Ein Murmürzfurchenroutinier rechnet ab

Vor den „Nachrichten aus einem toten Hochhaus“ schildert Antonio Fian traumhafte Begegnungen mit Strandaalen, Vatermilch und Überwachungswagen

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es geht makaber los. Der Autor war krank, fühlt sich nach einer Spontanheilung wieder gut, muss aber den Vertrag über Sterbehilfe erfüllen. In zweiten Text hat der im Jahre 2011 verstorbene und dem Realismus abholde Schriftsteller Werner Kofler, von dem mehrfach die Rede ist, beim Autor angerufen. Der wird ihm die erbetenen Zigaretten bringen, auch um mehr über das Leben nach dem Tod zu erfahren.

Anton Fian, geboren 1956 in Klagenfurt, ist vielen Lesern durch seine im österreichischen Standard erschienenen Kolumnen bekannt. Erzählungen nach Träumen legte dieser mehrfach preisgekrönte Autor im Jahre 2009 unter dem Titel Im Schlaf vor. Folgerichtig sind die neuen skurrilen und frechen Zeitungskolumnen, die rund zwei Drittel der Nachrichten aus einem toten Hochhaus ausmachen, unter der Überschrift Im Schlaf II versammelt.

Viele der Texte haben mit Literatur zu tun. Nobelpreisträger Günter Grass konserviert seine Aussprüche für die Nachwelt in Eiswortwürfeln. Buchlesungen sind nur möglich, wenn dabei ein Radio mit Finanznachrichten läuft. Das Lektorat in einem Verlagshaus ähnelt einer Großküche, und eine Lektorin dort betrachtet ein Buch, das mit „Abendhauch und Entenkot“ beginnt, als sehr poetische Prosa.

Die Träume und Albträume sind absurd, spielerisch und dennoch tiefgründig. Kann ein einzelner Mensch so viele und vielgestaltige Träume haben? Unwichtig, denn traumhaft sind die Geschichten auch, wenn sie aus wacher Erfindung stammen. Wie eine Empfehlung für einen Schweinemäster in NRW liest sich die Idee, ausgestopfte Schweine mit Gemäldekopien und Süßwaren zu Figurengruppen wie Mona Lisa mit Muttersau und Blaschke Kokoskuppel zu arrangieren. Oder ohne das Geschlecht zu wechseln, hat der Autor ein Kind zur Welt gebracht. Nach problemloser Geburt weigert sich das Baby, von der Vatermilch zu trinken. Was es mit den im Untertitel genannten Strandaalen und Überwachungswagen auf sich hat, lese man selbst.

Auf die Traumgeschichten folgt der Text In der Mur-Mürz-Furche. Der Titel wird zum Dilemma, wenn der Glaube an die Erfindungskraft des Autors stärker ist als das geographische Wissen. Die Mur-Mürz-Furche gibt es tatsächlich. Es handelt sich um ein durch die Flüsse Mur und Mürz eingeschnittenes Längstal in der Obersteiermark und im Land Salzburg. Der Autor bezeichnet sich als „Murmürzfurchenroutinier“ und erbietet sich im Speisewagen, die Strecke zu erklären. Es folgt eine gnadenlose und wortgewaltige Abrechnung mit der Nazivergangenheit dieser Gegend.

Die abschließenden Nachrichten aus einem toten Hochhaus sind genaugenommen Nachrichten über ein totes Hochhaus. Der Verfasser schreibt an anderer Stelle, man dürfe nicht alles wörtlich nehmen. Das 25-stöckige abrissbereite Hochhaus in der ungarischen Stadt Pécs ist erst da, dann verschwunden, dann wieder da. Wichtiger sind die wunderbare Wortfindung „Denksackgasse“ und das konsequente Verbleiben in ihr. Von der angeblichen Sinnlosigkeit aller Beschäftigung mit Literatur geht es zur Tirade gegen das für Nazis wie Neonazis anfällige Kärnten. Und zurück.

Mit seiner schonungslosen Polemik und der auf feinstem Sprachbewusstsein beruhenden stilistischen Meisterschaft erweist sich Antonio Fian als kongenialer Nachfolger seines Landsmanns Karl Kraus. Die intelligenten und präzisen Texte sind kein bloßes Feuerwerk verrückter Einfälle. Die besten Traumgeschichten wirken lange nach. Das Buch ist gediegen aufgemacht, die geringe Schriftgröße älteren Lesern gerade noch zumutbar.

Titelbild

Antonio Fian: Nachrichten aus einem toten Hochhaus. Erzählungen.
Literaturverlag Droschl, Graz 2020.
120 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783990590591

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch