler, an der Wiks Folkhögskola bei Uppsala. Dort lernte sie ihren zweiten Mann, den Musiklehrer Börje Frelin kennen. In erster Ehe war sie mit dem Historiker Stig Ekman verheiratet.

Nach der Vallmsta-Tetralogie schrieb Kerstin Ekman neben der Erzählung in ungereimten Versen Knivkastarens kvinna („Die Frau des Messerwerfers“, bislang unübersetzt) über eine Frau, die in der Schwangerschaft ihre Zwillinge verliert, vor dem Bestseller Geschehnisse am Wasser und nach dem Buch für die Schwedische Akademie, den Roman Skord von Skuleskogen. Der Held, dessen Name aus den Wörtern für Wald und Wort, skog und ord, zusammengesetzt ist, ist ein Troll und lebt die 500 Jahre lang, die in Schweden bis zur Industrialisierung, zum Eisenbahnbau, vergehen. Es ist ein unterhaltender pikaresker Roman, bei dessen Lektüre man sich an Virginia Woolfs Orlando erinnert fühlt, mit dem Unterschied, dass Skord Schweden nicht verlässt und auch sein Geschlecht behält. Schauplätze sind u.a. der verwunschene Skuleskogen, heute Nationalpark, und ein Alchimistenhaushalt in Uppsala zu Pestzeiten.

Im Sommer 1975 zelteten Kerstin Ekman und Börje Frelin zum ersten Mal in Valsjöbyn an jenem See unmittelbar an der norwegischen Grenze, an dem die beiden zwei Jahrzehnte lang ihr Zuhause hatten. Der Valsjö wird als Svartvattnet, ein Name, den Ekman aus Selma Lagerlöfs Roman Jerusalem entlehnt, zentraler Ort mehrerer Ekman-Bücher.

Der Valsjö ist nicht nur Schauplatz von Geschehnisse am Wasser, sondern auch der Wolfspelz-Trilogie, die 1999 mit Am schwarzen Wasser beginnt und deren Hauptpersonen die Hebamme Hillevi Klarin und deren Pflegetochter Risten sind. Diese ist zugleich die Erzählerin. Nach Geschicken in einer repräsentativen Kleinstadt wendet sich Ekman hier Geschehnissen im waldreichen, inzwischen nahezu entvölkerten nordschwedischen „glesbygd“ zu. Es werden drei Sprachen gesprochen: Rikssvenska (Reichsschwedisch), jämtländischer Dialekt und Norwegisch. Hedwig M. Binder übersetzt den Dialekt passend in ein künstlich-altmodisches Deutsch. Im ersten Band folgt Hillevi dem Pfarrer, mit dem sie heimlich verlobt ist, aus der Universitätsstadt Uppsala nach Nordschweden. Als dieser von der Verlobung nichts mehr wissen will, heiratet sie den Besitzer des Dorfladens, den Norweger Trond Halvorsen, der seinen Namen später ins schwedische Halvarsson abändert. Hillevi entbindet die dreizehnjährige Serine, die Nichte des Besitzers eines kleinen Bauernhofs, die aus Norwegen kommt. Eine schwierige Zangengeburt. Als Hillevi zurückkehrt, um ihr Buch mit ihren Aufzeichnungen zu holen, das sie vergessen hat, ist das Kind tot. Hat man es wegen der von der Zange verursachten Schwellungen am Kopf ermordet? Hillevi zeigt dieses Verbrechen nicht an. Diese Schuld zieht sich wie ein roter Faden durch die Trilogie. Der mutmaßliche Vater des Kindes Elis, der Cousin der Mutter, leidet an Tuberkulose. Im zweiten Band Die letzten Flöße hält er sich in Norwegen in einem Lungensanatorium auf, dessen Oberarzt seine künstlerische Begabung fördert. Als Elias Elv lebt er in den 1930er Jahren als Künstler in Berlin – die Cover der schwedischen Ausgaben sind mit Bildern seines großes Idols Franz Marc versehen –  und später als Glaskünstler in Småland, bis er im dritten Band Zeit aus Glas (2003) auf seine alten Tage nach Svartvattnet zurückkehrt.

Zentrale Gestalt des dritten Bandes ist das uneheliche Kind von Hillevis Tochter Myrten, die Pfarrerin Ingefrid (Inga), die in Stockholm bei Adoptiveltern, einem Musiker und einer Antiquitätenhändlerin aufwächst. Sie hat ihr Erweckungserlebnis bei einer sehr eindrücklich beschriebenen Aufführung der Johannespassion in der Stockholmer Engelbrektskyrkan. Ekman setzt sich hier eingehend mit dem Widerstand gegen Pfarrerinnen in der schwedischen Staatskirche in den 1970er Jahren auseinander. Der Kantor einer Kirche in Roslagen nördlich von Stockholm hat einen besonderen Hass auf die Frauen in der Kirche und „griff sich aus der Proviantbox des Friedhofsarbeiters ein mit Rote-Bete-Salat und zerquetschten Fleischklößchen belegtes Brot und warf es nach Inga.“ Inga rettet sich auf eine Dozentenstelle an die Universität Uppsala. Sie lernt die Karrieretheologin Brita Gardenius kennen. Laut der Svenska Dagbladet-Literaturkritikerin Therese Eriksson, von der die bislang beste Einführung in das Werk Ekmans stammt (Kerstin Ekman. En värld av berättelser / Kerstin Ekman. Eine Welt aus Erzählungen, 2011) handelt es sich bei Brita um ein Porträt der ersten schwedischen Bischöfin Caroline Krook. Inga adoptiert ihrerseits aus Indien den Sohn Anand. Das verbindet sie mit der Autorin Ekman, deren Sohn Magnus adoptiert ist, und mit zahlreichen Frauen im Werk Ekmans.

Inga erbt das Haus ihrer Mutter Myrten. Sie zieht mit ihrem Adoptivsohn in die Welt von Myrten, die sie nie gekannt hat, da die Pfarrstelle der Gemeinde nicht besetzt ist. Als Risten nach einem Herzinfarkt in die Klinik kommt, betreut sie deren Schafe und umsorgt sie bei der Geburt ihrer Lämmer. Gleichzeitig hat Ristens Sohn Klemens, der Rentiere besitzt, Ärger mit der Polizei: Er hat eine Wölfin getötet wie zu Beginn der Trilogie bereits Hillevis Mann. Dieser hat damals seiner Frau das Wolfsfell zum Geschenk gemacht. Bei der Haussuchung wird dieses Fell gefunden. So schließt sich der Kreis dieses gewaltigen Panoramas eines abgelegenen Teils von Schweden im 20. Jahrhundert. Die Zeit aus Glas wurde ebenfalls mit dem Augustpreis ausgezeichnet. Neben Per Olov Enquist ist Kerstin Ekman die Einzige, die den Preis zwei Mal erhalten hat.

1989 begann die bis heute aktuellen Rushdie-Affäre. Kerstin Ekman vertrat die Ansicht, dass sich die Schwedische Akademie für den Schriftsteller und gegen den Iran, der die Fatwa über Salman Rushdie verhängt hatte, einsetzen müsse. Die Mehrheit der Mitglieder stimmte dagegen, da sich die Akademie nicht zu politischen Fragen äußern dürfe. Schließlich erklärten Kerstin Ekman und ihr Kollege Lars Gyllensten ihren Austritt aus der Akademie, ein Ansinnen, dem nicht stattgegeben wurde, da die Mitglieder auf Lebenszeit gewählt werden. Jahre später, 2017, als es zum nächsten großen Skandal kam, erinnerte sich Kerstin Ekman in einem Interview mit Dagens Nyheter unter dem Titel „Die Akademie ist zu einer sektenähnlichen Institution geworden“, einer ihrer Kollegen habe geäußert, das Mädchen, sie war damals 57, werde schon wieder zurückehren. Ihr Stuhl verwaiste. Kerstin Ekman durfte erst 2018 aus der Akademie austreten.

In einem Essay von 2006 über Astrid Lindgren, „In der Lawine der Berühmtheit“, reflektiert Ekman ihre eigene Rolle:

Steht man als Schriftstellerin auf einer Bühne vor seinen LeserInnen, spürt man sehr deutlich deren Erwartung. Intelligenz und Scharfsinn gilt bei uns nicht als unzuverlässige Schwäche, sondern als Kälte. Wir dürfen das Elend der Welt zwar gerne beschreiben, müssen aber zumindest am Ende zum Licht finden. Diese Forderung nach Zuversicht ist wie ein gewaltiger Sog. Das Publikum will in mich eindringen und in meinen Eingeweiden eine tröstliche Prophezeiung lesen. Es will etwas, was es ihm ermöglicht, die Welt, ihre Grausamkeit und Ungerechtigkeit, sowie die unbarmherzigen Katastrophen der Natur zu ertragen.

Seit 64 Jahren erfüllt Kerstin Ekman ihren LeserInnen diesen Wunsch. Aber nicht nur das: Laut ihrer langjährigen Übersetzerin ins Deutsche Hedwig M. Binder beschert sie ihnen auch Unterhaltung, Spannung, Einsichten, intellektuelles Vergnügen und Anregungen. Niemand hat das Schweden des 20. Jahrhunderts in allen seinen Facetten so eindrucksvoll beschrieben wie Kerstin Ekman. Sie beschert einem unzählige Stunden ungetrübter Lesefreude.

Titelbild

Kerstin Ekman: Wolfslichter. Roman.
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder.
Piper Verlag, München 2023.
208 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492059671

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