Der Buchbetrieb im Exil

Ein biografisches Handbuch von Ernst Fischer

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das jetzt vorgelegte Supplement zum dritten Band der Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert liefert ein biografisches Handbuch der exilierten Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und Österreich, und das – nach dem ersten Aufschlag 2011 – bereits in einer zweiten, überarbeiteten und deutlich erweiterten Ausgabe. Die Zahl der biografischen Artikel wurde um etwa 80 auf 900 erhöht, was die Vitalität eben nicht nur des Buchhandels im Exil, sondern auch der Forschung zeigt. Ein Orts- und vor allem Firmenregister erschließt die biografischen Artikel.

Die ursprüngliche Anlage, sich auf die exilierten Repräsentanten des Buchhandels zu konzentrieren, also auf Personen, die bereits vor dem Exil 1933 oder 1938 im Buchbetrieb tätig waren, wurde zugunsten einer Auswahl von Akteuren erweitert, die im Exil überhaupt erst buchhändlerische Aktivitäten entwickelten, sei es aus Gelegenheit oder aus der Not heraus, mit den bestehenden Möglichkeiten überhaupt einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.

Damit erhält die Literaturgeschichte des Exils mit einem Mal eine notwendige materiale Basis: Die vielfältigen literarischen Aktivitäten der exilierten Schriftsteller stützen sich eben nur bedingt auf den Literaturbetrieb ihrer Gastländer. Sprachliche, kulturelle und rechtliche Schranken ließen die Fortschreibung zahlreicher literarischer Karrieren im Exil und in einem anderen Kulturraum nicht zu. Mindestens aus diesem Grund entstand ein Resonanzraum im Exil selber, der seinerseits wieder vielfältig mit der Kultur der Gastländer verbunden war. Ein Thomas Mann musste sich nicht auf den Exilbuchhandel stützen, seine Wahrnehmung im amerikanischen Exil war stark genug, um ihm eine vornehme Existenz zu sichern. Aber selbst ein Bert Brecht musste schon um Anerkennung kämpfen, und das Gnadenbrot, das ein Teil des literarischen Exils in der amerikanischen Filmindustrie bekam, war irgendwann eben auch aufgezehrt.

Freilich, der deutschsprachige Literaturbetrieb im Exil konnte die zahlreichen exilierten Autorinnen und Autoren nicht wirklich nähren, und spätestens mit Kriegsbeginn wurde die europäische Exilkultur weitgehend zerschlagen. Zahlreiche Biografien zeugen mithin von dem radikalen, eben auch ökonomischen Bruch und Abstieg, der mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus und dem Exodus eines großen Teils des deutschen Literaturbetriebs verbunden war. Der Absturz vom abgesicherten bis luxuriösen Lebensstil zu einem extrem prekären ist eher die Regel als die Sicherung des Lebensstandards im Exil.

Es gibt Schätzungen, die von immerhin 2.500 Autorinnen und Autoren sprechen, die aus Deutschland vertrieben worden seien oder das Land verlassen hätten. Die Zahl der Exilanten wird bis auf 500.000 Menschen geschätzt. Auch wenn die deutschsprachige Schweiz, bis 1938 Österreich, eine Reihe von deutschsprachigen Enklaven und Nachbarländer, die der deutschen Kultur sehr offen gegenüberstanden (die Niederlande oder Teile des ehemaligen k.u.k. Reiches etwa), hinzukommen, war der Resonanzraum der Exilautoren deutlich kleiner als vor ihrem Exil und vor 1933; er verringerte sich in Europa 1938 und 1939 zudem in weiteren Schritten. Die bekannten Exilverlage in den Niederlanden, in Frankreich und in Österreich wurden zerschlagen, der Exodus ging weiter nach Übersee, was für die Autoren wie für den Betrieb eine erneute Umorientierung und Neuformierung bedeutete.

Aber das ändert nichts daran, dass das Exilverlagswesen über die gesamten Jahre zwischen 1933 und 1945 unerhört produktiv war, und dass der Buchhandel für zahlreiche Exilanten immerhin ein schmales Einkommen ermöglichte, wie Ernst Fischer betont, der dieses biografische Handbuch verantwortet.

Und mehr noch, Ernst Fischer hebt die besondere Qualität des deutschen Buchhandels vor 1933 hervor, der eben nicht nur außerordentlich ausdifferenziert, sondern auch – wie der Verweis auf das Haus Ullstein zeigen mag – technisch und organisatorisch extrem avanciert war. Die Repräsentanten des Betriebs, die diese Qualifikationen mit ins Exil nahmen, hatten wesentlich andere Optionen als die Autorinnen und Autoren, die deutlich stärker an die deutsche Sprache und die Eigentümlichkeiten der deutschen Kultur gebunden waren. Was erstaunliche Exilkarrieren ermöglichte, eben nicht nur in den Bereichen des Buchhandels, die sich weiterhin auf die deutschsprachige Literatur konzentrierten. Verlage wie der Europa Verlag, Allert de Lange oder Querido, Namen wie Hermann Kesten oder Fritz Landshoff sind zweifelsohne mit gutem Grund bis heute bekannt, weil diese Verlage und Verleger die Exilliteratur maßgeblich ermöglichten.

Allerdings reicht die Wirkung der Exilbuchhändler und -verleger weit über diesen engeren Bereich hinaus. Die Verlagsgründung von Kurt und Helen Wolff wirkt bis heute nach. Für England spricht Fischer sogar davon, dass einige Verlegerkarrieren geradezu „märchenhaft“ gewesen seien, wobei Namen wie Lord Weidenfeld, Robert Maxwell, Béla Horovitz und Ludwig Goldscheider – um einige der Namen, die Fischer nennt, aufzunehmen – im britischen Verlagswesen unübersehbare Spuren hinterlassen haben, während sie im deutschsprachigen Raum heute weniger bekannt sind.

Zudem weist Fischer darauf hin, dass durch die Exilierung eines Teils des deutschsprachigen Buchhandels und Verlagswesens die Globalisierung des Buchhandels spätestens nach dem Krieg einen enormen Schub erhalten habe. Davon habe sogar das deutsche Verlagswesen profitiert, das nach 1945 alte Kontakte wieder habe aufnehmen und für einen Globalisierungsschub habe fruchtbar machen können.

Nun wird ein solches biografisches Handbuch für die bekannteren Namen wie Bermann Fischer, Kesten oder die Eheleute Wolff kaum relevant sein. Informationen über sie liegen wohl ausreichend und gut erreichbar vor. Spätestens aber bei den Exilanten, die im Buchhandel und Verlagswesen tätig wurden und deren Namen heute vergessen sind, wird die Bedeutung dieses Nachschlagewerks erkennbar. Dass Jan Tschichold, dem der britische Buchhandel immerhin das Penguin-Logo verdankt, keine Berücksichtigung gefunden hat, liegt an den Auswahlkriterien, die Buchausstatter nicht ausdrücklich berücksichtigen. Was allerdings darauf verweist, dass dieses Handbuch dringend der Verknüpfung mit anderen Informationsquellen bedarf, um seine Wirkung vollständig entfalten zu können.

Titelbild

Ernst Fischer: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Drittes Reich/ Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933. Ein biographisches Handbuch.
De Gruyter, Berlin 2020.
639 Seiten, 159,95 EUR.
ISBN-13: 9783110688634

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