Wassermetaphern im Diskurs der Liebe

Lisa Elsässers abwechslungsreicher Gedichtband „flussbewohner“

Von Severin PerrigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Severin Perrig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Flüsse sind laufende Wege“, hat sich der französische Philosoph Blaise Pascal einmal notiert, „die dorthin tragen, wohin man gehen will.“ Das ist ein zu schönes Bild, um es nicht auch poetisch auszuloten. So unternimmt die mehrfach ausgezeichnete Schweizer Lyrikerin Lisa Elsässer in ihrem neusten Gedichtband flussbewohner gekonnt den interessanten wie mutigen Versuch, die turbulent fließenden Wege und Wasserstraßen in Natur und großstädtischer Zivilisation zu erkunden, auf und an denen sich das lyrische Ich wie Du liebend immer wieder von neuem begegnen.

In einer sorgfältig komponierten Abfolge von 81 kurzen und mittellangen Gedichten wird dabei auf unterschiedlichste Art und Weise vom stillen wie lauten, kleinen wie großen, luftig-hell beschwingenden wie trübsinnig grau versteinernden „angebot des flusses“ erzählt – bisweilen wie in einem lyrischen Reisetagebuch – um dabei „bis/auf den grund unter irrendem/wasser“ zu tauchen, wie es im Gedicht treue seele heißt. Den ersten Vers solcher Geschichten gibt jeweils ein anderes lieben ein, so einmalig, „als ginge es eigene/wege als hätten die strassen neue schilder/für jeden hinweise ins gleissende glück“. Doch diese an klassische Liebesgedichte anmutende Beschilderung kann nicht über die Vergänglichkeit von verschattender Naturbeobachtung und die geradezu fliehende Reflexionszeit hinwegtäuschen. Selbst das munterste, allzu beredte Gewässer wird einmal wieder opak, findet keine worte mehr, gefriert in Melancholie und zerbricht eisig wie Glas zu „scherben/gefallene stunden//ohne glück“.

Um all diese unterschiedlichen Wasserformen – vom lichten Tropfen und der kalten Flocke bis zur mächtig wogenden Meereswelle – in all ihrer assoziativen Vielfalt wie Gedankentiefe sprechen zu lassen, um ihnen eine Stimmresonanz im Diskurs der Liebe zu verschaffen, verfügt Lisa Elsässer über ein abwechslungsreiches Repertoire an lyrischen Formen, die mit Reduktion, Wiederholungen, unerwarteten Zeilensprüngen, Bildverschiebungen und Zuspitzungen arbeiten, bis hin zur präzis eingesetzten Alliteration, rhythmischer Musikalität der Silben, Oxymora und Wortspielereien.

Sie bezieht sich aber auch in ihrem Ton und ihrem scharf analysierenden Blick immer wieder diskret auf ihre stilistischen Vorbilder, etwa Umberto Saba oder Philip Larkin, zitiert Dorothy Parker als Intro wie Outro oder lässt ihr Gedicht dann sogar zu einer wunderbaren Hommage auf Inger Christensens brief im april werden. Das verleiht ihren Gedichten, wie man sie bisweilen bereits in der Neuen Zürcher Zeitung vorabgedruckt lesen konnte, nicht nur einen ganz eigenen, auf das Wesentliche reduzierten Ton, sondern auch einen überaus köstlichen Humor wie etwa im Poem über allen wipfeln. Ja überhaupt, Lisa Elsässer eignet eine ganz eigenwillige Ironie, wenn beispielsweise unter dem nächtlichen Gestirn im songhaft anmutenden summertime plötzlich „wir die bäche//die flüsse hüten“, so als würde sich mit zunehmendem Alter der Flussbewohner doch noch das chinesische Sprichwort erfüllen wollen, welches Joseph Brodsky einmal folgendermaßen zitiert hat: „Wenn du lange genug am Flussufer sitzt, kannst du den Leichnam deines Feindes vorbeitreiben sehen.“

Aber Lisa Elsässer bleibt bei ihrem Umkreisen und Ausloten der inneren und äußeren Flusslandschaften, den Gefühlswelten des liebenden Sehens, Umgehens und Erinnerns. Sie lässt die „winterharten zornäpfel“ gescheiterter Liebesbeziehungen lieber ebenso schweigen, wie sie in ihren Gedichten das neumodische Zeitgeistige, den „kieselslang“ meidet. Ihre Kritik ist und bleibt in erster Linie Sprachkritik, weil ihr letztlich jegliche Landschaft über den Schreibtisch aufs Papier in Worte gerinnt. Das ergibt eine ganz eigene poetische Resonanz in diesem hoffnungsvollen Bild des stets von neuem zu überarbeitenden Gedichts. Es ist und bleibt eine einzige Sisyphusarbeit in schwierigen Zeiten. Und in dieser Hinsicht fordert denn das last poem von einem Geliebten nur keine falsche Wasserscheu:

geh hinein in die worte
als blieben sie raum
dir für immer einziger
ort und geheimnis
alle strassen leuchten
nun wieder im regen
lesen erinnern fluss
die nacht und du geh
in ihr zurück in die
sommertage…

Kein Bild

Lisa Elsässer: flussbewohner.
orte Verlag, Schwellbrunn 2017.
95 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783858302212

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